Miliz »Islamischer Staat« Pentagon warnt vor Terroranschlägen in den USA innerhalb von sechs Monaten

Seit der Machtübernahme der Taliban verübt die Terrormiliz »Islamischer Staat« Attentate in Afghanistan. Ein hoher US-Offizieller erklärte nun, dass auch das Risiko in den Vereinigten Staaten steigen dürfte.
US-Verteidigungsministerium (Archivbild)

US-Verteidigungsministerium (Archivbild)

Foto: STAFF/ AFP

Die US-Geheimdienste sind zu der Einschätzung gelangt, dass der »Islamische Staat« in Afghanistan (IS-K) innerhalb von nur sechs Monaten in der Lage sein könnte, die Vereinigten Staaten anzugreifen. Man müsse zudem davon ausgehen, dass die Terrororganisation die Absicht habe, dies zu tun, sagte ein hochrangiger Beamter des Pentagon am Dienstag vor dem Kongress.

Der Aussage des politischen Beraters Colin Kahl zufolge ist noch unklar, ob die Taliban nach dem Abzug der USA im August in der Lage sind, den IS-K wirksam zu bekämpfen. Die beiden radikalislamischen Organisationen sind verfeindet.

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hatte der IS-K mehre Selbstmordattentate verübt. So wurden bei einem Angriff auf eine Moschee in Kandahar 32 Menschen getötet, in Kunduz kamen mindestens 40 bei einem solchen Anschlag ums Leben. Ein Polizeichef der Taliban wurde in der Provinz Kunar mit einer Autobombe getötet.

Auch al-Qaida könnte wieder zur Gefahr werden

Kahl schätzte vor dem Kongress, dass der IS-K einen »Kader von einigen Tausend« Kämpfern habe. Zudem warnte er vor einem Wiedererstarken von al-Qaida. Es könne »ein oder zwei Jahre« dauern, bis al-Qaida wieder in der Lage sei, Angriffe außerhalb Afghanistans gegen die Vereinigten Staaten vorzunehmen. »Wir müssen wachsam sein, um das zu unterbinden«, sagte Kahl.

Die Qaida-Anschläge vom 11. September 2001 waren der Auslöser für die 20 Jahre währende US-Mission in Afghanistan gewesen.

Der IS-K wurde im Januar 2015 als regionaler Ableger der Terrormiliz IS gegründet. Dieser hatte ein halbes Jahr zuvor sein Kalifat in Syrien und dem Irak ausgerufen und war dort auf dem Zenit seiner Macht. Das »K« steht für Khorasan, dabei handelt es sich um die historische Bezeichnung für eine Region, die im Mittelalter weite Teile Zentralasiens umfasste, darunter Gebiete des heutigen Afghanistans und Irans.

Die IS-Führung erkannte IS-K offiziell als Ableger an. Über die Jahre soll sie ihn auch mit Geld unterstützt haben. Die Taliban gehen nach eigenen Angaben mit Spezialkräften gegen den sogenannten IS in Afghanistan vor.

Die USA waren in August nach 20 Jahren Kampfeinsatz relativ plötzlich aus Afghanistan abgezogen. Nicht wenige Fachleute hatten gewarnt, dass das Land ohne internationale Truppen in kürzester Zeit zu einem Rückzugsort für Terroristen werden könnte.

Im Interview mit dem SPIEGEL  hatte der Terrorexperte und Journalist Peter Bergen erklärt, dass sich ein Szenario wie im Irak 2014 wiederholen könnte. Bergen: »Viele ehemalige Taliban sind zu IS-K übergelaufen, auch weil es der derzeit größte und furchterregendste Markenname für Terror ist. Darunter waren auch Taliban-Politiker, die die Idee, in Doha mit den USA Friedensverhandlungen zu führen, nicht so gut fanden.«

Er geht zudem davon aus, dass schon in wenigen Monaten kaum noch ein klares Lagebild aus Afghanistan zu bekommen sein dürfte. Geheimdienstinformationen von vor Ort, extrem wertvoll bei der Früherkennung möglicher Terrorpläne, werden zukünftig spärlicher und weniger verlässlich sein.

Immer wieder blutige Angriffe auf Zivilisten

Heute gilt der IS-K als die brutalste Dschihadistenmiliz in Afghanistan. Sie verübte zahlreiche Terroranschläge auf Zivilisten. Einst soll der IS-K etwa 3000 Kämpfer gehabt haben. Zuletzt waren es nach Schätzungen von Uno-Experten nur noch 1500 bis 2200. Grund dafür sind Angriffe durch die USA, afghanische und pakistanische Sicherheitskräfte, aber auch Kämpfe mit den Taliban.

US-Streitkräfte töteten bei Militärschlägen und Drohnenangriffen in der Vergangenheit immer wieder führende Köpfe des IS-K. Inzwischen hat die Gruppe mit Shahab al-Muhajir bereits ihren siebten Anführer. Er gilt als Drahtzieher mehrerer schwerer Anschläge in Kabul und anderen Städten.

Der IS-K hat in Afghanistan vielerorts kleine dezentrale Zellen gebildet. Ihre Hochburgen haben die Dschihadisten in den Provinzen Nangarhar und Kunar nahe der pakistanischen Grenze.

Konkurrenz mit den Taliban

Für den IS in Afghanistan sind die Taliban Rivalen. Berichten zufolge sehen Mitglieder der Terrormiliz in den neuen Herrschern »schmutzige Nationalisten« . In dieser Beschimpfung kommt ein wesentlicher ideologischer Unterschied zwischen den beiden Gruppen zum Ausdruck: Etwas vereinfacht gesagt, beschränken sich die Taliban in ihren politischen Ambitionen auf Afghanistan, während sich der IS-K als Teil eines künftigen globalen Kalifats begreift.

Die Gruppe kritisierte die Taliban besonders stark, weil diese Verhandlungen mit den USA aufnahmen. Die Taliban, so die IS-K-Propaganda, hätten den Dschihad zugunsten von Gesprächen in den »feinen Hotels« von Doha aufgegeben.

jok/sol/Reuters
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