Heilige Stätte für Juden und Muslime Warum der Tempelberg-Besuch des neuen israelischen Sicherheitsministers so gefährlich ist

Palästinenser reagieren entsetzt, manche drohen mit Gewalt, die USA schalten sich ein: Israels Minister Itamar Ben-Gvir riskiert eine neue Eskalation in der Region. Was macht seinen Tempelberg-Besuch so heikel?
Neuer Minister im Kabinett Netanyahu: Der rechtsextreme Politiker Itamar Ben-Gvir

Neuer Minister im Kabinett Netanyahu: Der rechtsextreme Politiker Itamar Ben-Gvir

Foto: Atef Safadi / AP

Sein Besuch würde »zu einer Explosion führen«, hatte die radikalislamische Hamas gedroht. Seine »Provokation« könne Menschenleben gefährden, hatte ein Ex-Ministerpräsident gewarnt. Der US-Botschafter in Israel bezeichnete jegliche Drohung einer Veränderung des Status quo am Tempelberg als inakzeptabel.

Dennoch besuchte der neue israelische Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, am frühen Dienstagmorgen den Tempelberg in Jerusalem.

Mit dieser Geste löste der rechtsextreme Minister aus dem neuen Kabinett des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, dessen sechste Amtszeit gerade begonnen hat, eine Welle der Empörung aus.

Was ist der Tempelberg? Warum ist der Besuch dieser heiligen Stätte politisch so aufgeladen? Und droht nun eine neue Eskalation in Israel? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Der Tempelberg in Jerusalem

Der Tempelberg in Jerusalem

Foto: Ammar Awad / REUTERS

Was ist der Tempelberg und was ist seine Bedeutung für die Religionen?

Der Tempelberg ist ein Hügel, der sich im südöstlichen Teil der Altstadt von Jerusalem befindet. Er ist gleich für drei Religionen ein heiliger Ort: für das Judentum, den Islam und das Christentum. Besonders für Muslime, die ihn »Haram al-Sharif« nennen, ist der Tempelberg wichtig – er gilt als die drittheiligste Stätte im Islam nach Mekka und Medina. Der dort stehende Felsendom soll demnach den Ort markieren, an dem der Prophet Mohammed einst seine Reise in den Himmel angetreten hat.

Doch auch für die Juden ist der Tempelberg wichtig. Nach ihrer Überlieferung standen im Bereich der al-Aksa-Moschee, die sich ebenfalls auf dem Hügel befindet, einst der Salomonische und später der Herodianische Tempel. Die Klagemauer gilt als Überbleibsel des früheren, jüdischen Tempelkomplexes, der bereits während der Antike von den Babyloniern und den Römern zerstört worden war. Kurz nach der letzten Zerstörung der Tempelanlage im Jahr 70 nach Christus wurde das jüdische Volk im Zuge der römischen Eroberung Jerusalems vertrieben, was für die Juden zum Trauma wurde. Für Christen ist der Tempelberg hingegen bedeutend, weil sich dort laut des Neuen Testaments wichtige Szenen aus dem Leben Jesu abspielten.

Welche Regelungen gibt es heute am Tempelberg?

Heute steht der Tempelberg unter muslimischer Verwaltung, Israel ist jedoch für die Sicherheit zuständig. Laut einer Vereinbarung mit den muslimischen Behörden dürfen Juden die Anlage besuchen, dort aber nicht beten. Die Großrabbiner wie auch die große Mehrheit der gläubigen Juden sehen es sogar als verboten an, das Gelände zu betreten, denn es ist bis heute unklar, wo der heilige Bereich des Tempels lokalisiert war. Ultranationalistische Juden versuchen allerdings immer wieder auf dem Tempelberg zu beten – unter den Augen der Polizei, die das trotz gegenteiliger Behauptung zu ignorieren scheint. Deswegen kommt es dort unter anderem oft zu Ausschreitungen mit vielen Verletzten – etwa im vergangenen Jahr, als Ostern, Pessach und Ramadan zusammenfielen .

Entstanden ist der sogenannte Status quo auf dem Tempelberg infolge des Sechstagekriegs von 1967, bei dem Israel Ostjerusalem von Jordanien erobert und völkerrechtswidrig annektiert hatte. Um einen religiösen Krieg zu verhindern, entschied der damalige israelische Verteidigungsminister Mosche Dajan, dass der Tempelberg unter Verwaltung des Wakf, einer religiösen Stiftung aus Jordanien, bleiben sollte. Auch im israelisch-jordanischen Friedensvertrag von 1994 wurde die besondere Rolle des jordanischen Königshauses als Hüter der heiligen muslimischen Stätten in Jerusalem bekräftigt.

Warum ist der Ministerbesuch so umstritten?

Wie brisant das Thema Tempelberg ist, zeigt ein Vorfall aus dem Jahr 2000: Ein Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon von der rechtsgerichteten Likud-Partei wurde von den Palästinensern als Provokation wahrgenommen. Tags darauf lieferten sich Palästinenser gewaltsame Auseinandersetzungen mit der israelischen Polizei, die mehrere Demonstranten erschoss. Dies markierte den Beginn der zweiten Intifada.

