Eine Szene aus dem Krieg.
Ein türkisches Kamerateam filmt einen Luftangriff auf Irpin, eine Kleinstadt bei Kiew.
Eigentlich leben in Irpin 60.000 Einwohner, der Ort liegt westlich, gerade außerhalb des Kiewer Stadtgebiets.
Christoph Reuter, DER SPIEGEL
»Wir stehen kurz vor Irpin, in einem Vorort von Kiew oder eigentlich noch Teil von Kiew. Die einzige Brücke, die über den Fluss führt, und hier versuchen die letzten Bewohner zu Fuß über die Reste der Brücke zu kommen, haben ihre Haustiere, ihre Fahrräder alles dabei, was sie versuchen zu retten und über die kleine Behelfsbücke aus Holz zu tragen.«
Schon vor Tagen wurde die Brücke hier zerstört – ein ukrainischer Offizier behauptet zunächst, durch den Einschlag einer Rakete aus Belarus. Das ukrainische Militär bestätigt jedoch, die Brücke selbst gesprengt zu haben, um den russischen Vormarsch zu erschweren.
Andere Quellen berichten, die Ukrainer selbst hätten die Brücke gesprengt, um den Vormarsch der russischen Truppen zu erschweren. Für die Einwohner Irpins gilt nur: endlich in Sicherheit kommen.
O-Töne Fliehende
»Wir müssen fliehen, um am Leben zu bleiben. Zumindest hoffe ich das. Deswegen müssen wir hier weg.«
Reporterin:
»Was passiert gerade in Irpin?«
Frau auf der Flucht:
»Es ist ein Desaster. Ein völliges Desaster.«
Reporterin:
»Gibt es Straßenkämpfe?«
Frau auf der Flucht:
»Straßenkämpfe ... Bomben ... überall.«
Mann auf der Flucht:
»Die russischen Panzer kommen zu uns. Ich hoffe, unsere Armee lässt sie nicht bis zu uns durch.«
Frau auf der Flucht:
»Ist es ist sehr wichtig, dass die Welt weiß, was hier passiert.«
Der Bürgermeister von Irpin berichtet von Erfolgen gegen die russische Armee. Er berichtet aktuell von zwei zerstörten Militärfahrzeugen und zwei Panzerwagen. Seit Beginn des Kriegs vor neun Tagen seien es schon zehn Panzerwagen gewesen. Etliche russische Soldaten seien getötet worden, das ukrainische Militär habe viele Waffen erbeuten können. Teilweise, so berichtet er, gingen die Ukrainer sogar in die Offensive und drängten die Russen zurück.
Sascha Morkuschin, Bürgermeister Irpin
»Das russische und belarussische Militär denkt, hier säßen professionelle Spezialeinheiten. Aber wir haben einfach sehr motivierte Männer.«
Unser Reporterteam dokumentiert auf der Fahrt durch die Stadt, wofür die Männer hier kämpfen. Eindrücke aus – noch – intakten Teilen der Kleinstadt.
Zu Detonationsgeräuschen im Hintergrund fragen unsere Reporter Alexander Markushin, warum er Bürgermeister werden wollte.
Sascha Morkuschin, Bürgermeister Irpin
»Es ist so eine schöne Stadt! Ich denke, es ist eine der schönsten Städte der Ukraine. Und eine der europäischsten.«
Doch davon ist stellenweise nicht mehr viel übrig. Supermärkte sind geplündert, ganze Straßenzüge von Kämpfen verwüstet. Mitunter liegen Leichen auf der Straße, offenbar hat niemand Zeit, sich um sie zu kümmern.
Auch Wohnviertel wurden, anders als von Putin behauptet, alles andere als verschont. Bilder wie aus vielen anderen ukrainischen Städten, die von den russischen Truppen bereits eingenommen wurden oder derzeit umkämpft sind. Auch dieser Angriff geschah vor etwa zwei Tagen.
Bewohnerin
»Wir hatten uns im Keller versteckt, und am Morgen flog alles durch die Gegend. Wir haben nichts mehr, wir haben nur unsere Papiere. Mehr haben wir nicht dabei.«
Bewohner
»Um halb acht Uhr morgens ist es passiert. Eine erste Explosion … da schafften wir es, alle ins Badezimmer zu rennen. Und dann kam die zweite Explosion.«
Wegen dieser Angriffe, dieser sinnlosen Zerstörung, wollen nun viele nur noch weg aus Irpin. Am Bahnhof warteten in den vergangenen Tagen Hunderte auf Züge in Richtung Lviv und Polen. Und die Lage hat sich noch nicht verbessert. Aktuelle Aufnahmen unseres Reporterteams zeigen: Noch immer ist es auch hier ein Kampf, wenn auch »nur« um einen Platz in einem Zug gen Westen.