Offener Brief »Amazons straffreie Tage sind vorbei«

Mehr als 400 Parlamentarier aus aller Welt greifen Jeff Bezos an. In einem offenen Brief fordern sie den Amazon-Chef auf, seinen Weltkonzern sozialer und umweltfreundlicher zu machen.
Proteste vor Jeff Bezos' Wohnhaus in New York

Proteste vor Jeff Bezos' Wohnhaus in New York

Foto: KENA BETANCUR / AFP

»Wir werden dafür sorgen, dass Amazon zahlt« – das verkünden 402 Parlamentarier aus 34 Ländern in einem offenen Brief an Amazon-Chef Jeff Bezos. Sie kritisieren den amerikanischen Konzern für seine Arbeitsbedingungen, seine Umweltpolitik und seine niedrigen Steuerabgaben. »Amazons straffreie Tage sind vorbei«, schreiben sie und fordern von Bezos einen Kurswechsel.

Die teils bekannten Unterzeichner stammen aus dem linken Spektrum ihrer jeweiligen Länder. Unter ihnen sind der ehemalige britische Labour-Parteichef Jeremy Corbyn, Frankreichs gescheiterter Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon, der griechische Politiker Yanis Varoufakis und die Finnin Heidi Hautala, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments.

Koordiniert wurde der offene Brief an den Konzernchef durch den links-progressiven Dachverband Progressive International und den Gewerkschaftsverbund UNI Global Union, der weltweit insgesamt 20 Millionen Beschäftigte im Dienstleistungssektor repräsentiert. Das Schreiben ist Teil der Kampagne »Make Amazon Pay«, eines Bündnisses von über 50 internationalen Organisationen, unter anderem Greenpeace und das Tax Justice Network, ein Verband für Steuergerechtigkeit.

Seit dem Start der Kampagne am vergangenen Freitag – dem Black Friday, an dem Amazon regelmäßig mit Rabattschlachten Rekorderlöse erzielt – protestierten Unterstützer in 15 Ländern. Sie bestreikten vereinzelt Amazon-Depots und demonstrierten unter anderem vor Bezos Wohnhaus in New Yorks Fifth Avenue.

»Amazon muss zahlen«: Vor dem Wohnhaus des Amazon-Chefs in New York bemalt eine Demonstrantin den Gehweg mit Dollarzeichen

»Amazon muss zahlen«: Vor dem Wohnhaus des Amazon-Chefs in New York bemalt eine Demonstrantin den Gehweg mit Dollarzeichen

Foto: EDUARDO MUNOZ / REUTERS

Auch 30 Abgeordnete des Bundestags und des Europäischen Parlaments haben das Schreiben unterzeichnet – vorrangig Politiker der Linken, dazu von SPD und Grünen.

In dem Brief schreiben sie an Bezos: »Die Welt weiß, dass Amazon es sich leisten kann, seine Arbeiter, seine Umweltkosten und seine Steuern zu zahlen. Und trotzdem haben Sie – immer und immer wieder – ihre Verpflichtungen ... abgetan und sind ihre Schulden umgangen.«

Amazons und Bezos' persönlicher Wohlstand basiere auf den Leistungen der Angestellten und deren Unterstützung durch ihr soziales Umfeld, heißt es weiter. Für diese komme der Konzern seiner Verpflichtung nicht nach.

In den USA zahlte Amazon im vergangenen Jahr nur 1,2 Prozent Körperschaftsteuer – in den beiden Vorjahren überhaupt keine. Weltweit spart das Unternehmen im großen Stil Sozialabgaben durch Firmensitze in Niedrigsteuerländern. Mit diesen Steuertricksereien beschädige Bezos die öffentlichen Gesundheits-, Bildungs- und Wohnsysteme, schreiben die »Make Amazon Pay«-Organisatoren.

Zudem werfen die Aktivisten Bezos Doppelmoral in Umweltbelangen vor: »Der Aufstieg Ihrer Firma ging mit außergewöhnlichen Kosten für unsere Umwelt einher. Während Sie persönlich die Klimakrise als eine der erklärten Herausforderungen der Gegenwart anerkennen, ist Amazons CO₂-Bilanz größer als die zweier Drittel der Länder weltweit.« In 25 Einzelpunkten fordern sie unter anderem:

  • Gehaltserhöhungen in allen Amazon-Lagern proportional zu steigenden Konzernerlösen;

  • das Ende prekärer Beschäftigungsverhältnisse, etwa durch vermeintliche Scheinselbstständigkeit;

  • eine Zusage für Emissionsneutralität bis 2030;

  • Zugang für Gewerkschaften zu Amazon-Werken, um Information sammeln und Mitglieder werben zu können;

  • vollständige Steuerzahlungen am Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit, keine weiteren Gewinnverschiebungen zum Zweck der Steuerersparnis und keine Vorteilnahme in Steueroasen.

»Wie man die Rechte seiner Beschäftigten so mit Füßen treten kann, ist für mich absolut unbegreiflich«, erklärte Cansel Kiziltepe, SPD-Bundestagsabgeordnete und Unterzeichnerin des offenen Briefes an Bezos, öffentlich. »Als Arbeitgeber und Großkonzern hat Amazon nicht nur die rechtliche, sondern auch moralische Pflicht, Verantwortung zu übernehmen. Diese Menschen stehen tagtäglich für das Unternehmen auf und arbeiten hart. Es ist ihr gutes Recht, dafür auch faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen zu fordern.«

Amazon kommentierte den Brief infolge der Berichterstattung. »Als großes Unternehmen begrüßen wir zwar eine genaue Prüfung durch politische Entscheidungsträger«, doch die angesprochenen Belange gingen auf »eine Reihe irreführender Behauptungen falsch informierter oder eigennütziger Gruppen« zurück. Der Sprecher verwies des Weiteren auf die »starke Erfolgsbilanz bei der Unterstützung der Mitarbeiter«. Diese beinhalte sichere Arbeitsbedingungen, wettbewerbsfähige Löhne und umfassende Sozialleistungen sowie Steuerzahlungen in Milliardenhöhe weltweit und die Zusage zur Kohlenstoffneutralität bis 2040.

Kampagnenleiter Casper Gelderblom von Progressive International sagte indes zu dem offenen Brief: »Die Parlamentarier haben sich der Bewegung nicht nur angeschlossen, um Forderungen vorzutragen«. Sie wollten vielmehr »reelle Veränderungen durch die Parlamente einleiten. Unser Appell sollte Jeff Bezos in den Ohren klingen.« Wandel komme bestimmt, so der Organisator. »Wir versprechen, dies ist erst der Anfang.«

Anmerkung: Wir haben den Text um eine Reaktion seitens Amazons ergänzt.

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