Ertrunkene Migranten »Frankreich wird nicht zulassen, dass sich der Ärmelkanal in einen Friedhof verwandelt«

Aktivistinnen und Aktivisten demonstrieren nach dem Unglück am Strand von Calais
Foto: Michel Spingler / dpaNach dem Tod von mindestens 31 Menschen im Ärmelkanal geben sich britische und französische Stellen gegenseitig die Schuld an der Katastrophe. Der britische Premierminister Boris Johnson mahnte zwar eine Zusammenarbeit an, zugleich forderte er aber Frankreich zu schärferen Kontrollen auf. Hingegen warf die Bürgermeisterin der französischen Küstenstadt Calais, Natacha Bouchart, Johnson Feigheit vor. Der Premier übernehme keine Verantwortung, sagte Bouchart.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verlangte eine Dringlichkeitssitzung der Ministerinnen und Minister, die in den EU-Mitgliedstaaten für Migrationsfragen zuständig sind. »Frankreich wird nicht zulassen, dass sich der Ärmelkanal in einen Friedhof verwandelt«, hieß es in einer Erklärung Macrons. Darin forderte er zudem eine umgehende Verstärkung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex. Seit Jahresbeginn seien an der französischen Küste bereits 1552 Schleuser festgenommen und 44 Schleusernetzwerke zerschlagen worden. »Wenn wir nicht sofort unsere Anstrengungen verstärken, werden sich weitere Tragödien wiederholen.«
Am Mittwoch war ein Boot mit 33 Migrantinnen und Migranten, die illegal nach Großbritannien einreisen wollten, im Ärmelkanal gekentert. Dabei starben 31 Menschen, darunter fünf Frauen und ein Mädchen, wie die französischen Behörden mitteilten. Vier mutmaßliche Schleuser wurden festgenommen. Nach französischen Angaben war es der bisher schlimmste Vorfall mit Flüchtenden in der Meeresenge. Innenminister Gérald Darmanin sagte, das gebrechliche Schlauchboot ähnele eher einem aufblasbaren Swimmingpool für den Garten.
Frankreich fordert mehr Hilfe aus London
Darmanin pochte auf ein härteres Vorgehen gegen die Schleuser, die er mit Terroristen und großen Drogenbossen verglich. »Das ist ein internationales Problem«, sagte er. »Die Antwort muss auch aus Großbritannien kommen, wir müssen gemeinsam gegen Schleuser kämpfen.« Nötig sei ein koordiniertes Vorgehen auch unter Einbindung von Belgien, den Niederlanden und Deutschland.
Der Ärmelkanal zwischen Dover und Calais gilt als die verkehrsreichste Schifffahrtsstraße der Welt. In Nordfrankreich warten etliche Schutzsuchende unter widrigen Umständen auf eine Überfahrt nach Großbritannien.
Im laufenden Jahr haben bisher mehr als 25.700 Menschen illegal den Ärmelkanal überquert. Das sind mehr als dreimal so viele wie im gesamten Jahr 2020. Erst im Juli hatten London und Paris ein neues Kooperationsabkommen vereinbart, um die wachsende Zahl der Migranten, die mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nach England kommen, in den Griff zu bekommen. London sagte dabei 62,7 Millionen Euro zu, um die französischen Behörden zu unterstützen.
Nicht »mit Mord davonkommen«
Das Unglück zeige, »dass die Banden, die Menschen in diesen gefährlichen Gefährten aufs Meer schicken, sich von nichts stoppen lassen«, sagte Premier Johnson. Er bot an, die französischen Beamten bei den Kontrollen am Kanal zu unterstützen. Wenn den Schleusern nicht deutlich gemacht werde, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniere, würden sie weiterhin die Leben von Menschen aufs Spiel setzen und »mit Mord davonkommen«, sagte Johnson.
Kritik schlug Johnson aber auch im eigenen Land entgegen. Die menschenfeindliche Politik seiner konservativen Regierung sei für die Tragödie verantwortlich, betonten mehrere Politiker der oppositionellen Labourpartei am Mittwochabend. Anstelle schärferer Asylgesetze müsse die Regierung humane und sichere Wege nach Großbritannien bieten.