Ein Jahr Ibiza-Affäre Der Abgrund

Vor einem Jahr haben SPIEGEL und "Süddeutsche Zeitung" das "Ibiza-Video" veröffentlicht. Der Vizekanzler Österreichs musste zurücktreten, die Regierung löste sich auf. Was machen die Protagonisten heute, welche Folgen hatte die Affäre?
Standbild aus heimlich aufgenommenem Video

Standbild aus heimlich aufgenommenem Video

Für den Vizekanzler der Republik Österreich war es "a bsoffene Gschicht", für das Land, so haben es Kommentatoren danach beschrieben, die größ­te in­nen­po­li­ti­sche Kri­se seit dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs.

Vor einem Jahr, am 17. Mai 2019, veröffentlichten der SPIEGEL und die "Süddeutsche Zeitung" zeitgleich um 18 Uhr auf ihren Websites ein höchst ungewöhnliches Video. Es zeigte den damaligen FPÖ-Vorsitzenden und späteren Vizekanzler, Heinz-Christian Strache, und seinen Parteifreund und späteren FPÖ-Fraktionschef, Johann "Joschi" Gudenus, wie sie sich im Som­mer 2017 in ei­ner Vil­la auf der Ba­lea­ren­in­sel Ibi­za in Gegenwart einer angeblichen russischen Oligarchennichte und millionenschweren Investorin um Kopf und Kra­gen redeten.

Es ging um Anteile an der mächtigen "Kronen Zeitung", die von der Frau erworben werden sollten, um, O-Ton Strache, "zack, zack, zack" ein paar Journalisten auszutauschen und sich so das Blatt gefügig zu machen. Der spätere Vizekanzler sprach frei­mü­tig über Wege womöglich il­le­ga­ler Par­tei­en­fi­nan­zie­rung und prahlte mit schwer­rei­chen vorgeblich Be­kann­ten, der Kaufhauserbin Heidi Horten etwa oder dem Waffenhersteller Gaston Glock. Vor al­lem aber stellte er sei­ner Ge­sprächs­part­ne­rin Staats­auf­trä­ge in Aus­sicht, als Ge­gen­leis­tung für pu­bli­zis­ti­schen Rü­cken­wind im Wahl­kampf. Es war eine Offenbarung.

Das Besondere an diesem Video war: Es war eine Falle. Die millionenschwere Nichte war eine Schauspielerin, die Villa verwanzt und mit versteckten Kameras ausgestattet, die das mehr als sechsstündige Treffen samt RedBull-Wodka-Gelage aufgezeichnet hatten.

Am Tag nach der Veröffentlichung einiger Ausschnitte der Aufzeichnung traten Strache und Gudenus mittags von ihren Ämtern zurück, am Abend dann ver­kün­dete Kanz­ler Sebastian Kurz das Ende der Ko­ali­ti­on zwischen ÖVP und den Freiheitlichen mit den Wor­ten: "Ge­nug ist ge­nug."

Nachdem der Nationalrat Kurz am 27. Mai sein Misstrauen ausgesprochen hatte, übernahm eine sogenannte Expertenregierung die Geschäfte, mit Brigitte Bierlein regierte erstmals eine Frau an der Spitze das Land. Bei den Neuwahlen zum österreichischen Nationalrat am 29. September 2019 schließlich ging Kurz als überragender Sieger hervor. Die FPÖ verlor fast zehn Prozent an Stimmen, es fand sich eine neue Koalition: Die ÖVP regiert nun mit den Grünen.

Wie geht es den Protagonisten dieses politischen Dramas heute? Welche juristischen Folgen hatte das Video, für die, die hereingelegt wurden, und für die, die verdächtigt werden, die Falle gestellt zu haben?

Der Auferstandene

"Zwickt’s mi, I glaab, I tram" - sinngemäß bedeutet das: Ich kann’s nicht glauben. Der Kultsong des Wiener Liedermachers Wolfgang Ambros ist der heimliche Soundtrack zum Spektakel an diesem Freitag, dem 15. Mai 2020: Als Heinz-Christian Strache um halb elf vormittags die Bühne der Wiener Sofiensäle betritt, um Wähler für seine neue Partei zu werben, traut mancher im Publikum seinen Augen nicht.