Ben-Gvirs Besuch auf dem Tempelberg ist außerdem umstritten, weil der rechtsextreme Politiker sowohl vor als auch nach der Regierungsbildung mit einer Veränderung des Status quo gedroht hat. Er bezeichnete die heutige Regelung, die Juden verbietet, auf dem Tempelberg zu beten, als rassistisch: »Ich werde auf den Tempelberg gehen. Ich werde gegen den Rassismus kämpfen, dass ein Jude auf dem Tempelberg kein Wasser trinken darf, weil er unrein ist«, sagte er Mitte Dezember. Und weiter: »Das ist Rassismus, das ist Apartheid.« Dass der Besuch nur wenige Tage nach Beginn seiner Amtszeit stattfindet, gilt als scharfe Provokation.

Palästinenser im Gazastreifen verbrennen im Dezember ein Plakat von Itamar Ben-Gvir

Palästinenser im Gazastreifen verbrennen im Dezember ein Plakat von Itamar Ben-Gvir

Foto: Adel Hana / AP

Welche Reaktionen gab es auf die Ankündigung des Besuchs?

Ben-Gvirs Äußerungen und sein Besuch befeuern die Vorwürfe der Palästinenser, dass Israel seine Kontrolle über die heilige Stätte ausweiten wolle. Ein Sprecher des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas nannte den Besuch »einen provokativen Schritt gegen das palästinensische Volk«. Er habe zudem die US-Regierung aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen und Israel zu zwingen, die Eskalation zu beenden, bevor es zu spät sei, berichtet die israelische Zeitung »Haaretz« . Vor dem Besuch hatte die radikalislamische Terrororganisation Hamas mit einer Explosion gedroht.

Auch die USA kritisierten Ben-Gvirs Besuch. Die US-Botschaft in Israel erklärte, dass »Botschafter [Tom] Nides in Gesprächen mit der israelischen Regierung sehr deutlich gemacht hat, dass der Status quo in den heiligen Stätten Jerusalems erhalten werden muss. Handlungen, die dies verhindern, sind inakzeptabel«, berichtet »Haaretz« weiter.

Der frühere israelische Ministerpräsident Jair Lapid hatte am Montag bei Twitter geschrieben: »Itamar Ben-Gvir darf den Tempelberg nicht besuchen, dies ist eine Provokation, die zu Gewalt führen wird, die Menschenleben gefährden und Menschenleben kosten wird.«

Auch das jordanische Außenministerium verurteilte Ben-Gvirs Besuch aufs Schärfste. Es handele sich um »einen provokativen Schritt« und einen »eklatanten Verstoß gegen internationales Recht«, hieß es. Der jordanische König Abdullah II. hatte zuletzt in einem Interview des US-Senders CNN auf »rote Linien« mit Blick auf die heiligen Stätten in Jerusalem hingewiesen. »Wenn Leute einen Konflikt mit uns wollen, sind wir darauf vorbereitet.« Weitere arabische Staaten sowie die Türkei verurteilten ebenfalls den Besuch.

Itamar Ben-Gvir beim Tempelberg im März 2022

Itamar Ben-Gvir beim Tempelberg im März 2022

Foto: Abir Sultan / EPA-EFE

Wer ist Itamar Ben-Gvir?

Ben-Gvir von der rechtsextremen »Ozma Yehudit«-Partei (auf Deutsch: »Jüdische Stärke«) war in der Vergangenheit wegen rassistischer Hetze und Unterstützung einer jüdischen Terrororganisation verurteilt worden. Er gilt als politischer Brandstifter, vor allem in Bezug auf die Palästinenser. Nun ist er Teil der neuen rechts-religiösen Regierung Benjamin Netanyahus, die am Donnerstag in Israel vereidigt wurde.

Nach dem Besuch auf dem Tempelberg schrieb er bei Twitter: »Die israelische Regierung, deren Mitglied ich bin, wird sich einer Organisation schändlicher Mörder nicht unterordnen. Der Tempelberg steht allen offen und wenn die Hamas glaubt, ihre Drohungen könnten mich abschrecken, dann müssen sie verstehen, dass sich die Zeiten geändert haben.« Man müsse mit »eiserner Faust« gegen jene vorgehen, die Drohungen ausstoßen.

Der Abgeordnete Zvika Fogel von Ben-Gvirs Partei sagte dem Armeesender zu möglichen Hamas-Raketenangriffen auf Israel: »Wenn wir darauf reagieren, wie ich denke, dass wir reagieren sollten, dann war Ben-Gvirs Besuch auf dem Berg es wert – denn das wird der letzte Krieg sein. Danach können wir alle in Ruhe sitzen und Tauben züchten.«

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, ultranationalistische Juden würden heimlich auf dem Tempelberg beten. Tatsächlich ist es aber so, dass diese vor Ort beten – unter den Augen der Polizei, die dies trotz gegenteiliger Behauptung zu ignorieren scheint. Wir haben die Stelle korrigiert.

col/dpa/Reuters/AFP
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren