Bernhard Zand, DER SPIEGEL:
»Zwischen sechs und sieben Uhr früh heute Morgen stand bei den ersten die Polizei vor der Tür. Zu Mittag waren dann 53 Menschen festgenommen. Ehemalige Abgeordnete des Hongkonger Stadtparlaments, Demokratieaktivisten, Menschenrechtler.«
Die Polizei in Hongkong hat ihr Vorgehen gegen die Demokratiebewegung noch einmal verschärft. Die Festnahmen lassen den Konflikt in der chinesischen Sonderverwaltungszone weiter eskalieren.
Bernhard Zand, DER SPIEGEL:
»Es ist eine massive Verhaftungswelle, die größte seit der Verkündung des nationalen Sicherheitsgesetzes hier in Hongkong vor einem guten halben Jahr. Das Ausmaß und der Zeitpunkt dieser Operation überrascht selbst manche, die mit jenen in Verbindung stehen, die heute festgenommen wurden.«
Das im Juni von Peking verabschiedete »Sicherheitsgesetz« erlaubt den Behörden ein hartes Vorgehen gegen alle Aktivitäten in Hongkong, die nach ihrer Auffassung die nationale Sicherheit bedrohen. Aber womit begründen die Behörden die jüngsten Verhaftungen?
Bernhard Zand, DER SPIEGEL:
»Offiziell geht es um eine Vorwahl, bei der das prodemokratische, pekingkritische Lager im Sommer seine aussichtsreichsten Kandidaten küren wollte. Und zwar für eine Wahl, die im September stattfinden sollte, aber nicht stattfand. Angeblich wegen der Coronakrise, in Wahrheit aber, weil weder Peking noch Hongkong diese Wahl wollten. Es hatte sich ein Erdrutschsieg dieses prodemokratischen Lagers abgezeichnet.«
An den inoffiziellen Vorwahlen für die Parlamentswahlen in Hongkong hatten mehr als 600.000 Menschen teilgenommen. Die Personen, die nun verhaftet worden sind, hatten entweder kandidiert oder bei der Organisation geholfen. Die offizielle Begründung für die Festnahmen klingt so:
Li Kwai-Wah, Polizei Hongkong:
»Wie wir wissen, gibt es auch in anderen Ländern Vorwahlen. Sie werden normalerweise genutzt, um passende Kandidaten für gesetzgebende Positionen auszuwählen. Aber die Absicht der letztjährigen Vorwahlen war anders. Sie hatten nur ein Ziel. Sie haben gehofft, die Regierung daran zu hindern, normal zu arbeiten. Unsere Operationen werden weitergehen, das heißt: Wir werden noch weitere Menschen verhaften.«
Bei Teilen der eigenen Bevölkerung löste das harte Vorgehen der Polizei Entsetzen aus.
Mannie Ng, Einwohnerin von Hongkong:
»Nach den Nachrichten heute bin ich komplett schockiert. Ich bin enttäuscht. Scheinbar passieren so bedeutende Dinge in Hongkong, und wir können nichts dagegen tun. Ich bin traurig, und anscheinend kann die Regierung selbst während einer Pandemie so viel tun, um die Menschen zu terrorisieren.«
Jay Lam, Einwohner von Hongkong:
»Was ich jetzt denke… Tatsächlich nicht viel. Was ich denke, ist, dass ich Hongkong verlassen und in ein anderes Land ziehen sollte. Ja, das denke ich gerade.«
Und auch international kam schnell scharfe Kritik – zumal mit John Clancey auch ein US-amerikanischer Anwalt unter den Festgenommenen ist.
Bernhard Zand, DER SPIEGEL:
»Die ersten internationalen Reaktionen auf die Verhaftungen heute sind massiv. Von den USA, Australien, Taiwan und anderen Staaten haben sich mehrere Regierungen kritisch geäußert und sich für den Erhalt des Rechtsstaats in Hongkong ausgesprochen. Es scheint, als seien Peking diese Reaktionen egal. Es scheint mir sogar so, als sei dieser Zeitpunkt ausdrücklich so gewählt, dass er noch während der jetzt scheidenden US-Administration unter Donald Trump stattfindet, gut zwei Wochen bevor Joe Biden jetzt ins Weiße Haus einzieht.«