Strache verkündet, er werde als Spitzenkandidat des eben erst gegründeten "Team HC Strache" bei der Wiener Landtagswahl im Oktober mitmischen. Er, der tief Gefallene, will nun Bürgermeister der österreichischen Hauptstadt werden - trotz laufender Ermittlungen wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue, auch der Verdacht des Betrugs wird geprüft. Der ehemalige FPÖ-Chef dementiert sämtliche Anschuldigungen.

SPIEGEL ONLINE

Noch vor exakt einem Jahr stand Heinz-Christian Strache, von Anhängern "HC" gerufen, als Vizekanzler und als Chef der mit der konservativen ÖVP regierenden Freiheitlichen Partei Österreichs auf dem Gipfel seiner politischen Karriere. Dann aber folgte mit der Ibiza-Affäre der schmachvolle Absturz.

Doch während die politische Klasse Österreichs nach diesem Jahr noch wie vom Schleudertrauma gebeutelt wirkt, zeigt sich Strache unerschütterlich. Er sei 2017 einer "geheimdienstlich geplanten und kriminell vollzogenen Falle gegen einen politischen Mitbewerber und Unbequemen" zum Opfer gefallen, behauptet er, freilich ohne auch nur einen Beleg für sein krudes Narrativ zu präsentieren. Man habe ihm, sagt der Vizekanzler a.D., auf der Baleareninsel vermutlich "illegale Substanzen untergejubelt", und bis heute werde er "mit miesen Stasi-Methoden verleumdet".

Dabei brauche das Land gerade jetzt, in der Coronakrise, dringlicher denn je einen wie ihn, den furchtlosen Kämpfer "HC". Er und seine neuen Parteifreunde stünden auf der Seite der Schwachen und Entrechteten: "Wir passen darauf auf, dass die momentan Mächtigen in diesem Land es nicht zu weit treiben", sagt der Ex-Vizekanzler. Er wolle verstärkt als "Hüter der Verfassung" dem Volk dienen. Selbst in Österreich, wo Satiriker traditionell leicht Futter finden, haben solche Aussagen Seltenheitswert.

Titelbild des SPIEGEL in Österreich

Titelbild des SPIEGEL in Österreich

Im Augenblick laufen als Folge des Ibiza-Videos nicht weniger als 35 Ermittlungsverfahren. Strache spielt in vielen Fällen eine wesentliche Rolle, als direkt oder indirekt Beteiligter, als Beschuldigter oder möglicher zentraler Zeuge. In einer Angelegenheit hatte er Glück: Er war während der heimlichen Videoaufnahmen noch nicht Vizekanzler, das wurde er erst fünf Monate später.

Als Amtsträger hätte er sich womöglich strafbar gemacht, als er der vermeintlichen Oligarchennichte Staatsaufträge in Aussicht gestellt hatte. Doch wie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien feststellte, sei Strache im Juli 2017 nicht in der Lage gewesen, Einfluss auf öffentliche Aufträge zu nehmen. Es wäre Sache des Gesetzgebers, diese Lücke zu schließen, merkten die Ermittler an - und machten damit klar, was sie vom Gebaren des Politikers hielten.

Der gelernte Zahntechniker Strache, der den Wegfall seines üppigen Spesen-Budgets aus FPÖ-Zeiten nun als "Projekt- und Firmenentwickler" wettzumachen versucht, hat gute Chancen, im Oktober in den Wiener Landtag gewählt zu werden.

Johann Gudenus, seinen Begleiter auf Ibiza, früheren Leibburschen in der deutschnationalen "Vandalia" und langjährigen politischen Gefolgsmann, hat er zuletzt kaum mehr gesehen. Strache nimmt dem vertrauensseligen "Joschi" übel, dass der ihm das Treffen mit den Lockvögeln auf Ibiza eingebrockt hatte. Erst am 4. Juni werden sich die Freunde von einst, gezwungenermaßen, wieder begegnen. Dann sind beide vor den Untersuchungsausschuss des Parlaments geladen, der den Ibiza-Skandal und seine Folgen gründlich aufarbeiten will.

