Neuer britischer Finanzminister Haushalten in Zeiten von Brexit und Corona

Großbritanniens neuer Finanzminister Rishi Sunak muss Boris Johnsons teure Wahlversprechen finanzieren - und die Coronakrise zumindest finanziell bewältigen. Woher nimmt er das Geld?
Der britische Finanzminister Rishi Sunak mit dem roten Köfferchen, in dem sich traditionell das Manuskript zur Haushaltsrede befindet

Der britische Finanzminister Rishi Sunak mit dem roten Köfferchen, in dem sich traditionell das Manuskript zur Haushaltsrede befindet

Foto: PETER NICHOLLS / REUTERS

Weniger als einen Monat hatte Rishi Sunak Zeit, um sich auf den wichtigsten Termin des Jahres in seinem neuen Job als Finanzminister vorzubereiten: die Vorstellung des Haushaltsplans. Erst vor knapp vier Wochen hat der 39-Jährige das Amt übernommen, nachdem sein Vorgänger Sajid Javid überraschend zurückgetreten war - aus Unmut über einen von Johnson angekündigten Austausch seines Beraterstabs. Zwar war Sunak schon als dessen Stellvertreter mit den Topthemen des Finanzministeriums vertraut, doch die Erwartungen an ihn als Finanzminister sind enorm.  

So muss er zum einen mit seinem Haushaltsplan Boris Johnsons hochgesteckte Wahlversprechen einlösen. Neben dem Brexit hatte der Premier versprochen, die Lebensbedingungen in strukturschwachen Gebieten abseits der Großstädte aufzuwerten, mit besserer Verkehrsinfrastruktur, Breitbandausbau, bezahlbarem Wohnraum. Zum anderen überkam die Coronakrise das Land direkt nach Sunaks Amtsantritt - und das marode Gesundheitssystem war schon ohne die Pandemie überfordert, seine Modernisierung ein weiteres Wahlversprechen Johnsons.

Doch als der neue Finanzminister am Mittwoch vor die Presse trat, schwenkte er strahlend die rote Mappe mit dem Wappen der Queen, in der sich traditionell das Manuskript zur Haushaltsrede befindet. Der Haushaltsplan, den Sunak dann vorstellte, ist so ambitioniert wie ungewöhnlich für einen Konservativen. Den Geldhahn, den seine Vorgänger zugeschraubt hatten, drehte der neue Schatzmeister nun bis zum Anschlag auf: "Die Tories sind die neue Partei des öffentlichen Sektors", sagte er später im Parlament - ein Farewell an die Sparpolitik vorheriger Tory-Regierungen.

Obskure Pandemie-Pläne

Doch die eigene Regierung macht es ihm nicht leicht, das Virus finanziell zu bändigen, denn Johnsons Anti-Corona-Pläne sind obskur: Einerseits kommunizieren offizielle Stellen schlimmstmögliche Szenarien mit über 500.000 Toten durch das Virus, schon bei einer niedrigen Mortalitätsrate von einem Prozent. "Viele werden geliebte Menschen verlieren", sagte der Premier Ende der Woche, als er mögliche Gegenmaßnahmen vorstellte. Andererseits sind seine Pläne deutlich weniger stringent als die anderer Regierungen.

So sind Schulen und andere Betreuungseinrichtungen weiterhin geöffnet und Versammlungen von über 500 Menschen lediglich in Schottland verboten. Gleichzeitig berichten britische Medien wie der Fernsehsender ITV  unter Berufung auf Regierungskreise über drastische angedachte Maßnahmen wie das Umfunktionieren von Hotels zu Krankenhäusern durch den Staat und eine viermonatige Quarantäne für über 70-Jährige.    

Regierungsberater Patrick Vallance hatte die bislang zurückhaltenden Maßnahmen in Großbritannien unter anderem damit begründet, dass eine "Herdenimmunität" gegen das Virus aufgebaut werden müsse - ein höchst umstrittener Ansatz. Fast 250 Wissenschaftler haben der britischen Regierung am Samstag in einem offenen Brief vorgeworfen, nicht genug gegen die Pandemie zu tun und unnötig Leben zu gefährden. Auch die Sprecherin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Margaret Harris, kritisierte den Kurs in der BBC. Andere Staaten bemühen sich um eine Verlangsamung der Ausbreitung, um Belegungsspitzen in Krankenhäusern abzumildern. Eine sprunghafte Zunahme an Infektionsfällen dürfte das angeschlagene britische Gesundheitssystem besonders hart treffen.

Zwölf Milliarden gegen Corona

Sunaks Priorität ist klar: Die zusätzlichen Milliarden für die Coronakrise sollen eine durch das Virus bedingte Rezession so gut es geht verhindern und besonders kleine und mittelgroße Betriebe vor den schlimmsten Folgen bewahren. Am Mittwoch hatte die britische Zentralbank als Antwort auf die drohende Krise bereits den Leitzins von 0,75 auf 0,25 Prozent gesenkt. Zugleich will Sunak das Gesundheitssystem mit dem Notfallpaket für die anstehende Infektionswelle wappnen.

