Istanbul-Konvention Türkei tritt aus internationalem Schutzabkommen für Frauen aus

In der Türkei steigt die Zahl der Morde an Frauen. Dennoch ist das Land unter Präsident Tayyip Erdoğan aus der Istanbul-Konvention ausgetreten. Das Schutzabkommen fördere Scheidungen, so die Begründung.
Frau bei einem Basketball-Länderspiel der Türkei

Frau bei einem Basketball-Länderspiel der Türkei

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imago sportfotodienst

Im Jahr 2012 ratifizierte die Türkei die sogenannte Istanbul-Konvention – das weltweit erste verbindliche Abkommen gegen Gewalt an Frauen, das häusliche Gewalt, Vergewaltigung in der Ehe oder Genitalverstümmelung bekämpft.

Jetzt ist die Türkei aus dem internationalen Abkommen ausgetreten. Der Rückzug wurde in einem am Freitag veröffentlichten Präsidialdekret bekannt gegeben. Und das, obwohl die Situation der Frauen im Land besorgniserregend ist.

Im vergangenen Jahr verzeichnete die Türkei einen erneuten Anstieg von Morden an Frauen. Der Menschenrechtsorganisation Amnesty International  zufolge war die Zahl der Femizide schon zwischen 2015 und 2019 um etwa 60 Prozent gestiegen – von 303 auf 474 Fälle.

Konservative türkische Politiker hatten den Austritt mit der Begründung gefordert, die Übereinkunft schade der Einheit der Familie und fördere Scheidungen, hieß es.

Frauen als Bürger zweiter Klasse

Die Oppositionspartei CHP kritisierte den Schritt der Regierung. Der Rückzug aus dem Abkommen bedeute, dass »Frauen weiterhin Bürger zweiter Klasse bleiben und zugelassen wird, dass sie getötet werden«, erklärte die stellvertretende CHP-Chefin Gökce Gökcen.

Familienministerin Zehra Zümrüt Selcuk entgegnete laut Nachrichtenagentur Anadolu hingegen, die Rechte der Frauen würden durch die türkische Verfassung und Gesetzgebung garantiert. »Unser Justizsystem ist dynamisch und stark genug, um bei Bedarf neue Regelungen zu implementieren.«

»Verheerende Nachricht aus Ankara«

Die Kritik an dem Schritt der Türkei war im In- und Ausland groß. Örtliche Frauenrechtsgruppen riefen umgehend zu Demonstrationen auf. Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu erinnerte daran, dass es jeden Tag in der Türkei Nachrichten von neuen Gewalttaten gegen Frauen gebe. Deshalb könne das Austritts-Dekret von Präsident Recep Tayyip Erdogan nur Bitterkeit auslösen. Der Europarat sprach am Samstag von einer »verheerenden Nachricht« aus Ankara.

In den vergangenen Monaten waren Tausende Frauen in Istanbul und anderen Städten auf die Straße gegangen und hatten ein Festhalten an dem Abkommen gefordert. Die Aktivisten sehen die Istanbul-Konvention als Schlüssel zur Bekämpfung der steigenden häuslichen Gewalt.

Das in Istanbul geschmiedete Abkommen des Europarats verpflichtet die Unterzeichner, häusliche Gewalt zu verhindern, strafrechtlich zu verfolgen und zu beseitigen sowie die Gleichberechtigung zu fördern.

Kritiker des Ausstiegs aus dem Pakt sagen, die Türkei werde sich damit noch weiter von den Werten der Europäischen Union entfernen, deren Beitrittskandidat sie bleibt.

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Ankara hat die Überwachung von gewalttätigen Personen eingeführt sowie eine Smartphone-App zur Alarmierung der Polizei für Frauen, die bereits hunderttausendfach heruntergeladen wurde.

Erdoğans Entscheidung kommt, nachdem er in diesem Monat Justizreformen vorgestellt hat, die seinen Worten nach geeignet seien, Rechte und Freiheiten zu verbessern und helfen, EU-Standards zu erfüllen.

ala/Reuters/AFP
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