Proteste in Hongkong Politik der Unerbittlichkeit

Festgenommene Demonstranten in Hongkong: Die Polizei will mit aller Macht verhindern, dass sich die Szenen vom letzten Sommer wiederholen
Foto: Tyrone Siu/ REUTERSPfefferspray, eingeschlagene Schaufenster, Regenschirme und jugendliche Demonstranten, die von schwarzgekleideten Polizisten abgeführt werden - nach mehreren Monaten relativer Ruhe flammen die Proteste in Hongkong wieder auf, und die Bilder, die aus der chinesischen Finanzmetropole in die Welt gehen, wirken auf traurige Weise vertraut. Und doch ist in Hongkong nicht einfach wieder alles beim Alten: Es entfaltet sich ein neuer Akt der Tragödie, womöglich ist es ein letztes Aufbäumen.
Gleich zwei Gesetzesvorhaben treiben die Protestbewegung wieder auf die Straße: Hongkongs Parlament, der Legislativrat, berät über ein Gesetz, das die Verunglimpfung der chinesischen Nationalhymne kriminalisieren soll; der Entwurf sieht dafür Strafen von bis zu 50.000 Hongkong-Dollar (rund 5900 Euro) und bis zu drei Jahre Gefängnis vor. Zeitgleich arbeitet China an einem nationalen "Sicherheitsgesetz" für Hongkong, das unter anderem Sezessionsbestrebungen verbietet. Wenn es so kommt wie geplant, wird es der chinesischen Geheimpolizei erstmals erlauben, auf Hongkonger Territorium zu operieren.
Neuer Akt der Tragödie
Was ist also das Neue an den neuerlichen Protesten? Zwei Entwicklungslinien zeichnen sich ab, und beide lassen wenig Gutes erahnen.
Hongkongs Sicherheitsminister John Lee hat verkündet, die Polizei bediene sich einer neuen Taktik: Um Herrin der Lage zu bleiben, greife sie nun unmittelbar ein, sobald "etwas passiert". Das zeigte sich am Mittwoch: Im Stadtteil Admiralty, wo der Legislativrat liegt, war die Polizei mit einem massiven Aufgebot präsent. Offensichtlich wollte sie mit aller Macht verhindern, dass sich Szenen wie im vergangenen Sommer wiederholen, als Demonstranten das Parlament blockierten und sogar kurzzeitig besetzten.
An einer großen Straßenkreuzung im Stadtteil Central feuerten Polizisten Geschosse mit Reizmitteln auf Demonstranten. Als Aktivisten im Stadtteil Mong Kok die Nathan Road besetzten, dauerte es nur fünf Minuten, bis Bereitschaftspolizei sie auseinandertrieb; ein Video auf Social Media zeigt, wie sie in Panik davonrennen. Wie auch die Gegend um den Legislativrat waren beide Orte im vergangenen Jahr Hotspots der Auseinandersetzungen. Dass es der Protestbewegung heute nicht gelang, dort längere Zeit Präsenz zu zeigen, hat einige Symbolkraft.
Im vergangenen Jahr nahmen an manchen Tagen Hunderttausende Hongkonger an den Protesten teil. Wohl auch wegen der geltenden Corona-Regeln waren die Zahlen heute deutlich niedriger, die Nachrichtenagentur Reuters schreibt von "Tausenden". Dennoch nahm die Polizei rund 300 Demonstranten fest, viele davon dem Augenschein nach im Teenageralter. Es ist eine Politik harter Unerbittlichkeit, die die Polizei da auf den Straßen Hongkongs ausrollte.
"Sie versuchen, uns Angst zu machen"
Angesichts der vielen Festnahmen werde es "den Leuten schwerfallen, morgen wieder zu protestieren", sagt ein führender Organisator. "Sie versuchen, uns Angst zu machen."
Auch auf Seiten der Protestbewegung deutet sich eine Akzentverschiebung an. Im vergangenen Jahr waren die gängigsten Schlachtrufe "Befreiung Hongkongs, die Revolution unserer Tage" oder "Fünf Forderungen und keine weniger" - ein Verweis auf die fünf Kernanliegen der Bewegung, darunter freie Wahlen und eine unabhängige Aufarbeitung der Polizeigewalt.
Am Mittwoch dagegen riefen Demonstranten in einer Shoppingmall: "Baut die Nation Hongkong auf" und "Eine starke Nation sein - Unabhängigkeit für Hongkong". Auch der Slogan "Unabhängigkeit für Hongkong, der einzige Ausweg" ist dieser Tage öfter zu hören.
Es sind genau solche Regungen, die das geplante Gesetz zur nationalen Sicherheit ersticken soll. Peking kann sich davon nur provoziert fühlen.
Am morgigen Donnerstag soll der Nationale Volkskongress, Chinas Parlament, den formalen Gesetzgebungsprozess anstoßen. In Hongkong werden weitere Proteste erwartet.