Das 30-Milliarden-Paket, das er vorstellte, beinhaltet zwölf Milliarden Pfund (13,6 Mrd. Euro) zur Handhabung des Coronavirus. Davon entfallen  

  • sieben Milliarden Pfund (7,9 Mrd. Euro) auf Unternehmen und Angestellte. Der britische Staat übernimmt beispielsweise bis zu 14 Tage lang die Lohnzahlungen für Mitarbeiter kleiner Unternehmen, wenn diese wegen Corona nicht arbeiten können. Das soll die Unternehmen um bis zu zwei Milliarden Pfund (2,3 Mrd. Euro) entlasten. Selbstständige können außerdem bestimmte Steuern später bezahlen, um nicht in finanzielle Engpässe zu geraten. Dafür gewährt der Staat quasi einen kostenlosen Kredit.

  • fünf Milliarden Pfund (5,7 Mrd. Euro) auf das Gesundheitswesen. Dafür soll Personal eingestellt werden und Notfallmaßnahmen ergriffen werden. Langfristig sollen 50.000 neue Medizinerinnen, Mediziner und Pflegekräfte eingestellt werden und 40 Krankenhäuser gebaut werden.

"This budget gets it done": Boris Johnson während Sunaks Haushaltsrede - sichtlich erfreut

"This budget gets it done": Boris Johnson während Sunaks Haushaltsrede - sichtlich erfreut

Foto: UK PARLIAMENT/JESSICA TAYLOR/HANDOUT/EPA-EFE/Shutterstock

Auch zur Verbesserung der Lebensbedingungen in vernachlässigten Gebieten vor allem im Norden Englands legte Sunak große Zahlen vor. 27 Milliarden Pfund (30,5 Mrd. Euro) sollen etwa bis 2025 in neue Straßen fließen, 5 Milliarden Pfund (5,7 Mrd. Euro) in den Breitbandausbau. Schwieriger, als das Geld zu versprechen, wird es allerdings sein, die Großprojekte tatsächlich zu realisieren.

"Eingeständnis von Versagen"

Der Opposition bot Sunak mit seinem spendablen Kurs nicht all zu viel Angriffsfläche für Kritik - ganz aus blieb sie aber selbstverständlich nicht. Noch-Labour-Parteichef Jeremy Cornbyn nannte den Plan ein "Eingeständnis von Versagen". Die hohen Ausgaben seien nur nötig, weil die Austeritätspolitik der vorigen Tory-Regierungen das Land in eine so schlechte Position versetzt habe. Um die Schäden seiner Vorgänger wiedergutzumachen seien allerdings selbst die veranschlagten Summen noch zu niedrig.  

In den eigenen Reihen löste Sunaks Plan vor allem Begeisterung aus. In Anlehnung an Johnsons Wahlkampfslogan "Get Brexit done" - lasst uns den Brexit erledigen - wiederholte Sunak nach etlichen seiner Versprechen "This budget gets it done" - dieser Haushaltsplan wird es erledigen - und erntete begeisterte Zurufe.

Doch woher nimmt Sunak das Geld? Er muss es leihen. In seiner Rede kündigte er an, in diesem Jahr das Haushaltsdefizit von 2,1 auf 2,4 und anschließend bis 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben - mehr, als eigentlich vorgesehen. Sunaks Spendierfreude passt zwar zur aktuellen Corona-Lage, nicht aber in die fiskale Tradition der Konservativen, deren vorige Regierungen die Neuverschuldung gering halten wollten. Ex-Premierministerin Theresa May sagte: "Auch wenn es attraktiv und normal erscheinen mag, viel Geld auszugeben, besteht natürlich die Notwendigkeit, die langfristigen Auswirkungen realistisch einzuschätzen." Sie plädierte nach Sunaks Rede für "Vorsicht und Zurückhaltung" bei den Staatsfinanzen.

Auch Sunaks Vorgänger als Schatzkanzler, Sajid Javid, kommentierte den Haushalt mit Skepsis und warnte davor, fiskalpolitische Grundsätze außer Acht zu lassen. Er selbst hatte zu Amtszeiten Regeln eingeführt, die die Regierung zwingen, laufende Ausgaben durch entsprechende Steuereinnahmen zu finanzieren. Große Steuererhöhungen blieben in Sunaks Haushalt allerdings aus - da die Corona-Milliarden als Notfallhilfe gelten.

Wenn die Verschuldung zugunsten aktueller Ausgaben zunähme, würden jedoch "zukünftige Generationen von Steuerzahlern eine höhere Rechnung erhalten", zitiert der britische "Guardian " den Direktor des Tory-nahen Thinktanks Bright Blue, Ryan Shorthouse. Die Partei solle sich also nicht ihrer volkswirtschaftlichen und moralischen Verpflichtung zur fiskalpolitischen Disziplin entziehen. Unabhängig von Corona angedachte Erhöhungen, etwa der Benzinsteuer, wurden zudem vermeintlich verworfen, weil sie weniger wohlhabende Bürger in ländlichen Gebieten belasten würden - genau die Wähler, die die Tories bei der vergangenen Parlamentswahl vielerorts neu für sich gewinnen konnten.

Der nächste Haushaltsplan ist schon im Herbst fällig. Dann wird die Coronakrise voraussichtlich ihren Zenit überwunden haben - und Sunak statt Investitionen die Rechnung präsentieren müssen.

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