Flüchtlinge in der Türkei "Die Welt hat euch vergessen"

Der türkische Präsident Erdogan hat Tausende Flüchtlinge an die Grenze geschafft, um die EU unter Druck zu setzen. In der Coronakrise betrachtet er die Menschen als Sicherheitsrisiko - und sperrt sie in Internierungslager.
Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze: Von Erdogan benutzt

Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze: Von Erdogan benutzt

Foto: Ahmed Deeb/ dpa

Hani Al Saleh wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Wochenlang harrte er in einem Zelt an der türkisch-griechischen Grenze aus. Das Geld ging ihm aus. Aber wenn er nur lange genug durchhalten würde, das war seine Hoffnung, würden ihn die griechischen Grenzschützer irgendwann nach Europa ziehen lassen.

Die griechische Regierung setzte das Asylrecht außer Kraft

Nun sitzt Saleh, Flüchtling aus der irakischen Millionenmetropole Mossul, 24 Jahre alt, in einem Lager in Malatya, im Südosten der Türkei, fest. Er teile sich, so berichtet er es am Telefon, einen Container mit weiteren Migranten. Er bekomme nicht genug zu essen, dürfe das Camp nicht verlassen. "Es ist wie in einem Gefängnis", klagt er.

Eine Zeit lang waren Migranten wie Saleh dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nützlich. Er ließ sie im Februar zu Tausenden an die Grenze zu Griechenland karren, um so von der EU Geld für Geflüchtete in der Türkei und Unterstützung für seinen Krieg in Syrien zu erzwingen.

Griechenland  riegelte seine Grenze ab. Über Wochen hinweg kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen griechischen Sicherheitskräften und Menschen, die verzweifelt versuchten, nach Europa zu gelangen. 

Die griechische Regierung setzte das Asylrecht außer Kraft, eine Entscheidung, die rechtswidrig war, wie deutsche Völkerrechtler gerade festgestellt haben. Griechische Grenzschützer sollen, das berichten Augenzeugen, auf Flüchtlinge geschossen haben. Migranten seien misshandelt worden, heißt es in einem aktuellen Bericht von Amnesty International 

Erst Ende März ließ Erdogan die Lager an der türkisch-griechischen Grenze räumen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ihm in einer Videoschalte weitere Hilfsgelder in Aussicht gestellt.

Saleh sagt, er habe geahnt, dass eine Operation bevor stünde, als sich am 26. März türkische Hilfsorganisationen und Medien aus dem Grenzgebiet zurückzogen. Kurz darauf seien türkische Sicherheitskräfte mit Tränengas angerückt. Sie hätten die Zelte in Brand gesetzt, ihn und die anderen Schutzsuchenden in Busse gezwungen.

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In mindestens acht Lagern sollen die Migranten nach Angaben von Helfern nun untergebracht sein, die Hälfte in dem Camp in Malatya. Die Bedingungen in dem Lager seien unerträglich, berichtet Ahmet, ein Syrer, der seinen echten Namen aus Angst vor Repressionen nicht nennen will. "Türkische Soldaten bewachen uns die ganze Zeit und an jedem Container hängt eine Videokamera. Wir sitzen hier und haben nichts zu tun."

Nicht einmal ihre Handys durften die Menschen offenbar behalten. Nur wenige konnten ihre Telefone vor den türkischen Behörden verstecken, so wie Ahmet und Saleh. "Wir wollen nicht, dass die Flüchtlinge mit Journalisten Kontakt aufnehmen und dass berichtet wird, wie es im Camp aussieht", bestätigt ein türkischer Offizieller.

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Wenn sich Bewohner über die Zustände in dem Camp beschwerten, würden die Wärter mit Gewalt reagieren, sagt Ahmet am Telefon. "Die Welt hat euch vergessen, deswegen kann ich mit euch machen, was ich will!", soll ein Sicherheitsbeamter gebrüllt haben.

Präsident Erdogan scheinen die Flüchtlinge mittlerweile lästig zu sein. Seine Regierung hat, wie der Rest der Welt, vor allem mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. 

Griechische Grenzschützer gingen mit Gewalt gegen Geflüchtete vor

Griechische Grenzschützer gingen mit Gewalt gegen Geflüchtete vor

Foto: ---/ dpa

Lange Zeit war Corona für die Türkei das Problem der anderen. Während in den Nachbarstaaten, in Iran, im Irak, in Griechenland, die Zahlen in die Höhe schossen, erweckte Erdogan noch im März den Eindruck, sein Land würde von der Seuche verschont bleiben. 

Die Regierung in Ankara kann das Ausmaß der Corona-Katastrophe nicht länger ignorieren

Nun aber kann auch die Regierung in Ankara das Ausmaß der Katastrophe nicht länger ignorieren. Türkische Behörden melden rund 27.000 Corona-Infizierte und mehr als 500 Tote, die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Und an kaum einem anderen Ort steigt die Kurve derzeit so steil an wie in der Türkei.

Erdogan betrachtet die Migranten in der Coronakrise vor allem als Sicherheitsrisiko. Die Flüchtlinge müssten in Malatya zwei Wochen in Quarantäne verbringen, sagte ein Beamter, der für das Camp mitverantwortlich ist. Wer eine Aufenthaltsgenehmigung habe, könne danach gehen. "Den Rest schieben wir der Reihe nach ab."

Der Beamte widerspricht Berichten, wonach die Schutzsuchenden in dem Lager misshandelt würden. "Sie bekommen ausreichend zu essen, sie haben Heizstrahler gegen die Kälte und es gibt auch eine Krankenstation", sagt er.

Für Ahmet, den Flüchtling aus Syrien, klingen solche Beteuerungen wie Hohn. Wer in dem Camp in Malatya krank werde, sei sich trotz der Coronakrise selbst überlassen, sagt er. "Mein Kind isst seit drei Tagen kaum etwas und alles, was es hinunterschluckt, bricht es wieder aus. Aber der Arzt hat uns einfach weggeschickt."

Mitarbeit: Antonis Repanas

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