Westafrika Der tiefe Fall des »Mandela von Guinea«

Einwohner bejubeln den Militärputsch in Conakry
Foto:STRINGER / REUTERS

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Der Sonntag begann mit Schüssen in der Hauptstadt Conakry und endete mit einer Fernsehansprache mehrerer Militärs. Die Verfassung sei außer Kraft gesetzt, sagten sie, und Präsident Alpha Condé in Gewahrsam – ein klassisches Putschszenario. Der Verteidigungsminister teilte laut Medienberichten zwar am selben Tag noch mit, dass der Aufstand niedergeschlagen worden sei, doch mittlerweile ist klar: Die Putschisten haben die Kontrolle erlangt.
Noch ist die Situation unklar. Die Aufständischen haben nach eigenen Angaben die Regionalgouverneure Guineas durch Militärkommandeure ersetzt. Am Montagvormittag zitierten sie die bisherigen Kabinettsminister zu einem Treffen und kündigten anschließend eine »Regierung der nationalen Einheit« in den kommenden Wochen an. Die aufständischen Militärs nennen sich »Nationales Komitee für Versammlung und Entwicklung«. Sie haben verlautbart, eine neue Verfassung erarbeiten zu wollen.
Der Putschist
Offensichtlich liebt er die martialischen Auftritte: Oberst Mamady Doumbouya trägt meist Sonnenbrille und viele Orden an der Brust, zu Paraden ließ der Kommandeur seine Spezialeinheit GFS gerne mit Sturmmasken aufmarschieren. Die GFS ist laut Experten die am besten ausgebildete und ausgerüstete Einheit der guineischen Armee. »Die Truppe sollte eigentlich sehr eng an Präsident Alpha Condé angebunden sein, er hat sie aufgerüstet«, sagt Gilles Yabi vom westafrikanischen Thinktank Wathi, der die Sicherheitslage im Land beobachtet.

Tritt gerne mit Sonnenbrille und Orden auf: Oberst Mamady Doumbouya
Foto: GUINEA MILITARY HANDOUT / EPADoumbouya galt in Guinea als Vorzeigemilitär: Er hat eine Ausbildung in Frankreich und Israel absolviert, war jahrelang in der französischen Fremdenlegion tätig. Präsident Condé persönlich hat ihn 2018 gebeten, die neu gegründete Spezialeinheit GFS aufzubauen. Doumbouya gehört wie Condé zum Volk der Mandinka. Am Wochenende hat sich der Oberst nun gegen seinen einstigen Protegé und Befehlshaber erhoben.
Zur Fernsehansprache am Sonntagabend erschien Doumbouya eingewickelt in eine guineische Flagge und verkündete, dass Missmanagement und Korruption im Land Auslöser der Revolte seien. Er gab an, dass der bisherige Präsident Condé unversehrt in Gewahrsam sei.
Der Gestürzte
Als Alpha Condé 2010 im Zuge der ersten demokratischen Wahl des Landes die Macht übernahm, bezeichnete er sich selbst als »Mandela von Guinea«. Die Wahl des heute 83-Jährigen wurde im Land mit großer Hoffnung verbunden: Der einstige Oppositionelle und Menschenrechtsprofessor hatte selbst zwei Jahre in Haft verbracht, als Präsident versprach er einen demokratischen Neuanfang für das krisengeschüttelte Guinea.

Dieses Bild soll laut Militärs Präsident Alpha Condé in Gewahrsam zeigen
Foto: GUINEA MILITARY HANDOUT / EPATatsächlich stieß er einige ökonomische Reformen an und sorgte zunächst für eine Phase der Stabilität. Doch laut Kritikern unterdrückte Condé im Laufe der Jahre zunehmend die Opposition, Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen wurden lauter. Im Jahr 2019 stieß der Präsident eine Verfassungsänderung an, die ihm die Kandidatur für eine dritte Amtszeit ermöglichen sollte. Dagegen kam es zu flächendeckenden Protesten, die brutal niedergeschlagen wurden, Dutzende Demonstranten kamen ums Leben. 2020 schließlich wurde der erneute Wahlsieg Condés verkündet, wieder begleitet von Unruhen. »Alpha Condé war für viele Guineer eine große Enttäuschung«, sagt Gilles Yabi. »Sein Beharren auf der Macht und seine schlechte Regierungsführung haben zur Instabilität beigetragen.«
Die Ursachen
»Nur wenige Beobachter sind von diesem Putsch wirklich überrascht«, meint Paul Amegakpo vom National Democratic Institute, das sich seit Jahren für demokratische Strukturen in Guinea einsetzt. »Die Situation ist schon länger sehr angespannt, auch wegen der massiv gestiegenen Preise im Land.« Präsident Condé hatte im Umfeld der Wahlen 2020 die Grenzen zu mehreren Nachbarländern geschlossen, da er ihnen unter anderem Unterstützung für die Opposition unterstellte. Die wirtschaftlichen Folgen waren verheerend, der Handel kam in Teilen zum Erliegen, die Armut stieg an.
Condé wähnte sich von Feinden umzingelt, nicht nur im Ausland. »Auch innerhalb der Regierung gab es schon länger Spannungen, niemand traute irgendjemandem. Neben den wirtschaftlichen Problemen war die Schwäche der Regierung wohl ein Auslöser des Putsches«, meint Amegakpo.
Zudem berichten mehrere Medien, dass Doumbouya als Kommandeur der Spezialeinheit GFS in letzter Zeit mehr Autonomie für seine Truppe eingefordert habe. Beobachter vermuten, dass demnach ein Machtkampf innerhalb des Sicherheitsapparates ebenfalls ein Antrieb für den Putsch gewesen sein könnte.
Die Folgen
»Der Putsch ist nicht unbedingt eine gute Nachricht, aber er kann auch eine Chance für einen echten Wandel sein«, analysiert Gilles Yabi. Es brauche nun einen geordneten Übergang unter Beteiligung der Zivilgesellschaft. Ob die Ankündigung des Putschisten-Anführers Doumbouya von einer »Regierung der nationalen Einheit« Realität wird, werden die kommenden Wochen zeigen. Alle Minister sind mit einer Ausreisesperre belegt, es drohe aber keine »Hexenjagd«.
Experten fürchten allerdings mögliche Folgen des Aufstandes für die gesamte Region. Im Nachbarland Mali kam es in diesem Jahr bereits zu einem Umsturz durch das Militär, auch wenn die Situation dort mit der in Guinea kaum zu vergleichen ist. Aber die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas gerät zunehmend unter Druck, nachdem nun mit Guinea ein weiteres Mitglied Schauplatz einer militärischen Machtübernahme geworden ist.
»Das könnte die Region destabilisieren«, fürchtet Paul Amegakpo. Auch die Nachbarschaft sei der Gefahr eines Aufstandes ausgesetzt. Die Afrikanische Union und Ecowas müssten nun mithilfe der Zivilgesellschaft demokratische Strukturen in diesen Ländern stärken.
Die Reaktionen
»Ich verurteile jeglichen gewaltsamen Umsturz und fordere die Freilassung von Präsident Alpha Condé«, teilte UN-Generalsekretär António Guterres mit. Auch Ecowas verurteile den Putsch »entschieden«, wie es in einer Erklärung hieß.
In der Hauptstadt Conakry unterdessen, kam es am Montag zu Jubelszenen. Hunderte Bewohnerinnen und Bewohner zogen durch die Straßen und begrüßten vorbeifahrende Militärfahrzeuge.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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