Geflüchtete in Bosnien Winter im Transitland
Mohammed, Geflüchteter aus Syrien
Die andere Seite wurde auch genäht. Hier und dort sind noch weitere Verletzungen. Und in den Rücken haben sie mich auch getreten.“
Geflüchteter
Schläge. Zurück. Die kroatische Polizist schlägt zu. Zurück. Problem.
Bihać im Nordwesten von Bosnien-Herzegowina. Hinter der Stadt erheben sich die Plješevica-Berge, auf deren Gipfeln schon Schnee liegt. Dort oben beginnt Kroatien. Über diese Grenze wollen Tausende Migranten, um in die EU zu gelangen und Asyl zu beantragen. Um sich an den kroatischen Grenzwächtern vorbeischmuggeln, ziehen viele hier durch einen Wald. In Teilen des Gebiets liegen bis heute Minen aus dem Jugoslawienkrieg. Der Transit durch Bosnien gilt als Alternative, seitdem die traditionelle Balkanroute über Ungarn abgeriegelt ist. Rund 8000 Migranten sind derzeit in Bosnien registriert, hinzu kommt eine Dunkelziffer nicht erfasster Personen. (Quelle: Caritas Europa). Ungeachtet der Risiken machen sich selbst im Winter jeden Tag kleine Gruppen auf den Weg in die Berge. Die meisten aber suchen nur nach einer Unterkunft für die kalten Monate in Bosnien. Einer von ihnen ist Sharouz aus Pakistan. Weil der 22-Jährige keinen Platz im Aufnahmelager bekommen hat, muss er sich im Fluss waschen. Zwölf Mal habe er versucht, die Grenze zu überqueren, erzählt er uns. Doch die kroatische Polizei habe ihn jedes Mal abgefangen. In diesem Winter will er es nicht noch einmal versuchen. Sharouz und sein Freund schlafen dort, wo sie einen Platz finden. Andere Migranten haben sich in dieser alten Metallfabrik eingerichtet. Mehr als Dach und Wände gibt es hier nicht. Ein Jugendlicher aus Afghanistan zeigt uns den Raum, in dem er und seine Landsleute seit zwei Monaten übernachten. Zwischendurch hätten sie fünf Mal versucht, nach Kroatien zu gelangen, sagt der 16-jährige Khalid.
Khalid, Geflüchteter aus Afghanistan
„Wir schlafen in diesem Raum. Es ist sehr schmutzig. Wir haben keine Schlafsäcke. Wir haben keine Fenster. Es ist sehr kalt. Ins Lager Bihać kommen wir nicht rein.“
Nach dem letzten Versuch, es durch den Schnee über die Grenze zu schaffen, habe ihnen die kroatische Polizei die Schlafsäcke weggenommen und verbrannt, sagen die Jungs. Gekocht wird im Nebenraum, der Rauch beißt in den Augen. Das Geld reicht nur für eine Mahlzeit am Tag.
Khalid, Geflüchteter aus Afghanistan
„Jeden Abend essen wir. Morgens und nachmittags essen wir nicht. Nur am Abend.“
Heute gibt es Tomaten mit Bohnen und Ei. Hilfsorganisationen kommen hier nur selten vorbei, weil die bosnischen Behörden die Unterstützung illegaler Unterkünfte nicht gern sehen. Wie jeden Morgen geht Sharouz mit seinem Freund zum Lager der UNO-Behörde IOM, um nach einem Schlafplatz zu fragen. Auch heute vergeblich. In der ehemaligen Kühlschrankfabrik Bira sind 2100 Menschen untergebracht, 600 über der Kapazitätsgrenze. Offiziell wird niemand mehr aufgenommen - trotzdem kommen täglich neue Leute dazu.
Amira Hadžimehmedović, Leiterin IOM-Aufnahmelager Bira
„Sie klettern über den Zaun, das heißt, sie kommen auf andere Weise als über den Haupteingang rein. Das größte Problem ist die Überfüllung des Aufnahmezentrums. Die Lösung wäre ein weiteres Camp irgendwo anders. Dann könnten wir die Anzahl der Leute senken, an die Kapazität anpassen und das Camp ungestört betreiben.“
Ein zweites Aufnahmezentrum, die gleichen Probleme: Auch hier in Miral teilen sich zwei Menschen ein Bett. Solange die bosnischen Behörden keine Gebäude für weitere Lager bereitstellen, wird sich daran nichts ändern. Auch wenn die Aufnahmelager in Bosnien-Herzegowina von der EU finanziert werden - der fünftärmste Staat Europas ist überfordert mit den Migranten. Schätzungsweise 50.000 kamen seit 2018, meist aus Griechenland. Sie sehen das Land zwar nur als Transitzone in den EU-Staat Kroatien, doch weil die kroatische Polizei sie nicht durchlässt, bleiben sie meist in Bosnien stecken. Mohammed kommt aus Syrien. Seine Frau und sein Baby leben bereits in den Niederlanden. Für ihn selbst blieb nur der Weg über die bosnisch-kroatische Grenze. Viermal hat er es versucht. Anfang Dezember (Anm.: 4.Dezember 2019) hätten Polizisten in Kroatien einen Hund auf ihn gehetzt, berichtet er - hier eine Aufnahme kurz nach seinem Pushback nach Bosnien.
