Israel vor der Wahl Drei gegen Netanyahu

Demokratie am Limit: Die Israelis wählen schon wieder ein neues Parlament. Premier Netanyahu hat in der Coronakrise gepunktet. Drei Männer wollen den Langzeitpremier stoppen. Wie gut sind ihre Chancen?
Hat bei vielen Israelis mit seiner Coronapolitik gepunktet: Benjamin Netanyahu

Hat bei vielen Israelis mit seiner Coronapolitik gepunktet: Benjamin Netanyahu

Foto: Oded Balilty / AP

In Israel wird an diesem Dienstag zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren gewählt. Zumindest nach Umfragen steht der Wahlsieger schon fest: Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der seit 2009 amtiert und dessen rechtsgerichteter Likud-Partei rund ein Viertel der 120 Parlamentssitze vorausgesagt wird. Das wären zwar einige weniger als bei den vorangegangenen drei Urnengängen.

Diesmal aber muss der Premier keinen ebenbürtigen Konkurrenten fürchten wie vor einem Jahr noch das von Ex-Generalstabschef Benny Gantz und Yair Lapid angeführte Wahlbündnis Blau-Weiß. Es zerfiel schon kurz nach der Wahl wegen Gantz' Schulterschluss mit Netanyahu, der ihn in Misskredit brachte. Ob seine Restpartei jetzt überhaupt den Einzug in die Knesset schafft, ist nicht sicher. Auch die israelische Linke hat keine Aussichten auf Erfolg.

Yair Lapid: auf den Spuren des Vaters

Gantz' ehemaliger Bündnispartner Yair Lapid hingegen hat vom Auseinanderbrechen des Blau-Weiß-Blocks profitiert. Seine Yesh Atid-Partei wird allen Prognosen nach zweitstärkste Kraft, ungefähr so, wie sie es nach ihrer Gründung bei den Wahlen 2013 mit 19 Knessetsitzen schon einmal war.

Yair Lapid

Yair Lapid

Foto: Amir Cohen / REUTERS

Die politische Karriere des 57-jährigen früheren Journalisten und TV-Moderators erinnert an die seines 2008 verstorbenen Vaters und Vorbilds Josef (»Tommy«) Lapid. Auch der Senior hatte nach langer Tätigkeit als Journalist an der Spitze einer liberalen bürgerlichen Partei gestanden.

2003 verhalf Tommy Lapid der schwächelden »Shinui« (Veränderung) mit einem radikal säkularen Wahlprogramm dazu, drittstärkste Kraft mit 15 Mandaten zu werden. Sie beteiligte sich neben dem Likud und zwei nationalreligiösen Parteien an einer rechten Koalition, die zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ohne die ultraorthodoxen Listen auskam. Als sie aber schon 2006 zusammenbrach, verließ Lapid Senior, damals Justizminister, die Politik.

Yair Lapids politischer Werdegang schien nach seinem ersten Wahlerfolg 2013 zunächst in eine ähnliche Richtung zu weisen. Nach der Wahl verkündete der damalige Politstar zwar, Netanyahu bei der nächsten Wahlrunde als Premier abzulösen. Doch dann wurde er dessen Finanzminister, und als 2015 erneut Wahlen stattfanden, verlor Yesh Atid fast die Hälfte der Stimmen – 2019 schaute sich Lapid schon nach Bündnispartnern um.

Im gemeinsam mit Benny Gantz leidenschaftlich geführten Kampf gegen Netanyahus Likud wurde das Bündnis Blau-Weiß der Regierungspartei in programmatischer Hinsicht indes immer ähnlicher. Sogar dem mit Netanyahu abgestimmten Friedensplan des früheren US-Präsidenten Donald Trump stimmte Lapid zu, wenngleich er sich zumindest prinzipiell der Zweistaatenlösung verpflichtet sieht.

Auch Lapids anfängliche scharfe Kritik an den Ultraorthodoxen wurde immer leiser. Dabei war es auch im Wahlkampf trotz des allgemeinen Unmuts über das undisziplinierte Verhalten der Haredim in der Pandemie geblieben. Offenbar will sich Lapid, obwohl er wie sein Vater bei den Strenggläubigen fast schon als Ketzer gilt, hier eine Option offenhalten für den Fall, dass Netanyahu die Bildung einer regierungsfähigen Koalition nicht gelingt und Yesh Atid als voraussichtlich zweitstärkste Kraft auf eine Kooperation mit den Haredim angewiesen wäre.

Gideon Saar: der konservative Rebell

Bei seinen Attacken gegen den Premier im Zusammenhang mit dessen Korruptionsprozess unterschied sich Lapid bis zuletzt nur in der Lautstärke von einem weiteren Netanyahu-Herausforderer, dem Juristen und Likud-Sezessionisten Gideon Saar. Weil ihm Parteichef Netanyahu nach der Wahl 2020 einen Ministerposten trotz seiner Platzierung als Nummer 5 in der Liste verwehrte, kehrte Saar dem Likud den Rücken. Das politische Startkapital des 54-Jährigen, die Selbstinszenierung als Rebell und Saubermann, war allerdings schnell verbraucht.

