Hongkong Warum der Westen China jetzt Einhalt gebieten sollte
Carrie Lam
Regierungschefin Hongkong
"Die Regierung Hongkongs wird dieses Gesetz rigoros umsetzen. Und ich warne die Radikalen, nicht zu versuchen dieses Gesetz zu brechen oder die rote Linie zu überschreiten, denn die Konsequenzen werden sehr schwerwiegend sein.”
Mit diesen Sätzen besiegelte Regierungschefin Carrie Lam am Montag den Anfang vom Ende eines demokratischen Hongkongs. Radikale, das sind für Lam Demokraten, die in den vergangenen Monaten hunderttausende Menschen zu Protesten gegen den wachsenden Einfluss Pekings mobilisiert haben. Einige Demonstrationen endeten in gewalttätigen Ausschreitungen. Eine Reaktion darauf: Das neue Sicherheitsgesetz.
Dessen "rote Linie" überschritten 10 Menschen bereits am Tag des Inkrafttretens während einer Demonstration. Sie wurden verhaftet, weil ihre Flaggen, Sticker oder Transparente ein unabhängiges Hongkong fordern. Zu subversiv für Peking. Nathan Law, einer der Anführer der Demokratiebewegung, setzte sich am selben Wochenende an einen geheimen Ort ins Ausland ab.
Nathan Law
Demokratie-Aktivist
"Peking hat im Grund genommen seine Macht über Hongkong ausgebreitet und kann nun tun, was auch immer es will. (…) Mehr und mehr Bürger, die Protestbilder zeigen und auf ihrem Smartphone teilen, werden strafrechtlich verfolgt. Sie wollen die Kraft der Menschen aus Hongkong brechen."
Der 1. Juli 1997. Hongkong wird nach über 150 Jahren unter britischem Mandat an die kommunistische chinesische Regierung übergeben - mit dem Abkommen, 50 Jahre lang eine demokratisch-marktwirtschaftliche Zone zu sein, in der grundlegende Menschenrechte gelten: Ein Land mit zwei Systemen. Die Millionenmetrople wird zum Anschluss für westliche Firmen nach China – und China rückt näher an den Weltmarkt. Mit dem neue Sicherheitsgesetz ist Peking bereit, diesen Anschluss aufs Spiel zu setzen.
Amrita Narlikar
Präsidentin GIGA-Institut für Asien-Studien
"Dass China es in Kauf nimmt, Hongkong womöglich als Finanzzentrum zu verlieren und mit ihm alle kulturellen Errungenschaften, zeigt meiner Einschätzung nach, dass es um Konsolidierung und Expansion von Macht geht. In der Region und darüber hinaus."
China demonstriert derzeit auch in anderen Konflikten seine Macht. Im April richtete die Regierung im Südchinesischen Meer zwei neue Verwaltungsbezirke ein und untermauert damit Gebietsansprüche in der umstrittenen Region.
Im Mai verhängt Peking Sanktionen gegen Australien, nachdem es eine unabhängige Untersuchung des Coronavirus-Ursprung forderte.
Nach einer Grenzüberschreitung chinesischer Soldaten an der indischen Grenze, verlegen beide Länder im Mai tausende Soldaten an die Grenze. Vor wenigen Wochen kam es dann zu blutigen Auseinandersetzungen - mehrere Soldaten starben.
Amrita Narlikar
Präsidentin GIGA-Institut für Asien-Studien
"Das Problem war schon immer, dass China alles in kleinen Schritten gemacht hat. Man hat einen kleinen Schritt im Südchinesischen Meer unternommen und woanders ein Abkommen etwas überstrapaziert. Nur ein kleines bisschen, nicht genug für eine Krieg. Nicht genug, um Sanktionen nach sich zu ziehen. Und damit werden Realitäten geschaffen. Deshalb ist Hongkong so wichtig, denn Hongkong ist kein kleiner Schritt mehr. (…) China hat diese Strategie nun geändert und der Westen und die internationale Gemeinschaft können darauf reagieren.
Die internationalen Reaktionen sind tatsächlich stärker als üblich.
Boris Johnson
"Wir sagen ganz klar Mr. Speaker, wenn China diesen Weg weitergeht, werden wir einen neuen Weg für Bürger (in Hongkong) mit "British National Overseas” Status schaffen, um nach Großbritannien zu kommen”
Länder wie Großbritannien oder Taiwan vereinfachen Geflüchteten aus Hongkong die Aufnahme, Australien setzt ein Auslieferungsabkommen mit China aus und die USA reagieren mit Sanktionen.
Nancy Pelosi
"Das Gesetz ist eine brutale, umfassende Maßregelung der Menschen in Hongkong, das darauf abzielt, ihnen die versprochenen Freiheiten zu nehmen.”
Internationale Geschlossenheit ist das allerdings nicht. Angela Merkel betont, man müsse die diplomatischen Beziehungen wahren. Auf Nachfrage im Bundestag, ob es eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates geben werde, antwortet sie zurückhaltend.
Angela Merkel
"Deutschland wird sich auch im Rahmen der Präsidentschaft des UN-Sicherheitsrates sicherlich für diese Transparenz einsetzen. Trotzdem wissen wir aus leidvoller Erfahrung, dass die Harmonie im UN-Sicherheitsrat nicht sehr groß ist in vielen wichtigen Fragen, was ich außerordentlich bedauere. "
Amrita Narlikar
Präsidentin GIGA-Institut für Asien-Studien
"Einfach mit dem Finger zu wedeln und zu sagen: es ist wirklich schlimm was ihr macht, macht das nicht und dann weiter zu machen wie zuvor, dass ist exakt das, was Deutschland grade tut. Über Chinas Handeln in Hongkong hinwegzusehen, ist äußerst verantwortungslos und ermutigt China, diesen Weg fortzuschreiten."
Der große Exodus westlicher Konzerne bleibt bislang aus. Firmen wie Facebook oder Google verweigern die Herausgabe von Nutzerdaten an die chinesischen Behörden, TikTok stellte den Betrieb in Hongkong ein - so wird die digitale Meinungsfreiheit etwas geschützt. Doch staatskritische Statements können auch ohne die Betreiber verfolgt werden. Aktivist Law sieht Hongkong in einem Informationskrieg – und setzt Hoffnung in die Einwohner.
Nathan Law
Demokratie-Aktivist
"Man sieht immer mehr Menschen ihre Statements oder Statusangaben bei Facebook löschen. Es ist ein Informationskrieg gegen die Gesellschaft. Aber es gibt auch Potential für Widerstand. Menschen nutzen noch kreativere Wege, um ihren Missmut auszudrücken. Ich denke, die Menschen in Hongkong sind kreativ genug, um ihre Bewegung aufrecht zu erhalten, selbst wenn sie aktuell sehr unter Druck gesetzt werden."