Vergeltung für Proteste? Hunderte Schulmädchen in Iran offenbar vergiftet

In mehr als 30 iranischen Schulen in verschiedenen Städten sind junge Mädchen Opfer »leichter Giftanschläge« geworden – so heißt es seitens des Gesundheitsministeriums des Regimes. Kritiker sehen eine Racheaktion dahinter.
Iranische Schulmädchen in Teheran im Dezember 2017

Iranische Schulmädchen in Teheran im Dezember 2017

Foto: Atta Kenare / AFP

In den vergangenen Monaten ist es in Iran zu »leichten Giftanschlägen« auf Hunderte Schulmädchen gekommen. Das gab der Gesundheitsminister des Teheraner Regimes, Bahram Eynollahi, zu.

Die Vergiftungen kommen offenbar seit November vor und fanden in mehr als 30 Schulen in mindestens vier Städten statt, berichten die Nachrichtenagenturen »Reuters« und »AP« übereinstimmend unter Berufung auf iranische Medienberichte.

Vertreter des theokratischen Regimes hatten die Vorfälle zunächst heruntergespielt, bezeichnen sie inzwischen jedoch als vorsätzliche Angriffe. Der stellvertretende Gesundheitsminister Junes Panahi sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna, nach den Vergiftungsfällen in der Stadt Ghom sei festgestellt worden, »dass einige Leute wollten, dass alle Schulen, insbesondere die Mädchenschulen, geschlossen werden«.

Die mutmaßlichen Vergiftungen würden untersucht, sagte der iranische Polizeichef Ahmed-Resa Radan am Dienstag der Nachrichtenagentur Tasnim. Es sei die Priorität der Polizei, den Ursachen auf den Grund zu gehen, sagte er. »Bis dahin werden wir nicht beurteilen, ob es sich um eine vorsätzliche Tat handelt oder nicht.« Bislang sei niemand verhaftet worden, es würden aber Verdächtige identifiziert.

Regimekritische Aktivistinnen und Aktivisten werfen dem Regime hingegen eine aktive Beteiligung vor. Das Regime nehme Rache an Frauen für ihren mutigen Widerstand, twitterte etwa  der Autor Hamed Esmaeilion. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP verglichen weitere Aktivisten die für die Vergiftungen Verantwortlichen mit den radikalislamischen Taliban in Afghanistan und der Dschihadistenmiliz Boko Haram in Nigeria, die Bildung für Mädchen grundsätzlich ablehnen.

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Die ersten Vorfälle wurden nach Tasnim-Angaben bereits im November gemeldet – als die landesweiten Proteste gegen die Führung in Teheran in vollem Gange waren. Seit November wurden Hunderte Fälle von Atemnot bei Schülerinnen in mindestens zwei anderen Städten gemeldet, darunter in der Stadt Ghom.

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Mitte Februar hatten Eltern laut Medienberichten bei einer Demonstration vor dem Gouverneursamt in Ghom eine Erklärung von den Behörden gefordert. Daraufhin erklärte Regierungssprecher Ali Bahadori Dschahromi, der Geheimdienst und das Bildungsministerium seien dabei, die Ursachen für die Vergiftungen zu ermitteln. Vergangene Woche ordnete dann Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri eine gerichtliche Untersuchung an.

In Iran kommt es seit September vergangenen Jahres zu landesweiten Protesten. Begonnen hatten diese nach dem Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini begonnen. Nachdem sie wegen Verstoßes gegen die Kopftuchpflicht von den Sittenwächtern festgenommen worden war, starb die 22-Jährige in Polizeigewahrsam. Der Aufstand stürzte die politische Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten.

col/sol/AFP/Reuters/AP
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