Istanbul-Konvention Polens Kulturkampf gegen Frauenrechte

Protest in Warschau: Frauenrechtlerinnen mit den Namen von Opfern häuslicher Gewalt in Polen
Foto: Czarek Sokolowski/ dpaDer polnische Justizminister Zbigniew Ziobro ist für sein hartes Durchgreifen bekannt. Er gilt als treibende Kraft hinter dem umstrittenen Umbau der Justiz, kündigte im Wahlkampf eine Offensive gegen die verbleibenden unabhängigen Medien im Land an und hat sich schon vor einiger Zeit den Spitznamen "schwarzer Sheriff" eingehandelt. Nun nimmt Ziobro ein internationales Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ins Visier.
Die Istanbul-Konvention des Europarats verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, jegliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie alle Formen häuslicher Gewalt als Verbrechen einzustufen. Zudem sieht das Abkommen vor, dass Geschlechtergerechtigkeit im Schulunterricht thematisiert und gegen Diskriminierung vorgegangen wird.
Unter der liberal-konservativen Regierung von Ex-Präsident Bronislaw Maria Komorowski hatte Polen die Istanbul-Konvention 2015 ratifiziert. Mittlerweile hat das Land jedoch einen anderen Kurs eingeschlagen. Das rechte Regierungslager führt einen harten Kampf gegen alles, wohinter es eine "linke" oder "liberale Revolution" wittert.
Neues Kapitel im Kulturkampf
So hatte Präsident Andrzej Duda mit einer homophoben Kampagne um seine Wiederwahl geworben. Mit Erfolg: Am 12. Juli konnte er die Abstimmung knapp für sich entscheiden. Beobachter hatten angenommen, dass die aggressive Rhetorik nach dem Sieg erst einmal nachlassen würde. Doch Justizminister Ziobro öffnet mit seinem Angriff auf die Istanbul-Konvention nun ein neues Kapitel im polnischen Kulturkampf.
Durch die Konvention sieht er einmal mehr die traditionellen Werte Polens bedroht. Eigenen Angaben zufolge hat er daher beim Familienministerium einen Vorschlag für den Austritt aus dem Abkommen eingereicht.
Die Konvention enthalte Bestimmungen "ideologischer Natur", die er nicht akzeptieren könne und für schädlich halte, sagte der konservative Politiker. Zudem kritisierte er, dass einige Teile des Abkommens im Widerspruch zu traditionellen Familienwerten stehen und eine "Gender-Ideologie" verbreiten würden.
Der Europarat zeigte sich über die Ankündigung aus Warschau alarmiert. "Das Aufkündigen der Istanbuler Konvention wäre sehr bedauerlich und ein enormer Rückschritt beim Schutz von Frauen vor Gewalt in Europa", sagte die Generalsekretärin der Straßburger Länderorganisation, Marija Pejcinovic Buric. Und auch in Polen löste das Vorpreschen des Justizministers eine Debatte aus.
Unzufriedenheit auch innerhalb der Regierung
Rafal Trzaskowski, der gerade die Präsidentschaftswahlen gegen Duda verloren hat, nennt den Versuch, die Konvention zu kündigen, einen Skandal. Er hoffe, dass der Widerstand der Bürger und der Opposition einen solchen Schritt verhindern könne.
Bereits kurz nach der Ankündigung von Ziobro kam es zu ersten Protesten. Eine der Organisatorinnen ist die Frauenrechtsaktivistin Marta Lempart . "Schon vor Jahren hat die Regierung die finanzielle Unterstützung für Organisationen gestrichen, die Opfern häuslicher Gewalt helfen", sagte sie dem SPIEGEL. Nun fürchtet sie eine weitere Verschlechterung der Lage. Im vergangenen Jahr habe es einen Gesetzentwurf gegeben, der häusliche Gewalt nur dann anerkennt, wenn der Täter bereits zum wiederholten Mal zuschlägt. "Damit dieses Gesetz umgesetzt werden kann, muss die Konvention weg", sagte Lempart. Sollte die Regierung tatsächlich Ernst machen, will Lempart internationale Unterstützung für die Proteste organisieren.
Dabei ist die PiS-Partei polnischen Medienberichten zufolge von der Initiative des Justizministers ebenfalls nicht begeistert. Nach dem knappen Wahlsieg Dudas wolle sie demnach keine Massendemonstrationen riskieren. Möglicherweise will die Regierung das ohnehin angespannte Verhältnis zur EU auch nicht weiter belasten. Darauf deutet auch hin, dass Warschau die Ankündigungen bereits relativiert hat. "Es gibt noch keine offizielle, eindeutige Entscheidung zur Istanbuler Konvention", sagte der Stabschef von Ministerpräsident Michal Dworczyk am Montag dem Fernsehsender Polsat.
Peter Oliver Loew, der Direktor des Deutschen Polen-Instituts, vermutet hinter dem Vorstoß von Ziobro ohnehin ein innenpolitisches Manöver. "Es geht hier wohl vor allem um Machtspiele nach der Präsidentschaftswahl", sagte er dem SPIEGEL. Nach der Sommerpause steht in Polen eine Regierungsumbildung an, dabei sind Loew zufolge große Veränderungen zu erwarten. Er hält es für wahrscheinlich, dass Ziobro sich vorab nun noch einmal positionieren will.
"Am Ende entscheidet Kaczynski"
Dem Justizminister werden immer wieder Ambitionen nachgesagt, irgendwann in die Fußstapfen von Parteichef Jaroslaw Kaczynski treten zu wollen. Das rechte Regierungsbündnis in Polen besteht jedoch nicht nur aus Kaczynskis PiS-Partei. Ziobro gehört der noch rechteren Partei Solidarisches Polen an. Dritte im Bündnis ist die etwas liberalere Porozumienie.
"Es wird darüber spekuliert, ob das katholisch-konservative Lager diesen Teil loswerden will", sagt Loew. "Ziobro setzt die Regierung mit seinem Vorstoß ein Stück weit unter Druck", sagt Loew. Ob Polen tatsächlich aus der Istanbul-Konvention austrete, sei schwer zu sagen. "Am Ende entscheidet Kaczynski", sagt Loew.
Vor allzu radikalen Vorstößen schrecke dieser jedoch häufig zurück. Einen Vorschlag für eine weitere Verschärfung des Abtreibungsgesetzes hatte der Regierungschef zuletzt zwar nicht direkt abgeschmettert, jedoch in verschiedene Ausschüsse geschickt, wo er nun liegt. "Gut möglich, dass das auch mit diesem Vorschlag passiert", sagt Loew.
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Jaroslaw Kaczynski sei der Regierungschef von Polen. Tatsächlich ist er Gründer und Chef der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.