Der Ausgestiegene

Der "Joschi" sei schon wieder gut im Geschäft, erzählt die langjährige Vertraute, der Johann Gudenus irgendwo in den Weinbergen oberhalb Wiens Einblicke in sein Leben nach Ibiza gewährt hat. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der FPÖ, der seiner Partei - anders als Strache - sofort den Rücken gekehrt hat, schwärmt nun von seinem kürzlich geborenen Nachwuchs und von unternehmerischen Aktivitäten: Die Zeitung "Die Presse" schreibt, dass er Atemschutzmasken aus Russland und China importiert, sich mit Immobilien beschäftigt, Bäume gegen den Klimawandel pflanzen will und eine Gastro-App entwerfen lässt.

Wie blickt er zurück auf Ibiza, auf das ikonische Bild, das ihn zeigt, wie er der angeblichen Oligarchen-Nichte mit gestrecktem Arm den Gebrauch einer Glock-Pistole vorführt? Gudenus sagt, er habe sich das Video bis jetzt nicht angeschaut. Es gebe bessere Streifen. Ohnehin plädiert der ehemalige FPÖ-Hardliner in Sachen Ibiza auf Unschuld infolge von Filmriss: In Abwandlung eines Spruchs von Popstar Falco ("Wer sich an die Achtziger erinnern kann, hat sie nicht miterlebt") sagt Gudenus scherzhaft: "Wer sich an Ibiza erinnern kann, war nicht dabei".

Gudenus (l.) und Strache

Gudenus (l.) und Strache

Foto: Herbert Neubauer/ APA/ DPA

Der des Russischen mächtige Gudenus war es, der die Kontakte zur angeblich russischen Oligarchen-Nichte und ihrem Mittelsmann eingeleitet hatte. Bis zur Veröffentlichung des Videos diente er als Fraktionschef der Koalitionspartei FPÖ. Nun wird auch gegen ihn wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme zur Beeinflussung, wegen Untreue und Anstiftung zur Untreue ermittelt. Der Ex-Politiker bestreitet sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe und hält sich nach eigenen Angaben von der Politik fern.

Inwieweit ihm das auch weiterhin gelingt, werden die kommenden Monate zeigen.

Die Gebeutelten

Die Freiheitlichen liegen neuesten Umfrage zufolge österreichweit nur noch bei 13 Prozent. Das entspricht der Hälfte ihres Wahlergebnisses von 2017. Der Verlust des langjährigen Zugpferds wiegt schwer: Strache hatte die nach dem Abgang Jörg Haiders fast bedeutungslose Partei in seiner 14 Jahre währenden Zeit als Vorsitzender vorübergehend an die Spitze der Umfragen katapultiert. Bei der Wiener Landtagswahl droht der Partei im Herbst nun sogar ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Straches Neugründung "Team HC Strache".

Ohne die Veröffentlichung des Ibiza-Videos stünde die FPÖ mit hoher Wahrscheinlichkeit auch jetzt, inmitten der Coronakrise, noch in Regierungsverantwortung. Der Hasardeur Strache als Vizekanzler und der Hardliner Herbert Kickl als Innenminister hätten dann die rigiden Eingriffe in die Bürgerrechte mitverantworten müssen - nicht auszudenken, wie die Reaktion bei der Opposition, vor allem in der kritischen Auslandspresse ausgefallen wäre.

Nun aber, da die braven Grünen dem Kanzler Kurz quasi eine "türkise Alleinregierung" ermöglichen, wie Strache spottet, sei die FPÖ nicht einmal in der Opposition mehr zu gebrauchen. Norbert Hofer, sein Nachfolger im höchsten Parteiamt, führe die zahm gewordenen Freiheitlichen zunehmend in eine Rolle als "Wurmfortsatz der ÖVP". 

