Hochzeitsmarkt in Shanghai "Es geht nicht um Liebe, sondern um Geld"
Hinweis der Redaktion: Diese Videoreportage ist vor der Corona-Pandemie entstanden.
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Seit 2004 kommen an jedem Wochenende Tausende Eltern in den People's Park in Shanghai, um einen Ehepartner für ihr Kind zu finden. Sie befestigen Suchanzeigen mit Informationen über ihr Kind an Regenschirmen - zum Beispiel ihre körperlichen Merkmale, Bildungsgrad, Besitz und den Geburtsort. Ein Verwandter bleibt bei dem Regenschirm, während die anderen durch den Park spazieren: auf der Suche nach einem passenden Single, um ein Blind Date für ihr Kind zu verabreden.
Nuan, Mutter einer Singlefrau
"Chinesische Eltern tun sehr viel für ihre Kinder. Jedes Wochenende kommen sie mit ihrem Aushang. Vor meinem ersten Besuch habe ich meine Zähne in der Shanghaier Zahnklinik untersuchen lassen. Das war vor fünf oder sechs Jahren, nichts hat sich seitdem verändert. Einige Leute waren damals schon hier und kommen immer noch. Wie kann es sein, dass sie immer noch keine Schwiegersöhne oder -töchter gefunden haben? Sie zögern es heraus."
Dong, Vater einer Singlefrau
"Es geht hier nicht um Liebe. Es geht um Häuser und Geld. Keine Liebe! Die wollen wir nicht. Um ein Haus kaufen zu können, braucht man Geld. Die Leute hier wollen ihre Lebensumstände verbessern. Sie tun das wegen des Geldes. Warum haben wohl so viele Menschen noch keinen Partner gefunden? Wenn sie ihn gefunden hätten, wären sie längst verheiratet. Sie suchen einen 'laoban', einen Geschäftsmann, oder einen 'guanlaoye', einen Beamten. Wenn er kein 'laoban' oder kein 'guanlaoye' ist, dann nehmen sie ihn nicht! Sie wollen keinen Arbeiter, keinen armen Mann. Verstehen Sie? Es ist ganz einfach: Wenn dir ein Haus gehört, findest du eine Ehefrau, sonst nicht. Arme Leute wollen ihre Lage verbessern, also suchen sie sich einen Mann, der ihnen dabei hilft. Es ist nicht so, dass sie niemanden finden. Sie sehen alle okay aus. Sie wollen nur alle ein besseres Leben. Sie haben Angst, arm zu bleiben. Richtig? Das ist der Grund. Es sind die Armen, die die Revolution herbeiführen, nicht die Reichen. Die Armen wollen rebellieren. Wir wollen ein besseres Leben, los, sag es ihr."
In China ist es üblich, dass Ehen nach dem Prinzip der Hypergamie geschlossen werden - also dass Frauen ältere und sozial und ökonomisch bessergestellte Männer heiraten.Diese Form der Hypergamie sieht hier normalerweise so aus, dass Männer der "Qualität A" eine Frau der "Qualität B" heiraten; und Männer mit "Qualität B" eine Frau der "Qualität C". Das führt dazu, dass Männer, die ganz unten in der Rangfolge, und Frauen, die ganz oben stehen, ohne mögliche Ehepartner bleiben.
Briar, Single, 29 Jahre alt
"Ich würde sagen, der Heiratsmarkt wird vor allem von den Eltern geregelt. Sie machen sich so große Sorgen, und sie sind wirklich gut darin zu bewerten. Sie wollen die perfekten Partner für ihre Söhne und Töchter. Deswegen haben sie bestimmte Ansprüche, wie körperliche Verfassung, Aussehen, Größe, Gewicht und Wohlstand der Familie. Manchmal zählt sogar die Gesundheit der Familie und natürlich der Beruf der jungen Männer und Frauen."
Nuan, Mutter einer Singlefrau
"Wenn es um Ehen geht, gibt es mehr Mädchen als Jungs hier. Sehen Sie sich um, es sind alles Mädchen, und sie sind so klug. Sie können für sich selbst sorgen. Ihre Karriere war ihnen wichtiger als eine Hochzeit. Aber sobald sie älter werden, wird es schwierig."
Schätzungen zufolge leben in China 27 Millionen mehr Männer als Frauen. Dafür gibt es mehrere Gründe: die Ein-Kind-Politik, die traditionellen Werte in der Gesellschaft. Und die Tatsache, dass viele Babys abgetrieben werden, wenn sich nach einer Ultraschalluntersuchung herausstellt, dass es ein Mädchen wird. Doch obwohl die Frauen also theoretisch mehr Auswahl bei der Partnersuche haben müssten, ist der Druck trotzdem immens. Frauen, die im Alter von 27 Jahren noch nicht verheiratet sind, werden Sheng Nu genannt. Der Begriff ist seit 2007 Teil des chinesischen nationalen Lexikons, er bedeutet "die übrig gebliebenen Frauen". Sheng heißt "Reste", Nu bedeutet "Frauen".
Briar, Single, 29 Jahre alt
"Ich war schon bei zehn Blind Dates, glaube ich. Ja, es ist spannend, weil man eine Menge unterschiedlicher Menschen trifft, viele verschiedene Männer. Es ist, als ob man sich mit jemandem anfreundet, den man nicht kennt. Ich stelle Fragen wie: 'Bei wie vielen Blind Dates bist du gewesen?' und 'Wie waren die Mädchen, die du getroffen hast?' und 'Wie war sie?', solche Fragen. Bei einem Blind Date sieht man einen Mann, und nach drei Sekunden weißt du, der ist es nicht. Der ist nicht der Richtige. Also ja, man redet, und das war's dann. Und es ist gar nicht so einfach, sich die ganze Zeit mit Fremden zu unterhalten. Es ist ermüdend; man muss sich ständig neue Themen ausdenken. Manchmal waren meine Dates so ruhig, und ich musste das ganze Gespräch führen. Ich meine, dann wäre es doch besser, man würde das Gespräch beenden, oder?"
Viele chinesische Eltern haben Angst vor dem Alleinsein im Alter. Denn die meisten sind auf die Pflege durch Verwandte angewiesen - vor allem von Kindern und Enkeln. Diese Angst wird dadurch verstärkt, dass es kein stabiles Renten- oder Sozialsystem gibt.
Nuan, Mutter einer Singlefrau
"Es sind nicht die Kinder, die sich Sorgen machen, sondern die Eltern. Die Frau da drüben, ich fühle mit ihr. Ihre Tochter wird immer älter, und zuerst wollte sie keine Ausländer für sie, aber jetzt ist das kein Problem mehr. Meine Tochter und ich haben darüber noch nicht gesprochen. Ich glaube, ausländische Jungs sind sehr unabhängig, aber andererseits weiß man nicht, ob sie nicht vielleicht Geschlechtskrankheiten haben, weil sie ihre Sexualität so frei ausleben. Guckt mal da, der Ausländer mit dem chinesischen Mädchen. Oh Gott, das wäre nicht gut für meine Tochter. Ich meine, wie soll das gehen, mit jemandem, der so dick ist? Heiraten heute ist so schwierig, es gibt so viele Bedenken. Die Leute, die sich keine Sorgen machen, treffen wirre Entscheidungen bei der Hochzeit."