Gewalt gegen Frauen in Nepal Sudhas Weg aus der Versteinerung

Für viele Frauen in Nepal wird das eigene Zuhause zur Lebensgefahr. Frauenhäuser in Kathmandu bringen regelmäßig Betroffene in Sicherheit. Ein Fotograf hat die Frauen über Jahre begleitet.
Von Maria Stöhr und Giacomo d'Orlando (Fotos), Hamburg und Kathmandu
Sudha wurde als Jugendliche vergewaltigt und geschwängert. Sie bekam Hilfe in einem Frauenhaus in Kathmandu, wo sie zurück ins Leben fand

Sudha wurde als Jugendliche vergewaltigt und geschwängert. Sie bekam Hilfe in einem Frauenhaus in Kathmandu, wo sie zurück ins Leben fand

Foto:

Giacomo d'Orlando

Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

Alle Artikel

Der Unterschied zwischen einem Haus, das sicher ist und einem Haus, das Gefahr bedeutet, besteht darin, dass man in einem sicheren Haus nicht geschlagen wird.

So hat es eine der Frauen beschrieben, mit der der Fotograf Giacomo d'Orlando in Nepal gesprochen hat. Er traf sie in einer speziellen Unterkunft für Frauen, die Opfer von Gewalt geworden waren. Frauen, die von ihren Ehemännern und Familien geschlagen oder missbraucht worden sind, in ihren eigenen vier Wänden. In unsicheren Häusern.

»Warum sollten sich die Frauen ausgerechnet mir, einem Mann anvertrauen?«

Fotograf Giacomo d'Orlando über seine Arbeit mit betroffenen Frauen

In Kathmandu, der nepalesischen Hauptstadt, besuchte d'Orlando eine Einrichtung, die in solchen Fällen Schutz bietet, das »Casa Nepal«. Frauen und Mädchen können dort wohnen, sie erhalten psychologische und medizinische Betreuung und Therapien; sie können dort Schulbildung nachholen, die ihnen in der Kindheit oft verwehrt worden ist, lesen und schreiben lernen. Wenn es den Frauen besser geht, können sie eine Ausbildung beginnen, etwa zur Schneiderin, um sich ein eigenes Einkommen und unabhängiges Leben zu finanzieren.

Kamala, 25 Jahre, wurde aus ihrem Dorf und ihrer Familie verstoßen, nachdem sie psychisch erkrankt war

Kamala, 25 Jahre, wurde aus ihrem Dorf und ihrer Familie verstoßen, nachdem sie psychisch erkrankt war

Foto:

Giacomo d'Orlando

Ab dem Jahr 2015 lebte Fotograf d'Orlando immer wieder längere Zeit in Nepal, besuchte die Frauen. Er sagt, viele hätten lange gebraucht, bis sie sich ihm öffneten und ihre Geschichten mit ihm teilten. Viele Frauen hätten Männer bis dahin nur als Unterdrücker und Täter wahrgenommen. »Warum sollten sie sich also ausgerechnet mir, einem Mann, anvertrauen?«, sagt d'Orlando.

»In den Frauenhäusern finden die Frauen ihre Stimme wieder«

Der Fotograf traf zum Beispiel Samiska. Sie kann ihre Hand nicht mehr öffnen, seit ihr Gewalt angetan wurde. Jedes Mal, wenn sie früher geschlagen wurde, hatte sie ihre Hand ganz fest zusammengeballt. So hielt sie, über Jahre, still die Schmerzen aus. Irgendwann blieb der Krampf in ihrer Hand. Bis heute, obwohl sie inzwischen in Sicherheit ist.

Die Geschichte von Sudha hat den Fotografen besonders bewegt. Er lernte sie kennen, als sie vor ein paar Jahren neu ins »Casa Nepal« kam. Sudha wurde als Jugendliche vergewaltigt und geschwängert. Es dauerte Jahre, bis sie auf den Fotos ihre versteinerten Gesichtszüge ablegte. Im vergangenen Jahr wirkte Sudha auf d'Orlando gelöster. Sie hat eine Lehre zur Schneiderin abgeschlossen. »In den Frauenhäusern finden die Frauen ihre Stimme wieder«, sagt d'Orlando.

In Kathmandu machen Street Artists auf die gestiegene Gewalt gegen Frauen in der Pandemie aufmerksam. Auch die Regierung hat reagiert und Banner in die Straßen gehängt für mehr Achtsamkeit

In Kathmandu machen Street Artists auf die gestiegene Gewalt gegen Frauen in der Pandemie aufmerksam. Auch die Regierung hat reagiert und Banner in die Straßen gehängt für mehr Achtsamkeit

Foto: Giacomo d'Orlando

In der Coronakrise hat die Gewalt gegen Frauen weltweit noch einmal zugenommen. Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO ist fast jede dritte Frau – etwa 852 Millionen weltweit – während ihres Lebens Gewalt ausgesetzt. Der Mord an einer jungen Frau in London Anfang März warf erst kürzlich wieder ein Schlaglicht auf das globale Problem.

In Nepal sitzen viele Betroffene seit der Pandemie mit ihren Peinigern auf engem Raum zusammen, sind finanziell abhängig von ihnen. Unterstützung aus den Familien und Gemeinden finden die Frauen selten. Suchen sie Hilfe, werden sie verstoßen. Der Leidensdruck, bis eine es wagt, bei einem entsprechenden Hilfetelefon anzurufen, ist enorm.

Zumindest hat die nepalesische Regierung auf die gestiegene Gewalt reagiert. Sie hängte sogenannte »Awareness Banners« in den großen Straßen von Kathmandu auf. Damit Menschen aufeinander Acht geben und bei allen möglichen Übergriffen, gerade jenen gegen Frauen, entsprechend Hilfe leisten. Außerdem wurde eine eigene Polizeistaffel nur aus Frauen gegründet. Die Polizistinnen nehmen sich gezielt der betroffenen Frauen an.

Sehen Sie in der Fotostrecke die Geschichten von betroffenen Frauen in Nepal, und wie sie es schaffen, ein neues Leben zu beginnen:

Fotostrecke

Nepal: Ein sicheres Haus für Frauen

Foto: Giacomo d'Orlando

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren