Sie bewachen eine Grenze – die gleichzeitig eine Wanderbaustelle ist.
Ortsmarke: Wald Białowieża, polnisch-belarussische Grenze
Polen errichtet eine Mauer, im Urwald, der an Belarus grenzt. Seit Monaten versuchen Migranten hier in die EU einzureisen. Die Mauer soll sie abhalten. 366 Millionen Euro gibt die polnische Regierung aus für die 180 Kilometer lange Barriere. Fünfeinhalb Meter hoch soll sie werden.
Steffen Lüdke, DER SPIEGEL:
»Die Mauer ist natürlich ein Symbol. Ein Zeichen der Stärke in Richtung Lukaschenko.«
Im Herbst hat der belarussische Machthaber Lukaschenko Polen unter Druck gesetzt, indem er Geflüchtete, vor allem aus dem Irak und Nordafrika, nach Minsk einlud und sie dann in Richtung polnischer Grenze schickte. Ein paar tausend sollen es insgesamt sein. Ihnen gegenüber stehen inzwischen auf polnischer Seite 12.000 Soldaten und Grenzbeamte.
Steffen Lüdke, DER SPIEGEL:
»Eine Migrationskrise wie 2015, sage ich mal, als eine Million Menschen nach Europa gekommen sind, um Schutz zu suchen, hat es an der polnischen Grenze einfach nicht gegeben. Die Zahl der Schutzsuchenden war schon immer relativ klein, zumindest für einen sehr großen Kontinent wie Europa. Man hätte diese Menschen ohne Weiteres aufnehmen können. (…) Was es in erster Linie aus meiner Sicht gab, war eine humanitäre Krise. Denn natürlich ging es diesen Menschen im Wald schlecht."
Mindestens 17 Geflüchtete sind dort in der Winterkälte der vergangenen Wochen gestorben. Die Mauer, das zumindest hofft die polnische Regierung, soll verhindern, dass sich Menschen überhaupt erst auf den Weg an diese Grenze machen. Kann das funktionieren?
Steffen Lüdke, DER SPIEGEL:
»Man muss dazu wissen: In Griechenland gibt es eine solche Mauer schon, auch so eine Art Barriere, über fünf Meter hoch. In Spanien gibt es hohe Mauern und Zäune mit Stacheldraht obendrauf. Das hält Menschen nicht davon ab, wenn sie wirklich verzweifelt sind, zu versuchen, in der EU Schutz zu suchen.
Die große Lehre aus Jahrzehnten der Migrationsforschung ist, dass, wenn man solche Mauern baut, wenn man einige Routen so dicht macht, dass man da kaum mehr durchkommt, dass Menschen, Asylsuchende, versuchen, auf anderen Wegen nach Europa zu kommen – und die sind fast immer noch gefährlicher. Aus meiner Sicht wird das in Polen auch passieren.
Man sieht, dass im Norden des Landes die Mauer gebaut wird, an der Nordseite der Grenze sozusagen. Und gerade im Süden verläuft die Grenze entlang von Flüssen, von Gewässern, von Seen. Und dort sind jetzt schon Menschen ertrunken. Dort wird keine Mauer gebaut! Es kann einfach sein, dass die belarussischen Grenzbeamten die Menschen dann dorthin schicken und anhalten, dort die Grenze dort zu überqueren, was natürlich deutlich gefährlicher ist.«
Bis Sommer soll die Mauer stehen. Währenddessen streitet die EU über die Finanzierung solcher Grenzanlagen. Polen und Litauen, das ebenfalls eine gemeinsame Grenze mit Belarus hat, hätten für die Grenzbefestigung gerne Geld von den anderen Mitgliedsstaaten. Auch der EU-Ratspräsident Charles Michel hält es inzwischen für denkbar, »physische Infrastruktur« zum Grenzschutz aus EU-Mitteln zu finanzieren.
Steffen Lüdke, DER SPIEGEL:
»Ich erinnere nur daran, dass die Europäer, als Donald Trump das in den USA getan hat, sich sehr pikiert gezeigt haben. Nach dem Motto, ›oh, da möchte wieder einer eine Mauer ziehen‹. Das wurde als peinlich empfunden, als rigorose Abschottung, die in Europa undenkbar wäre. Und heute sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die Hälfte der EU-Staaten, grob gesagt, das mit Steuergeldern finanzieren möchte.«
Während die Politik ringt, bewachen die Grenzschützer im polnischen Wald eine Baustelle – die ein Symbol geworden ist. Auch dafür, dass die EU nach wie vor keine plausible Strategie zum Thema Einwanderung hat.