Griechenlands Präsidentin Sakellaropoulou Die erste Frau im Staat

Präsidentin Katerina Sakellaropoulou
Foto:Louisa Gouliamaki/ AFP
Es fängt schon mit ihrer Unbekanntheit an. Katerina Sakellaropoulou war zwar als hochrangige Richterin in juristischen und politischen Kreisen von Athen hochgeachtet. Der breiten Öffentlichkeit aber war sie praktisch fremd. Als Griechenlands konservativer Premierminister Kyriakos Mitsotakis sie im Januar für die Präsidentschaft des Landes nominierte, mussten viele Griechen erst mal nachschauen, wer diese Frau eigentlich ist, die ins Präsidentenpalais einziehen sollte. Das Amt ist normalerweise etablierten Politikern vorbehalten.
Noch ungewöhnlicher war, dass zum ersten Mal in der Geschichte Griechenlands eine Frau Staatsoberhaupt werden sollte - und damit Führerin der Streitkräfte und oberste Bürgerin der Nation. Der Schritt stellt eine Wende dar in dem Land mit Europas schlechtester Gleichstellungsbilanz, in dem Politik immer eine Männerdomäne war - und bis heute ist. Frauen werden nach wie vor systematisch unterbezahlt und sind in Politik und Wirtschaft unterrepräsentiert. Nur wenige Frauen dienen im Kabinett, die große Mehrheit der Abgeordneten im Parlament sind Männer.
Seltene überparteiliche Unterstützung
Dann ist da noch die parteiübergreifende Unterstützung, die Sakellaropoulou ihre Nominierung in Griechenlands zerklüfteter politischer Landschaft gesichert hat. 261 der 300 Abgeordneten im Parlament unterstützten sie.
Kritiker ihrer Nominierung störten sich an ihrem angeblichen Mangel an politischer Durchsetzungsfähigkeit, internationalen Verbindungen und Insiderkenntnis des Systems. Vielleicht aber machen genau diese Eigenschaften Sakellaropoulou zu einer guten Wahl. Die meisten Griechen bringen ihren Politikern nämlich wenig Wertschätzung entgegen - um es milde auszudrücken. Wer könnte das Land besser durch eine Nachkrisenära leiten als eine neue, von den Fehlern des politischen Systems unbelastete Juristin?
Verteidigerin von Minderheiten und Flüchtlingen
Sakellaropoulou fällt auch aufgrund ihrer Überzeugungen aus dem Rahmen. Als progressive Sozialliberale hatte sie während ihres Studiums Kontakte in linke Kreise. Anschließend verteidigte sie als Richterin vier Jahrzehnte lang Bürgerrechte, Minderheiten, Flüchtlinge und die Umwelt. Sie stimmte für gleichgeschlechtliche Partnerschaften und gegen sexuell diskriminierende Gesetze und machte den Besuch öffentlicher Schulen für Flüchtlingskinder zur Pflicht. Selbst vor der übermächtigen griechisch-orthodoxen Kirche und einer verärgerten Bevölkerung schreckte sie nicht zurück, als es darum ging, per Gesetz die Religionszugehörigkeit aus den griechischen Personalausweisen zu streichen.
"Ich freue mich auf eine Gesellschaft, die Rechte so achtet, wie sie in der Verfassung verankert sind", sagte die 64-Jährige in ihrer Dankesrede.
Sakellaropoulou ist in noch manch anderer Hinsicht unkonventionell. Als geschiedene Mutter eines Kindes lebt sie mit ihrem Partner in einem Land, in dem traditionelle Kernfamilien die Norm und politisch von Vorteil sind. Selbst ihr Facebook-Profil unterschied sich lange von den polierten Versionen der meisten anderen griechischen Politiker. Es zeigte sie auf Urlaubsbildern, beim Schmusen mit Kätzchen, mit ihrer Familie und als Kind bei Schulausflügen.
"Ein Staatsoberhaupt, auf das man stolz sein kann"

Katerina Sakellaropoulou
Foto: Louisa Gouliamaki/ AFPDem griechischen Staatsoberhaupt fehlen, wie in Deutschland, exekutive Befugnisse. Dennoch hat das Amt eine starke Symbolwirkung. Für viele Griechen verkörpert der Präsident oder die Präsidentin im Idealfall Stabilität und Einheit, vom Amtsinhaber erwarten sie, dass er sich über die politische Auseinandersetzung stellt. Die Griechen wollen stolz auf ihren Präsidenten oder ihre Präsidentin sein.
"Katerina Sakellaropoulou ist sehr beliebt, weil sie erfolgreich das nationale Bewusstsein zum Ausdruck bringt, das, was uns verbindet und uns mit einem gesunden demokratischen Patriotismus vereint", sagt Aristides Hatzis, Jura- und Wirtschaftsprofessor an der Universität Athen. "Sie ist eine Progressive, die sich die liberalen Werte der Toleranz und Vielfalt zu eigen macht und die Rechte und Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verteidigt. Sie symbolisiert und repräsentiert alles, was uns stolz macht, aber auch das, was wir anstreben und noch erreichen müssen."
