Israel vor der Corona-Wahl Teile und herrsche

Will wiedergewählt werden: Benjamin Netanyahu
Foto: POOL / REUTERSEs bleibt nicht mehr viel Zeit für Israels Politiker: Am Donnerstag läuft die Antragsfrist zur Parteiregistrierung für die Wahl am 23. März ab. Es ist das vierte Votum innerhalb von zwei Jahren und damit ein Allzeitrekord.
War es noch vor dem letzten Wahlgang im März 2020 im rechten wie im linken Spektrum zur Bildung mehrerer Blöcke gekommen, so sind alle diese Bündnisse innerhalb des letzten Jahres auseinandergebrochen. Hauptgrund dafür ist die Spaltungspolitik von Likud-Chef Benjamin Netanyahu, der seit 2009 als Ministerpräsident das Land regiert.
Durch großzügige Vergabe von Ministerposten, die das israelische Kabinett auf mehr als 30 Minister anwachsen ließ, war es Netanyahu gelungen, im vergangenen Jahr gleich drei Parteienbündnisse zu sprengen:
So verließ Yair Lapid, Kopf der liberalen Yesh Atid (Es gibt eine Zukunft), das Mitte-Bündnis »Blau-Weiß«, das im März 2020 zweitstärkste Liste war, nachdem sein Bündnispartner, Ex-Generalstabschef Benny Gantz, im Mai Netanyahus Koalition beigetreten war.
Ähnlich führten Koalitionsbeitritte von Teilen sowohl des ultrarechten Blocks Yamina als auch des linken Dreierbündnisses (Awoda, Gesher, Meretz) zur weiteren Zersplitterung der israelischen Parteienlandschaft.
In den letzten Wochen hat Netanyahu seine Strategie des Teilens und Herrschens nun auch gegen das mehrheitlich arabische Vierparteienbündnis »Gemeinsame Liste« erfolgreich angewandt.
Netanyahu sucht die Nähe zu arabischen Parteien – aus strategischen Gründen
In Gesprächen mit dem Vorsitzenden der dem Bündnis angehörenden konservativ-islamistischen »Vereinigten Arabischen Liste«, Mansur Abbas, versprach der Premier unter anderem, entschieden gegen die im arabischen Sektor grassierende Gewaltkriminalität vorzugehen, für die man dort Polizei und Staat verantwortlich macht.

Benjamin Netanyahu spricht neuerdings mit ihm: Mansur Abbas (r.), ein bislang führender Politiker des arabischen Vierparteienbündnisses »Gemeinsame Liste«
Foto: GIL COHEN-MAGEN / AFPMansur Abbas ging schon bald zu seinen arabischen Bündnispartnern auf Distanz und alle Versuche, ihn im Boot zu halten, scheiterten. Vergangene Woche wurde die Auflösung der seit 2015 bestehenden »Gemeinsamen Liste« bekannt gegeben. Ob zumindest zwei der verbliebenen drei Parteien gemeinsam zur Wahl antreten, ist unklar.
Diese Ungewissheit nutzt Netanyahu. Er reist nun häufig in arabische Ortschaften, wo er versucht, für seine neuerdings araberfreundliche Politik Sympathisanten zu gewinnen. Allerdings dürften dort die Wenigsten seine früheren araberfeindlichen Parolen vergessen haben – vor der Wahl im September 2019 waren auf Netanyahus Facebook-Seite israelisch-arabischen Politikern Vernichtungsabsichten unterstellt worden.
Der Bürgermeister von Tel Aviv scheint auf der nationalen Bühne zu scheitern
Nicht nur das Auseinanderbrechen der Wahlbündnisse hat die Zahl der Parteien sprunghaft ansteigen lassen – statt acht wie im März 2020 könnten nun fast doppelt so viele in die Knesset einziehen.
Zum Lager der entschlossenen Netanyahu-Gegner sind jetzt nämlich zwei neue Parteigründungen hinzugestoßen, denen sehr unterschiedliche Erfolgschancen vorausgesagt werden:
Gideon Saar, langjähriges Likud-Mitglied und früherer Innen- und Erziehungsminister, der häufig noch rechtere Positionen als sein Parteichef vertrat, will ihn mit seiner neu gegründeten Partei »Neue Hoffnung« ablösen. Die Demoskopen sehen Saar immerhin an dritter Stelle mit voraussichtlich 14 Mandaten nach dem Likud (30) und Lapids Yesh Atid (17).
Ebenfalls mit dem erklärten Ziel, Netanyahu zu stürzen, und mit nicht weniger Furore ist am anderen Ende des politischen Spektrums der langjährige Tel Aviver Oberbürgermeister Ron Huldai mit seiner Neugründung »Die Israelis« in den parteipolitischen Ring gestiegen.
Anfangs wirkte das Unterfangen durchaus vielversprechend, weil es von Avi Nissenkorn, der dafür »Blau-Weiß« verlassen hatte, mitgetragen wurde.
Als Justizminister hatte sich Nissenkorn bis zu seinem Rücktritt Ende Dezember das Image eines Widerständlers gegen Netanyahus Versuche, sein Korruptionsverfahren zu verzögern, erworben. Doch schaffte es Huldais linksliberale Neugründung mangels eines klaren Profils in den meisten Umfragen bislang nur auf den letzten Platz.
Etwas besser läuft es da für Merav Michaeli, die neue Vorsitzende der Arbeitspartei (Awoda). Nach ihrer jüngsten Wahl hatte die frühere TV-Moderatorin Michaeli die bisherige Regierungszusammenarbeit ihrer Partei mit dem Likud aufgekündigt und die beiden mit Netanyahu koalierenden Awoda-Abgeordneten zum Rücktritt von ihren Ministerposten aufgefordert – sie blieben aber im Amt und verließen die Arbeitspartei. Einer von ihnen, Wohlfahrtsminister Itzik Shmuli, ist an diesem Mittwoch doch noch zurückgetreten und gab bekannt, die Politik erst einmal zu verlassen.