Gilt als politisch talentiert, aber seine Aussichten auf Erfolg schwinden: Gideon Saar

Gilt als politisch talentiert, aber seine Aussichten auf Erfolg schwinden: Gideon Saar

Foto: AMIR COHEN / REUTERS

Dem Abwärtstrend – von 18 auf zuletzt 9 prognostizierte Sitze – sollte die klare Profilierung mit einem detaillierten Wahlprogramm und Saars begleitendem Buch »Gespräche über meinen Weg« entgegenwirken. Recht spät veröffentlicht, ließen sie auch noch erkennen, dass Saars Partei »Neue Hoffnung« sich in vielem kaum vom Likud unterscheidet. Der frühere Bildungs- und Innenminister Saar, der dem rechten Likud-Flügel angehörte, hat schließlich schon im Januar klargemacht, dass seine ehemalige Mutterpartei für ihn ein potenzieller Partner bleibe – ohne Netanyahu.

Dem steht der Herausforderer in wichtigen außenpolitischen Positionen aber unverkennbar nah:

  • So lehnt Saar ausdrücklich die Zweistaatenlösung ab, die für Netanyahu erklärtermaßen schon längst keine Option mehr ist.

  • Und wenn Saar für den »Ausbau der Normalisierung mit arabischen Ländern« und die »Realisierung des Sicherheits- und Wirtschaftspotenzials« der sogenannten Abraham-Abkommen (mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain) plädiert, klingt es fast wie eines jener vielen Statements des Premiers zu dieser friedenspolitischen Wende, die er nur allzu gern als seinen persönlichen Erfolg verbucht.

Naftali Bennett: der rechte Tech-Politiker

In den Reigen der Netanyahu-Herausforderer hat sich in der letzten Wahlkampfphase auch Naftali Bennett, Chef der Partei Yamina (»Nach rechts«), eingereiht. Der knapp 49-jährige nationalreligiöse Softwareingenieur und seine vier Jahre jüngere säkulare Weggefährtin Ayelet Shaked begannen ihre politische Karriere vor eineinhalb Jahrzehnten als Mitarbeitende in Netanyahus Büro und Wahlkampfstab.

Umwirbt religiöse und säkulare Israelis: Naftali Bennett

Umwirbt religiöse und säkulare Israelis: Naftali Bennett

Foto: MENAHEM KAHANA / AFP

Später schlossen sie sich der kleinen Siedlerpartei »Das Jüdische Heim« an, die sie bald anführten. Mit errungenen zwölf Mandaten sorgte Bennett 2013 neben Yair Lapid für die zweite Sensation der Wahl. Und als die beiden Senkrechtstarter vereinbarten, Netanyahus Koalition nur Seite an Seite beizutreten, musste der Premier die Bedingung zähneknirschend akzeptieren.

Bennett war unter Netanyahu erst Wirtschaftsminister und von 2015 bis 2019 Bildungsminister. Er und Ayelet Shaked als Justizministerin setzten die Interessen des Siedlerlagers mit Erfolg durch. Schon früh sorgten sie für Aufsehen mit der Forderung, die gesamte von Israel besetzte C-Zone im Westjordanland zu annektieren.

Und während Shaked von der Opposition die Politisierung der Richterschaft vorgeworfen wurde, ließ Bennett zum Ärgernis der Säkularen den Einfluss der Nationalreligiösen im Schulsystem wachsen. Seine Karriere erreichte 2019 ihren Höhepunkt, als Netanyahu ihn mit dem wichtigen Posten des Verteidigungsministers betraute. Jedoch standen Bennett und Shaked, nachdem sie bei der Wahl 2020 mit einer eigenen Liste angetreten waren und nur drei Sitze gewonnen hatten, schon beinahe vor dem politischen Aus.

Bennett indes konnte während der Pandemie als Kritiker von Netanyahus Krisenmanagement und in der Pose des fürsorglichen Politikers an Popularität zurückgewinnen. Als die Impfkampagne der Regierung jedoch an Fahrt gewann, verlor dieser Kurs seine Wirkung: »Kein Corona, uninteressant« lautete zuletzt einer der Wahlslogans Bennetts. Er wollte sich nun angeblich wichtigeren Dingen zuwenden und verkündete selbstbewusst, ihm würden 15 Mandate ausreichen, um Chef einer Regierungskoalition mit Netanyahu-Gegnern zu werden.

Der Gegenschlag des Premiers folgte prompt. Netanyahu erinnerte mahnend an die einstige »Verbrüderung« von Bennett und Lapid und warnte vor einer drohenden »Linksregierung« der beiden.

Bennetts Umfragewerte sanken daraufhin auf einen Tiefpunkt von neun möglichen Sitzen, und er zog die Konsequenz: Am Sonntag präsentierte er im Fernsehen eine schriftliche Erklärung, dass er weder mit Lapid noch mit der Kleinstpartei Arabische Vereinigte Liste koalieren werde, mit der Netanyahu unlängst eine Zeit lang auf Kuschelkurs war. Den Premier forderte Bennett auf, es ihm gleichzutun, woraufhin ihm vom Likud-Sezessionisten Gideon Saar vorgeworfen wurde, Netanyahu gar nicht stürzen zu wollen.

Ein solches Szenario erscheint allemal realistisch. Zumal der von Netanyahu im Wahlkampfendspurt protegierten rechtsextremen Partei »Der religiöse Zionismus« – diesem gehört auch die araberfeindliche »Jüdische Stärke« an – letzten Umfragen zufolge der Einzug in die Knesset gelingen könnte. Um eine Regierungskoalition bilden zu können, müsste Netanyahu sie mit ins Boot holen. Ein weiterer Rechtsruck wäre damit programmiert.

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