Walter Mayr

Die Lage: Inside Austria Wie sich die FPÖ selbst zerlegt

Walter Mayr
Von Walter Mayr, SPIEGEL-Korrespondent für Österreich und Südosteuropa

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute beschäftigen wir uns mit der Frage, wie die laut Umfragen zweitstärkste Partei Österreichs nach dem Suizidversuch eines führenden Parteimitglieds mit ihren internen Konflikten und Intrigen umgeht.

Zum Wesen des Sommerlochs gehört, dass Journalisten, die gerade keinen Urlaub haben, es stopfen müssen. Normalerweise mit launigen oder abseitigen Geschichten in nachrichtenarmer Zeit.

Doch während Wien 2022 unter der Augusthitze ächzt, treibt ein überhaupt nicht erheiterndes Thema die verbliebenen Blattmacher in der österreichischen Hauptstadt um: der mutmaßliche Selbstmordversuch des FPÖ-Politikers Hans-Jörg Jenewein. Und wieder geht es auch um Querelen bei den »Blauen«, wie die Vertreter der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs gemeinhin genannt werden.

Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hier finden Sie – auch anonyme – Hilfsangebote in vermeintlich ausweglosen Lebenslagen. Per Telefon, Chat, E-Mail oder im persönlichen Gespräch.

Jenewein hat die FPÖ, vermutlich unter Druck, Anfang August verlassen. Er galt als enger Vertrauter des rabiaten Parteichefs Herbert Kickl. Die Hintergründe seines Suizidversuchs beschäftigen Ermittler des Bundeskriminalamts sowie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

»Intrigantenhaufen« und »Schlangengrube«

Sie fanden auf Jeneweins Computer den Entwurf einer sechsseitigen anonymen Anzeige gegen führende Vertreter der Wiener Landesparteigliederung. Die Anzeige war im Oktober erstattet worden, Jenewein gilt als mutmaßlicher Verfasser. Im Kern geht es dabei um den Verdacht auf illegale Parteienfinanzierung durch FPÖ-nahe Spendenvereine.

Hans-Jörg Jenewein: Die FPÖ verlassen, vermutlich unter Druck

Hans-Jörg Jenewein: Die FPÖ verlassen, vermutlich unter Druck

Foto: (c) Leopold Nekula / Viennareport / IMAGO

Es würde zu weit führen, das byzantinische Gestrüpp der Freiheitlichen in wenigen Worten durchleuchten zu wollen. Die Grabenkämpfe in der Partei bezeichnete ausgerechnet der über die Ibiza-Affäre gestolperte Langzeitvorsitzende und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Rückblick als »Intrigantenhaufen« und »Schlangengrube«.

Gute Umfragewerte trotz interner Kämpfe

Da stehen sich kampfbereite Bataillone gegenüber, Wiener gegen Oberösterreicher und Vorarlberger, Fürsprecher des kleinen Mannes gegen Wirtschaftsliberale, Impfbefürworter gegen Coronaleugner. Jeneweins Schwester, die stellvertretende FPÖ-Parteivorsitzende Dagmar Belakowitsch, behauptete auf dem Höhepunkt der Pandemie, in Österreichs Krankenhäusern belegten nicht »die bösen Ungeimpften« die Betten, sondern viele, »die aufgrund eines Impfschadens behandelt werden müssen«.

Für die Freiheitlichen kommt das Geraune über neue Affären und parteiinterne Zerwürfnisse zur Unzeit. Im September stellt sich Hardliner Kickl, Parteichef und ehemaliger Redenschreiber Jörg Haiders, zur Wiederwahl. Am 9. Oktober geht Walter Rosenkranz für die FPÖ ins Rennen um das Amt des Bundespräsidenten – gegen den wieder kandidierenden, dann knapp 79-jährigen Alexander Van der Bellen, ehemals Obmann der Grünen.

In Meinungsumfragen lag die FPÖ noch vor wenigen Tagen, unbeschadet ihrer Ibiza-Affäre und anderer Fehltritte, mit 23 Prozent auf Rang zwei – deutlich vor der Kanzlerpartei ÖVP und vor deren Koalitionspartnern, den Grünen.

FPÖ-Vorsitzender Herbert Kickl

FPÖ-Vorsitzender Herbert Kickl

Foto: Daniel Novotny / EPA

Kickl punktet mit seinem dezidiert coronakritischen und fremdenfeindlichen Kurs weiter bei Wählerinnen und Wählern. In der eigenen Partei hingegen ist der scharfzüngige Kärntner nicht unumstritten. Je mehr Hintergründe in der Causa Jenewein ans Licht kommen, desto stärker dürfte auch Kickls eigene Rolle untersucht werden. War am Ende er es, der durch seinen Vertrauten offene Rechnungen mit den Wiener Parteigenossen begleichen lassen wollte?

Dem asketischen Kickl, einem passionierten Marathonläufer, ist zuzutrauen, dass er die aktuelle Krise übersteht und die Partei wieder auf Kurs bringt. Am 7. September sind es exakt 20 Jahre, dass die FPÖ im steirischen Knittelfeld durch einen parteiinternen Putsch in ihre bis dahin tiefste Krise gestürzt wurde. Kickl war schon damals dabei. Eine Wiederholung wird er sich kaum wünschen wollen.

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Mit freundlichen Grüßen

Walter Mayr, Korrespondent für Österreich und Südosteuropa, DER SPIEGEL

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