Sakellaropoulous bisherige Bilanz als Präsidentin rechtfertigt dieses Lob. Sie hat sich mit religiösen Minderheiten getroffen, ein Zentrum für unbegleitete Flüchtlingskinder in Athen besucht und die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass ihre Wahl die Stellung der Frauen in Griechenland verbessern wird.
Im Gleichstellungsindex für 2019 rangiert Griechenland innerhalb Europas auf dem letzten Platz . Laut Eurostat betrug das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in Griechenland im Jahr 2017 mehr als zwölf Prozent - das muss sich nach Sakellaropoulous Auffassung dringend verbessern. Auch häusliche Gewalt ist ein zunehmendes Problem im Land, Polizeiberichte dokumentieren einen Anstieg von fast 35 Prozent zwischen 2014 und 2018.
"Die Gleichstellung der Geschlechter hinkt noch hinterher"
Im Gespräch mit dem SPIEGEL sagt Sakellaropoulou, bei der Gleichstellung der Geschlechter sei trotz großer Verbesserungen in den vergangenen Jahrzehnten viel Arbeit nötig. "Ich freue mich sehr über die Fortschritte der Frauen und ihre Anerkennung in verantwortungsvollen Positionen, und ich bin froh, dass meine Wahl zur Präsidentin diese Botschaft bekräftigt."
Sakellaropoulou fehlt der Schwulst und die Egozentrik der überwiegend männlichen Elite von Athen. Bei einem Besuch auf kleinen Inseln in der Ägäis Ende Juni trägt sie legere Kleidung - eine weiße Jacke, schwarze Hose und einen bunten Schal. Sie trifft sich mit Soldaten, Bürgermeistern, Umweltschützern, Studenten und Kleinunternehmern. Sie hört aufmerksam zu und lächelt viel.
Auf einem militärischen Außenposten auf der Ägäisinsel Agathonisi ruft sie Soldaten zu, sie mögen auf sich achtgeben. "Ihre Arbeit ist außerordentlich wichtig." Griechenland habe sich seit Langem um gute nachbarliche Beziehungen zur Türkei bemüht und investiere in das friedliche Miteinander der beiden Völker. "Wir sind jedoch nicht bereit, auf Souveränitätsrechte zu verzichten oder Streitigkeiten um das Staatsgebiet zu akzeptieren."
Eine Botschaft an die Türkei
Während des Besuchs von Sakellaropoulou auf der Insel hält sich die griechische Luftwaffe in höchster Alarmbereitschaft. Auf Kreta stehen F-16-Jets bereit, um mögliche Bedrohungen durch das türkische Militär abzuwenden. Die Türkei stellt weiterhin die griechische Souveränität über diese und mehrere andere Inseln in der Ägäis infrage. Es bleibt vorerst ruhig - vielleicht auch als Zeichen des guten Willens von Präsident Erdogan, der am Vortag mit Mitsotakis gesprochen hatte, um die Spannungen zu entschärfen. Türkische Medien beschweren sich darüber, dass das griechische Staatsoberhaupt "besetztes türkisches Territorium" betreten hätte. Am Tag darauf führen dann doch türkische F-16-Kampfflugzeuge nicht genehmigte Flüge über Agathonisi durch.
Was hofft die Präsidentin, in ihrer Amtszeit zu erreichen? Ihre Priorität sei die soziale Agenda, sagt sie, um diejenigen zu verteidigen, die unter den Krisen der vergangenen Jahre gelitten hätten. "Ich möchte, dass die Stimme unserer am meisten geschädigten Mitmenschen gehört wird."
Zum Umgang mit Flüchtlingen bezieht Sakellaropoulou klar Position: Griechenland befinde sich in einer besonderen Lage und habe eine unverhältnismäßig hohe Last geschultert, sagt sie. "Wir müssen unsere Heimat und unser Territorium schützen." Gleichzeitig müssten aber auch die Rechte jedes Asylsuchenden respektiert werden. "Griechenland hat eine große Tradition der Achtung der Menschenrechte und sollte diese Tradition ehren." Die Regierung wurde in der Vergangenheit heftig für ihren Umgang mit Migranten kritisiert, unter anderem weil die Küstenwache aggressiv gegen Flüchtlingsboote in der Ägäis vorging .
Was ihr Aufstieg an die Spitze des Staates für die Verbesserung der Lage der Frauen in Griechenland bedeuten kann, bezeichnet sie als "einen großen Schritt". Aber, auch das räumt sie ein: "Die gläserne Decke existiert immer noch, in Griechenland und auf der ganzen Welt."