Israels Ultraorthodoxe Der Messias gegen Covid-19

Ein Polizeieinsatz in Mea Shearim, dem religiösen Viertel von Jerusalem
Foto:Ilia Yefimovich/ dpa
In diesen ärmlichen Vierteln leben die Haredim, die "Gottesfürchtigen", wie sie sich selbst nennen: ultraorthodoxe Juden, die ihr Leben dem Thora-Studium und den Geboten Gottes widmen. Normalerweise lässt der Staat diese religiöse Minderheit weitestgehend in Ruhe. Doch in diesen Tagen muss die Polizei die Haredim vor sich selbst schützen.
Nirgendwo in Israel gibt es derzeit so viele Corona-Fälle wie in den religiösen Stadtteilen. Mehr als 700 bestätigte Infektionen zählen die Behörden in Jerusalem, fast ebenso viele in Bnei Brak. Und nirgendwo hat das Virus so leichtes Spiel: Die Haredim leben in Großfamilien mit acht, zehn, manchmal zwölf Kindern. Weil sie ihr Leben oft ausschließlich der Religion verschrieben haben, sind die Familien arm und wohnen auf engstem Raum.
Kein Wunder, dass das Virus unter den Religiösen in Israel besonders grassiert. Mehr als die Hälfte aller Infektionen im Land gehen laut Medienberichten auf die Haredim zurück. Um die Ausbreitung von Covid-19 zu stoppen, will Israels Regierung leicht erkrankte Haredim in Hotels unterbringen, bis sie genesen sind.
Andere Politiker forderten seit Tagen, die Siedlungen der Ultraorthodoxen ganz abzuriegeln. Am Freitagmorgen war es in Bnei Brak soweit: 1000 Polizisten sichern die Zugänge zur Stadt. Nur wer eine spezielle Erlaubnis hat, darf noch hinein oder hinaus. So soll verhindert werden, dass das Virus, das in dem religiösen Örtchen wütet, auf den Rest des Landes überspringt.
Die "Gottesfürchtigen" halten sich nur bedingt an die Ausgangssperre, die Israels Regierung über das ganze Land verhängt hat. Im Moment sind Menschenansammlungen eigentlich verboten, Israelis dürfen sich nicht weiter als 100 Meter von ihrem Haus entfernen. Videoaufnahmen aus den religiösen Vierteln zeigen dagegen Männer, die zum Gebet strömen. Manche Straßenzüge sind bevölkert, als sei alles ganz normal.
Die Religiösen erkennen die Autorität des Staates nicht an, selbst wenn sie Teil davon sind. Israels Gesundheitsminister Yaakov Litzman gehört beispielsweise einer strenggläubigen Partei an. Ende März gab Litzman eine Pressekonferenz und wurde von einem Reporter gefragt, ob die aktuelle Ausgangssperre vor dem 8. April aufgehoben werde: Dann beginnt in Israel das Pessach-Fest, ein wichtiger jüdischer Feiertag.
Litzmans Antwort: Man hoffe, dass der Messias vorher erscheine, um Israel zu erlösen. Seitdem fragt sich das ganze Land, ob es klug ist, das Gesundheitsministerium einem Mann zu überlassen, der sich bei der Bekämpfung von Covid-19 eher auf Gott verlässt als auf die Wissenschaft.
Auch die israelische Regierung scheint sich ihren Rat momentan eher nicht aus dem Gesundheitsministerium zu holen. Einem Bericht der Zeitung "Haaretz " zufolge hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu eine Gruppe von Professoren um sich geschart, die über die Corona-Strategie des Landes entscheiden. Wichtige Epidemie-Experten des Landes würden ausgeschlossen, ihre Meinungen nicht gehört. Netanyahu, der sich gerade seine vierte Amtszeit als Ministerpräsident sicherte, bestimme mehr oder weniger allein über Israels Weg aus der Coronakrise.
Netanyahu ist in Quarantäne, der Mossad-Chef ebenso
Derzeit tut Netanyahu das aus der Quarantäne heraus: Eine seiner Mitarbeiterinnen wurde positiv auf das Virus getestet. Auch Aviv Kochavi, Israels höchster Militärkommandant, ist aktuell wegen Corona-Verdachts in Isolation, ebenso wie der Mossad-Chef. 37 Menschen sind in Israel bislang an dem Virus gestorben.
Die Religiösen scheint das nicht zu beunruhigen. Als die Polizei die Haredim in Jerusalem an einer Versammlung hindern wollte, hustete ein Junge die Beamten an. Absichtlich.
Gesundheitsminister Litzman wurde inzwischen sogar positiv auf das Virus getestet. Er soll sich israelischen Medienberichten zufolge bei einem jener Gottesdienste angesteckt haben, die sein Ministerium selbst verboten hatte.