

Frauengefängnis in Argentinien »Ich danke Gott, dass ich erwischt wurde«

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.
Paola lief von zu Hause weg, als sie 13 Jahre alt war, denn dort drohte ihr Gewalt. Sie lebte einige Jahre auf der Straße. Dann wurde sie schwanger. Als ihr Freund das herausfand, verließ er sie. Paola hatte keine Arbeit und wusste nicht, wovon sie leben sollte.
Also fing sie an, für einen Dealer aus dem Viertel zu arbeiten. Sie sollte die Drogen nur schnell zu den Kunden ihres Chefs bringen, wenn die an der Straßenecke auftauchten. Mit dem Geld, das sie in den ersten Monaten verdiente, konnte sie ein Zimmer für sich und ihren neugeborenen Sohn mieten.
Ein neuer Partner kam in ihr Leben. Paola gab ihren Job im Drogenbusiness auf und bekam zwei weitere Kinder. Doch als auch der neue Partner sie verließ, ging sie erneut auf der Straße dealen. Wieder erschien der Job einfach. »Was ich in einem Monat mit Drogen verdiente, verdiene ich in sechs Monaten mit Putzen«, sagt Paola.

Paola, 35, frittiert Kuchen für ihre Verwandten, die sie im Frauengefängnis von Buenos Aires besuchen
Foto: Magalí DruscovichSeit 2019 sitzt Paola, heute 35, in der Frauenabteilung des Gefängnisses Unit 47 von Buenos Aires ein. Sie wurde zu vier Jahren verurteilt. Die Fotografin Magalí Druscovitch hat sie dort getroffen und ihre Geschichte und die anderer Frauen dokumentiert.
Drogenbesitz ist mit Abstand die häufigste Haftursache für Frauen in Argentinien. 43 Prozent aller Insassinnen sind deswegen im Gefängnis. Die zweithäufigste Ursache, Diebstahl, trifft nur auf 9 Prozent zu.
Lateinamerikas besonders strenge Gesetzgebung in Bezug auf Drogendelikte führt dazu, dass immer mehr Frauen in den Gefängnissen landen. Laut dem Washington Office on Latin America hat sich die Anzahl der Frauen, die wegen Drogenbesitzes inhaftiert sind, in den vergangenen 20 Jahren wesentlich stärker erhöht als die der Männer. Dabei sind sie meist nicht die Drahtzieher, sondern nur kleine Fische, das schwächste Glied in der Kette. Sie sind aber besonders sichtbar, weil sie nicht im Hinterzimmer, sondern auf der Straße unterwegs sind, um den Stoff zu verkaufen. Viele von ihnen sehen keine andere Möglichkeit, um sich und ihre Familien durchzubringen.
Redaktion und Übersetzung: Nicola Abé

Die Geschichten der Frauen aus Unit 47
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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