Die Ermittlungen

In den 35 Ermittlungsverfahren, die aus der Affäre hervorgegangen sind, geht es unter anderem um angebliche Mandatskäufe und Postengeschacher, um verdeckte Parteispenden und womöglich falsche Spesenabrechnungen.

Vieles von dem, was der selbst ernannte "Red-Bull-Brother from Austria" Strache auf Ibiza in feuchtfröhlicher Stimmung ausplauderte, wurde ja schon wenig später wahr oder kam nach und nach ans Licht. Dass der Milliardär René Benko seine Marktmacht mithilfe von Österreichs reichweitenstärkstem Blatt, der "Kronen Zeitung", festigen wolle, hatte der ehemalige FPÖ-Chef bereits in der verwanzten Finca vorausgesagt - wenig später erwarb Benko um geschätzte 170 Millionen Euro Anteile am Boulevardblatt.

Auch Straches Ausführungen über schwerreiche Einzelpersonen und Konzerne, die am Rechnungshof vorbei in kleinen Tranchen oder diskret über parteinahe Vereine spenden, führten offenkundig in die richtige Richtung: Der Kaufhauserbin Heidi Horten konnten allein für die Jahre 2018 und 2019 Zuwendungen in Höhe von fast einer Million Euro an die ÖVP nachgewiesen werden; beim FPÖ-nahen "Institut für Sicherheitspolitik" wiederum weckten Geldflüsse des Glücksspielkonzerns Novomatic wie auch des österreichischen Verteidigungsministeriums den Argwohn der Ermittler. Sowohl Spenderin Horten als auch die Herren von der Novomatic-Spitze werden sich vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre äußern müssen.

Die Beamten stießen auf ein ganzes Netz möglicher Spendentarnvereine im Umfeld der FPÖ. Allein auf den Konten vier parteinaher Vereine ging in den vergangenen Jahren zusammengerechnet ein siebenstelliger Euro-Betrag ein.  Die Ermittler gehen davon aus, dass einige der Vereine gegründet wurden, um "finanzielle Zuwendungen für die FPÖ respektive Heinz-Christian Strache zu lukrieren", wie es in einem Behördenbericht heißt. Gegen den Ex-Vizekanzler und weitere einstige Parteifreunde wurden Ermittlungen wegen Untreue eingeleitet.

Sogar die von Strache auf Ibiza angesprochenen ukrainischen Oligarchen, die sich "anscheißen", weil sie ihre Milliarden nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hätten, tauchten später wieder auf - im Zusammenhang mit Bargeldbündeln, die ein Leibwächter in Straches Umfeld fotografiert haben will. Das Geld könnte mit einer Affäre zu tun haben, die Österreich bereits seit Jahren beschäftigt.

Es geht dabei um den Verdacht, dass ukrainische Oligarchen beeinflusst haben, wer für die FPÖ ins Parlament einzieht. Und dass dafür mehrere Millionen Euro an Strache und andere flossen. Die Ermittlungen waren schon einmal eingestellt worden, nun wurde der Fall neu aufgerollt.

Im Raum steht auch der Verdacht, Strache habe der Parteikasse private Ausgaben untergejubelt und dafür Scheinrechnungen eingereicht. Er spricht von "Gerüchten und gezielten Verleumdungen" und kommentiert die Ermittlungen gegen ihn so: "Es wird auf Dauer Einstellungen geben."

Zu den Geschädigten der wodkaschwangeren Tiraden auf Ibiza zählen aber nicht nur Strache und seine früheren freiheitlichen Parteifreunde. Im Zusammenhang mit vermutetem Postenschacher bei den teilstaatlichen Casinos Austria durchsuchten Ermittler der Korruptionsstaatsanwaltschaft Straches beschlagnahmtes Handy nach Belegen, die den Verdacht strafrechtlich relevanter Absprachen zur Vergabe von Glücksspiel-Lizenzen untermauern sollen. Zwei frühere Finanzminister von der Kanzlerpartei ÖVP, Hartwig Löger und Ex-Vizekanzler Josef Pröll, werden deshalb als Beschuldigte geführt. Sie bestreiten die Vorwürfe.