Mohammed, Geflüchteter aus Syrien
„Wir haben die kroatische Polizei angerufen, weil es sehr kalt war. Die Polizei hat gesagt: Kommt zur Straße. Wir holen Euch dort ab. Die Polizisten waren sehr freundlich. Dann kam ein anderer Mann mit einem Skoda in dem ein Hund war. Er öffnete die Tür des Autos und ließ den Hund heraus. Der Hund sprang und biss mich. Ich versuchte wegzurennen, weil ich Angst vor dem Hund hatte. Aber die Polizisten hielten mich fest und schmissen mich auf den Boden und ließen den Hund weiter zubeißen.“
Die Wunden sind noch immer nicht verheilt. Aus Kroatien zurückgeschickt, schleppte Mohammed sich durch den Wald - diese Aufnahme gibt es nur, weil er zuvor sein Handy in der Unterhose versteckt hatte. Ein Bosnier sagte uns, er habe den Syrer dann ins Krankenhaus gebracht. Zahlreiche Migranten schildern uns, dass die kroatische Polizei Handys zerstören und Gepäck verbrennen würde. Ein Indiz finden wir auf der kroatischen Seite der Grenze: verkohlte Reste von Rucksäcken und auch von Mobiltelefonen - an einer Stelle, wo nach Berichten von Hilfsorganisationen häufig Migranten ins bosnische Lohovo zurückgetrieben wurden. Die deutsche Europaabgeordnete Cornelia Ernst hat kürzlich mit einer Delegation der Linkenfraktion Aufnahmelager in Bosnien besucht. Sie kritisiert, dass die EU illegale Pushbacks durch Kroatien dulde. Denn nach europäischem Recht dürfen Migranten nicht ohne Einzelfallprüfung ihrer Asylbegehren an der Grenze zurückgewiesen werden. Als Folge säßen die Migranten in Bosnien fest. Die Linkenpolitikerin wirft der EU vor, das Land mit dem Problem allein zu lassen.
Cornelia Ernst, MEP Die Linke
„Dieses Land hier im Übrigen hat ja nun Krieg gehabt. Die haben alles durch. Und jetzt sollen sie das Problem für sich allein lösen. Das ist doch unfair. Ich glaube, hier ist grundsätzlich noch einmal Druck zu machen. Es sehen auch viele Kollegen im Europaparlament. Wir wollen auch im Parlament das weiter und weiter und weiter thematisieren, vor allem auch die Pushbacks. Denn das kann jedes Land für sich selber regeln. Dazu brauche ich noch nicht einmal eine europäische Regelung, Menschenrechte einzuhalten.“
Trotz aller Hindernisse - die Hoffnung auf Europa lassen sich viele Migranten nicht nehmen. Auch der 26-jährige Wakas aus Pakistan nicht.
Wakas, Geflüchteter aus Pakistan
„Ich bin fürchterlich gescheitert. Drei Mal haben sich mich gefasst und mich geschlagen als wenn ich kein Mensch sei. Sie haben mich so schlimm geschlagen. Die kroatische Polizei. Sie haben mein Telefon, meine Sachen weggenommen und verbrannt. Sie haben zu mir gesagt: Steig aus dem Auto aus. Als ich das gemacht habe, sagten sie: Wirf deine Tasche ins Feuer. Und ich habe gesehen, wie sie mein Telefon ins Feuer schmissen. Sie denken, sie können unseren Willen brechen. Aber das können sie nicht. Wir werden wieder und wieder losgehen, bis wir es schaffen.“
Auch an diesem Abend zieht hinter Bihać wieder eine Gruppe Richtung Grenze. „The game“ nennen die Migranten ihre Versuche, die EU zu erreichen. Auch wenn es ihnen damit bitter ernst ist.

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