Nahe Saarbrücken Frankreichs letztes Kohlekraftwerk soll wohl länger laufen

Für die Nuklearnation Frankreich wäre der Kohleausstieg leicht. Am Donnerstag sollte im letzten Kraftwerk an der deutschen Grenze Schluss sein. Doch jetzt läuft die Anlage auf Hochtouren, mit Kohle aus Russland.
Das letzte seiner Art: Kohlekraftwerk »Emile Huchet« in der Gemeinde Carling, einem lothringischen Grenzort zum Saarland

Das letzte seiner Art: Kohlekraftwerk »Emile Huchet« in der Gemeinde Carling, einem lothringischen Grenzort zum Saarland

Foto: Christian Hartmann/ REUTERS

Eigentlich war der Kohleausstieg in Frankreich längst besiegelt, Ende März sollte das bis auf ein Reservekraftwerk letzte Kohlekraftwerk bei Saint-Avold nahe Saarbrücken vom Netz gehen. Rechtzeitig vor der Präsidentschaftswahl im April wäre damit der Abschied von der im Atomland Frankreich ohnehin kaum noch relevanten, klimaschädlichen Kohleverstromung vollzogen. Doch seit einigen Wochen läuft das Kraftwerk per Sondergenehmigung auf Hochtouren, 90.000 Tonnen noch vor Beginn des Ukrainekriegs importierte Kohle aus Russland werden Tag und Nacht verfeuert. Ob das Kraftwerk wirklich am kommenden Donnerstag schließt, steht plötzlich infrage.

Es gehe um eine Neubewertung der Situation, sagte eine Sprecherin des Umweltministeriums in Paris der Deutschen Presse-Agentur. Zwei Faktoren spielten eine Rolle: Von den 56 französischen Atomkraftwerken seien im Moment 15 zur Wartung und wegen Korrosionsproblemen vom Netz, noch für längere Zeit gebe es weniger Atomstrom als geplant. Mit dem Krieg in der Ukraine komme eine neue Einschränkung hinzu, man müsse Szenarien einer geringeren Verfügbarkeit von Erdgas durchspielen, das ebenfalls zur Stromerzeugung genutzt wird. Der nationale Stromkonzern EDF und der Netzbetreiber seien um Untersuchungen gebeten worden.

Auch in Deutschland hinterfragt die Bundesregierung wegen des Kriegs ihre Pläne zum Kohleausstieg. Hier spielt die Kohle aber eine weitaus bedeutendere Rolle; die Ampelkoalition hatte einen Ausstieg »idealerweise« bis 2030 vereinbart. Mehr Kohlestrom wäre ein vergleichsweise leichter Weg, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren. Die in Deutschland verbrannte Steinkohle wird zwar zu einem noch höheren Anteil aus Russland geliefert, lässt sich aber leichter aus anderen Ländern ordern. Zudem gibt es Braunkohle als heimische, wenn auch besonders schmutzige Energiequelle.

Wie der Sender Europe 1  aus dem Umfeld der Pariser Umweltministerin Barbara Pompili erfuhr, wird die Laufzeit des Kraftwerks in Lothringen wahrscheinlich verlängert. »Mit dem Krieg in der Ukraine befinden wird uns in einer neuen Situation, wir treffen eine Entscheidung in den nächsten Tagen«, zitierte der Sender aus dem Umfeld der Umweltministerin. Der Tag der offenen Tür im Kraftwerk an diesem Samstag wird also wohl kein sofortiges Abschiednehmen für Anlieger und ehemalige Beschäftigte vom Kraftwerk »Emile Huchet« bedeuten.

Gewerkschafter gegen Saar-Strom

Das Werk in der an das Saarland grenzenden Gemeinde gehörte von 2008 bis 2019 dem deutschen Energiekonzern E.on und dessen Abspaltung Uniper. Seitdem gehört es der tschechischen Holding EPH, die auch große Anteile am deutschen Braunkohlegeschäft hat. Seit 2015 läuft nur noch der Kraftwerksblock sechs.

Bei den Beschäftigten war die angekündigte Schließung des Kraftwerks angesichts der Energiekrise auf Unverständnis gestoßen. Wie Gewerkschafter Jean-Pierre Damm der Zeitung »L'Obs«  sagte, ergebe es wenig Sinn, das Kraftwerk zu schließen und dann aus der Not Kohlestrom aus dem Saarland einzukaufen. »Wo ist der ökologische Nutzen?«, fragte er. »Ich sage nicht, dass wir zehn Jahre weitermachen müssen. Aber wenn wir ohne russisches Gas auskommen müssen, werden wir die Kohle in den nächsten Monaten noch benötigen.«

Egal wie lange die Gnadenfrist für den 1981 vom damals frisch gewählten Präsidenten François Mitterrand eröffneten Kraftwerksblock ausfällt, das einstige Stahl- und Kohlerevier Lothringen ringt seit Jahren mit dem Strukturwandel nach Schließung der Kohleminen und der meisten Stahlwerke. Am Standort Saint-Avold wurde im Dezember bereits der Grundstein für ein Biomassekraftwerk gelegt. Pläne gibt es auch für ein grenzüberschreitendes Wasserstoffprojekt unter Einbindung von Luxemburg und dem Saarland.

ak/dpa
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