Eine Folge der Ermittlungen nach dem "Ibiza-Video" ist ein neues Gesetz, das im Juli vergangenen Jahres in Kraft trat und die Höhe von Spenden begrenzt. Eine Einzelspende darf nun pro Jahr nicht mehr als 7500 Euro betragen, eine Partei darf insgesamt nicht mehr als 750.000 Euro an Spenden erhalten. Spenden über 2500 Euro müssen öffentlich gemacht werden, zuvor hatte die Grenze bei 51.000 Euro gelegen.

Die Hintermänner

Die österreichische Justiz ermittelt nicht nur wegen der Vorwürfe, die sich aus den Inhalten des Videos ergeben haben. Zehn Tage nach Erscheinen der Aufnahmen hat die Wiener Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass sie ein Verfahren gegen diejenigen eröffnet hat, die sie für die Macher des Videos hält.

Mittlerweile ermittelt die "Soko Tape" gegen acht Beschuldigte, im Zentrum stehen ein Wiener Anwalt, der eine Beteiligung bereits eingeräumt hat, und ein privater Ermittler aus Wien, der lange eine Detektei in München betrieb und nun in Berlin gemeldet ist.

Es geht um den Verdacht der Täuschung, des Missbrauchs von Tonaufnahme- oder Abhörgeräten und der Fälschung von Urkunden - der Wiener Anwalt soll Johann Gudenus bei einem Anbahnungsgespräch in seiner Kanzlei eine manipulierte Kopie des Reisepasses der angeblichen Oligarchennichte gezeigt haben. Nun wird darüber gestritten, ob eine Kopie als Urkunde gilt.

Gegen den Privatdetektiv bringen die Ermittler allerdings noch weitere Anschuldigungen vor. Unter anderem soll er, so die Behauptung, in der Vergangenheit mit Kokain gehandelt haben. Er soll außerdem versucht haben, Strache nach Veröffentlichung der Videoausschnitte mit der Androhung zu erpressen, die bislang nicht ausgespielten Teile der mehr als sechsstündigen Aufnahmen publik zu machen.

Der Anwalt des beschuldigten Privatdetektivs, Johannes Eisenberg aus Berlin, weist die Verdächtigungen als "falsch" und "konstruiert" zurück. Er erinnert daran, dass Strache und Gudenus öffentlich selbst gesagt hätten, nicht erpresst worden zu sein.

Auch die Drogenvorwürfe gegen seinen Mandanten hält Eisenberg für an den Haaren herbeigezogen. Sie fußten auf unsicheren Angaben zweifelhafter Zeugen, die sich davon Vorteile versprächen.

Gegen Medien in Österreich und Deutschland, die über diese Vorwürfe berichtet haben, hat der Berliner Anwalt teilweise erfolgreich einstweilige Verfügungen durchgesetzt, weil die Verdachtslage schwach sei. Er wirft den österreichischen Behörden vor, die Vorwürfe nur deshalb vorgebracht zu haben, um über eine europäische Ermittlungsanordnung unter anderem die deutsche Polizei bei der Suche nach den Verdächtigen miteinzubeziehen.

Die Maßnahmen gegen seinen Mandanten, etwa die Durchsuchung der Detektei in München oder eine Funkzellenauswertung, die mehr als 70.000 Teilnehmer meist aus Berlin umfasste, hält Eisenberg für rechtswidrig. Er hat daher eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Zu einer möglichen Beteiligung seines Mandanten an den Videoaufnahmen sagt Eisenberg nichts.

Die Wiener Staatsanwaltschaft wollte sich zu den Ermittlungen nicht äußern, da es sich bei dem Verfahren um eine Verschlusssache handelt. Unbeantwortet blieben auch Anfragen zu einem ehemaligen Mitglied der "Soko Tape", das gewisse Zweifel an der Unabhängigkeit der Ermittlergruppe nährt.

