Vernichtendes Urteil über Grenzschutzagentur Europäischer Rechnungshof kritisiert Frontex

Scharfe Kritik am Management von Frontex: Der Europäische Rechnungshof wirft der Grenzschutzagentur vor, sie erfülle ihre Aufgaben nicht und habe sich »übernommen«. Man könne an der Daseinsberechtigung der Agentur zweifeln.
Frontex-Direktor Fabrice Leggeri

Frontex-Direktor Fabrice Leggeri

Foto: Tatiana Bolari / imago images/ANE Edition

Der Europäische Rechnungshof hat in einer Untersuchung erhebliche Mängel bei der Arbeit der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex festgestellt. Die Agentur erledige ihre Aufgaben nicht vollständig und sei nicht effektiv genug, heißt es in einem Sonderbericht, der am Montagnachmittag veröffentlicht worden ist.

Frontex spiele bei der Kontrolle der EU-Außengrenzen eine wesentliche Rolle, sagte das zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs, Leo Brincat. »Dieser Auftrag wird von Frontex zurzeit jedoch nicht wirksam erfüllt.« Die Verfehlungen seien so groß, dass man beginnen könne, an der Daseinsberechtigung der Agentur zu zweifeln.

Frontex ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und hat zugleich mehr Macht erhalten. 2005 betrug das Budget der Agentur gut sechs Millionen Euro, bald sollen ihr 900 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. Frontex wird zudem eigene Einsatzkräfte an Europas Außengrenzen entsenden. Diese sogenannte ständige Reserve, die ersten eigenen Grenzschützer der EU, besteht aus 10.000 Polizistinnen und Polizisten. Es ist das Prestigeprojekt der Grenzschutzagentur.

»Frontex hat sich übernommen«

»Frontex hat sich übernommen«, sagt Brincat. Die Agentur sei zu schnell gewachsen. Sie evaluiere ihre eigene Performance und die gemeinsamen Operationen mit EU-Mitgliedstaaten nicht ausreichend.

Der Informationsaustausch mit den EU-Ländern funktioniere nicht. Die Daten der Agentur zur Migration nach Europa seien nicht vollständig. Die Agentur leiste keinen ausreichenden Beitrag zur Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität und sei auch nicht transparent genug, kritisierte Brincat weiter. Unter anderem mache die Agentur keine Angaben zu den tatsächlichen Kosten ihrer Einsätze.

Oft sei die Agentur »selbst ihr größter Feind«, so Brincat. Ob Frontex große Vorhaben wie den Aufbau der ständigen Reserve erfolgreich durchführen könne, sei unklar. Bevor Frontex weitere Aufgaben übernehmen könne, müsse die Agentur nachbessern.

Frontex schlittert von einer Affäre in die nächste

Im Frühjahr hatte der SPIEGEL gemeinsam mit weiteren Recherchepartnern über das Management-Chaos bei Frontex berichtet. Beamte schilderten den Rechercheuren zahlreiche Probleme beim Aufbau der ständigen Reserve. Ihnen fehlte es an Dienstwagen, die Beamten mussten teure SUV anmieten und teils das Benzin selbst zahlen. Spesen wurden nicht erstattet, Teile der neuen Uniformen fehlten – sie mussten von den Polizisten selbst gekauft werden.

Unter dem französischen Direktor Fabrice Leggeri schlittert die Agentur von einer Affäre in die nächste. Im Januar wurde bekannt, dass das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) ein Verfahren gegen Frontex eröffnet hat. Bei den Ermittlungen geht es um einen möglichen Betrugsfall im Zusammenhang mit einem Dienstleister, darum, ob Leggeri oder ein Vertrauter Mitarbeiter mobben – und die Frage, ob der Grundrechtsbeauftragten der Agentur Informationen vorenthalten wurden. Interne Dokumente, die der SPIEGEL einsehen konnte, legen nahe, dass Leggeris gesamter Führungsstil auf dem Prüfstand steht.

Vergangenen Herbst enthüllte der SPIEGEL gemeinsam mit internationalen Medienpartnern, dass Frontex-Einsatzkräfte in sogenannte illegale Pushbacks verwickelt sind. In der Ägäis stoppen griechische Grenzbeamte Boote mit vorgehaltenen Waffen und setzen die Asylsuchenden einfach auf dem Meer aus. Frontex-Beamte wissen davon und übergeben den Griechen die Boote. Leggeri selbst vertuscht die Rechtsbrüche.

Sonstige / nicht nicht zuzuordnen

Auch die Arbeit der Agentur im zentralen Mittelmeer ist umstritten. Dort arbeitet Frontex – entgegen den Behauptungen ihres Direktors – eng mit der libyschen Küstenwache zusammen. Diese fängt Flüchtlingsboote ab und schleppt sie nach Libyen zurück. Dort werden Geflüchtete eingesperrt, gefoltert, erpresst und bisweilen getötet. Die Recherchen des SPIEGEL und seiner Recherchepartner zeigen, dass Frontex die libyschen Operationen offenbar systematisch dirigiert.

»Das ist für eine EU-Agentur nicht akzeptabel«

Seit den Enthüllungen ist eine europaweite Diskussion um die Kontrolle der Grenzagentur entbrannt. Das Europaparlament arbeitet derzeit an einem Untersuchungsbericht, ein Großteil der Abgeordneten fordert Leggeris Rücktritt.

Der Bericht des Rechnungshofs werfe nun erneut die Frage auf, ob die EU-Abgeordneten weiteren Budgeterhöhungen zustimmen sollten, sagte der Grünenpolitiker Erik Marquardt dem SPIEGEL. Bei Frontex gelte schon viel zu lange »je größer, desto besser«. »Offenbar hat man Milliarden bereitgestellt, ohne sich anzuschauen, wo das Geld effizient eingesetzt werden kann und wie groß der Bedarf ist.« Bei Frontex herrsche Intransparenz, es würden Steuern verschwendet und Menschenrechte verletzt. »Das ist für eine EU-Agentur nicht akzeptabel.«

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