Soll die altehrwürdige Arbeiterpartei wieder von Sieg zu Sieg führen: Merav Michaeli
Foto: Sebastian Scheiner / APMerav Michaelis radikaler Schnitt scheint ihre Partei wohl vor dem endgültigen Untergang bewahrt zu haben. Nach den jüngsten Umfragen würde die Awoda sogar fünf Sitze erhalten, einen mehr als der durch seinen Schulterschluss mit Netanyahu bei den Wählern in Ungnade gefallene Benny Gantz. Mit ihm gleichauf steht die linksliberale Meretz-Partei. Deren Weigerung, mit dem rechten Ministerpräsidenten eine Koalition einzugehen, könnte ihr nun den Einzug ins Parlament als eigenständige Liste ermöglichen.
Weiterer Rechtsruck in Israels Parteienlandschaft zeichnet sich ab
Aus dem gleichen Grund haben auch die ultrarechten Koalitionsverweigerer Naftali Bennett und Ayelet Shaked mit ihrer neu aufgestellten Yamina-Partei die Aussicht, mit etwa 13 Mandaten viertstärkste politische Kraft zu werden – mithin so stark wie 2013 als Doppelspitze ihrer einstigen Partei »Das jüdische Heim«, die in Netanyahus Koalitionen erfolgreich die Interessen des Siedlerlagers durchsetzte.
Das nach dem Zerfall des Mitte-Blocks »Blau-Weiß« entstandene Vakuum wird jetzt offenbar durch Yamina und Gideon Saars Neue Hoffung gefüllt. Die Folge: Es zeichnet sich ein weiterer Rechtsruck in Israels Parteienlandschaft ab.

Will Netanyahu als Premier beerben: Gideon Saar
Foto: AMIR COHEN / REUTERSGegenüber diesen ultrarechten Herausforderern kann sich Netanyahu nun sogar als moderate Kraft inszenieren – und als Versöhner, der das durch die Pandemie noch tiefer gespaltene Volk wieder einigt.
Mit der weiterhin zügig durchgeführten und im Ausland als vorbildlich angesehenen Impfkampagne kann der Premier derzeit bei vielen Wählerinnen und Wählern punkten. Der Opposition allerdings, die Netanyahu in allen Phasen der Pandemie für sein Corona-Krisenmanagement scharf kritisierte, gehen auch die Impfungen nicht schnell genug.
Der bisherige Wahlkampf beschränkt sich denn auch weitgehend darauf, wie der Pandemie und ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen am effektivsten zu begegnen ist. Netanyahu wird jetzt verstärkt vorgeworfen, aus Rücksicht auf seine strenggläubigen Koalitionspartner die Lockdown-Maßnahmen im ultraorthodoxen Sektor nicht konsequent durchsetzen zu wollen.
Dass die Polizei gegen Massenversammlungen der Haredim bei Hochzeiten oder Beerdigungen nicht entschieden genug oder gar nicht vorgeht, hat in den Augen säkularer Oppositioneller jedenfalls System. Ihre Wut auf die Ultraorthodoxen könnte sich nach Meinung von Beobachtern auf das Wahlverhalten auswirken.
Die Opposition steht unter Zeitdruck
Davon profitieren könnte vor allem Netanyahus ehemaliger Weggefährte Avigdor Lieberman. Seine säkulare und ultrarechte Partei »Unser Heim Israel« übt am schärfsten Kritik an den Strenggläubigen und könnte daher noch mehr als die ihr momentan prognostizierten sieben Mandate erzielen.
Doch wie Lieberman will bislang mit Ausnahme einiger religiöser Parteien keine Liste mit Netanyahu zusammenarbeiten. Werden in den Reihen der Opposition nicht doch noch im letzten Augenblick Wahlbündnisse geschmiedet, dürfte sich die nächste Koalitionsbildung noch schwieriger gestalten als die letzte.