Strache (r.) und Gudenus

Strache (r.) und Gudenus

Foto: Dieter Nagl/ AFP

Wie der österreichische "Standard" im März berichtete, schickte ein Beamter der Soko eine SMS an Strache, kurz nach dessen Rücktritt als Vizekanzler und FPÖ-Chef: "Lieber HC, ich hoffe auf einen Rücktritt vom Rücktritt ….. die Politik braucht Dich." Die "Kronen Zeitung" berichtet, derselbe Beamte habe am Tag des Rücktritts Straches die Nachricht geschrieben: "Kopf hoch, es geht auch nach der Politik weiter."

Der Abteilungsinspektor spielte innerhalb der Soko eine nicht unerhebliche Rolle. Er hat mehrere wichtige Zeugen vernommen und sogenannte "Anlassberichte" geschrieben. Gleichzeitig soll er, wie der "Standard" berichtet, außerhalb des Verfahrens Kontakte zu Strache gehabt haben, der sich zweimal im Juni mit "Fragen" an den ihm bekannten Polizisten gewandt habe. Mittlerweile wurde der Beamte aus der Soko abgezogen. Er ließ eine Anfrage des SPIEGEL unbeantwortet.

Nach der Veröffentlichung der Ausschnitte aus dem Ibiza-Video waren auch gegen den SPIEGEL und die "Süddeutsche Zeitung" Strafanzeigen gestellt worden. Im August teilte die Staatsanwaltschaft Hamburg mit, es bestehe "kein hinreichender Tatverdacht", dass der SPIEGEL mit der Veröffentlichung eine Straftat begangen habe. Die aufgedeckten Vorgänge, so erläuterte eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft später, seien vielmehr von "enormer historisch-politischer Bedeutung mit weitreichenden Auswirkungen gewesen, an denen ein kaum zu überschätzender Informationsbedarf der Öffentlichkeit" bestanden habe. Auch die Staatsanwaltschaft München stellte mit derartigen Argumenten die Ermittlungen gegen die SZ ein.

Ähnlich sah es der Oberste Gerichtshof in Wien in einem Zivilverfahren des einstigen FPÖ-Mannes Gudenus gegen den verdächtigten Wiener Anwalt. Die Richter verurteilten zwar die "verpönte Art" der Erlangung der Aufnahme und die "vorsätzliche Täuschung über die Identität und die Absichten der Gesprächspartnerin", zugleich legitimierten sie die Weitergabe und Ausstrahlung des Videos. "Die Veröffentlichung der Videoaufnahme leistete einen außergewöhnlichen großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse."

Und so ergibt sich folgendes Bild: Während die Veröffentlichung des Videos von der deutschen wie von der österreichischen Justiz als Akt politischer Aufklärung gepriesen und legitimiert wird, werden die, die das Video erstellt haben sollen, weiterhin als Kriminelle verfolgt.

Ein Grund dafür dürfte auch der Verdacht sein, die Macher hätten jahrelang versucht, das Video gegen viel Geld zu verkaufen, bevor es der SPIEGEL und "Süddeutsche Zeitung" veröffentlicht haben. Beide Medienhäuser haben dafür kein Geld bezahlt.

Bei den Wiener Ermittlern hat sich ein Zeuge gemeldet, der erfahren haben will, die politischen Aktivisten vom Berliner "Zentrum für Politische Schönheit" (ZPS) hätten für das Video 600.000 Euro bezahlt. Das Gerücht kursiert bis heute in manchen Veröffentlichungen, obwohl das ZPS bereits am 27. Mai vergangenen Jahres per Tweet mitgeteilt hatte: "Für das Ibiza-Video ist weder von uns Geld geflossen, noch haben wir es SZ oder SPIEGEL zugespielt. Statt wilde Gerüchte über den Ursprung des Videos zu verbreiten, könnten sich die investigativen Ressorts um die Finanzierungsquellen der FPÖ kümmern."

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