Mögliche Kriegsverbrechen Haager Strafgericht soll doch nicht gegen US-Soldaten in Afghanistan ermitteln

Der Internationale Strafgerichtshof wollte mögliche Kriegsverbrechen von US-Soldaten in Afghanistan untersuchen. Doch der neue Chefankläger hat andere Pläne. Kritik kommt von Amnesty International.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag

Foto: Mike Corder / AP

Eigentlich hatte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) angekündigt, zu möglichen Kriegsverbrechen durch US-Soldaten in Afghanistan zu ermitteln. Dazu kommt es aber wohl nicht. Die Untersuchung zu Afghanistan müsse sich auf Taten der radikalislamischen Taliban und der Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« konzentrieren, forderte der neue Chefankläger des in Den Haag ansässigen Tribunals, Karim Khan. Er verwies auf »Schwere, Ausmaß und den anhaltenden Charakter« der mutmaßlichen Verbrechen der Islamisten.

Karim Khan: Internationaler Strafgerichtshof soll sich auf die Fälle konzentrieren, die am ehesten zu Verurteilungen führten

Karim Khan: Internationaler Strafgerichtshof soll sich auf die Fälle konzentrieren, die am ehesten zu Verurteilungen führten

Foto: Marwan Ali / AP

Khans Vorgängerin Fatou Bensouda hatte mit ihrer Arbeit den Zorn Washingtons auf sich gezogen. Sie hatte sich seit 2017 für die Einleitung formeller Ermittlungen gegen Angehörige der US-Streitkräfte in Afghanistan eingesetzt. Die Haager Richter lehnten dies 2019 ab. In zweiter Instanz bekam Bensouda 2020 aber doch grünes Licht.

Zu Ermittlungen kam es dann nicht: Die mittlerweile abgesetzte Regierung in Kabul beantragte eine Aussetzung, weil sie den Vorwürfen selbst auf nationaler Ebene nachgehen wolle. Die internen Regeln des Gerichtshofs besagen, dass dieser Ermittlungen zu schweren Verbrechen dann übernehmen soll, wenn der betroffene Mitgliedstaat nicht in der Lage oder unwillig dazu ist.

US-Regierung begrüßt die Entscheidung

Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan habe die Situation am Hindukusch »fundamental« verändert, sagte Khan nun. Die Untersuchung müsse nun wieder anlaufen. Weil der IStGH aber begrenzte Ressourcen habe, wolle er sich auf die Fälle konzentrieren, die am ehesten zu Verurteilungen führten.

Die Entscheidung wurde von der US-Regierung begrüßt, bei Menschenrechtsorganisationen stieß sie hingegen auf Kritik. »Wir freuen uns, dass der IStGH seine Ressourcen vorrangig auf die größten Anschuldigungen und Gräueltaten konzentriert«, sagte eine Sprecherin des US-Außenministeriums. Die US-Regierung sei »zutiefst besorgt über die derzeitige Menschenrechtslage in Afghanistan«.

Amnesty International kritisierte Khans Entscheidung scharf: Der US-Drohnenangriff in Kabul Ende August, bei dem zehn unschuldige Zivilisten getötet wurden, zeige, dass der IStGH »diese Entscheidung überdenken und auch die USA zur Verantwortung ziehen muss«. Auch die Bürgerrechtsorganisation ACLU forderte den Gerichtshof auf, seine Entscheidung rückgängig zu machen.

Sanktionen gegen die Vorgängerin

Der Brite Khan war im Februar von den Mitgliedstaaten des IStGH für eine neunjährige Amtszeit gewählt worden. Zuvor hatte die US-Regierung unter Präsident Donald Trump Sanktionen gegen seine Vorgängerin Bensouda verhängt. Unter Präsident Joe Biden nahm Washington die Sanktionen zwar zurück, bekräftigte aber die Kritik an den geforderten Ermittlungen.

Fatou Bensouda, ehemalige Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof

Fatou Bensouda, ehemalige Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof

Foto: Bas Czerwinski / AP

Der IStGH ahndet Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er nahm seine Tätigkeit 2002 auf. Die USA und weitere Länder wie China, Russland und Israel gehören ihm allerdings nicht an. Washington hatte das Tribunal in der Vergangenheit wegen Ermittlungen gegen Nichtmitgliedstaaten immer wieder scharf kritisiert.

lau/AFP
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