Justizstreit EU-Kommission leitet weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein

Im Konflikt über diverse Urteile des polnischen Verfassungsgerichts hat die EU-Kommission ein weiteres Verfahren eröffnet. Warschau spricht von einer »Attacke auf die polnische Verfassung und Souveränität«.
Das polnische Verfassungsgericht in Warschau hat nach Ansicht der EU-Kommission mehrfach gegen EU-Recht verstoßen

Das polnische Verfassungsgericht in Warschau hat nach Ansicht der EU-Kommission mehrfach gegen EU-Recht verstoßen

Foto: Pawel Supernak / dpa

Wegen umstrittener Urteile des polnischen Verfassungsgerichts zum Status von EU-Recht geht die EU-Kommission rechtlich gegen das Land vor. Die Brüsseler Behörde leitete am Mittwoch ein Vertragsverletzungsverfahren ein, das mit einer weiteren Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und schließlich mit finanziellen Sanktionen gegen Warschau enden könnte.

Hintergrund der Entscheidung ist unter anderem ein Urteil des Verfassungsgerichts von Anfang Oktober, wonach Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar sind. Dies stellt einen Eckpfeiler der europäischen Rechtsgemeinschaft infrage.

Bereits im Juli hatte das polnische Gericht entschieden, dass die Anwendung einstweiliger Verfügungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die sich auf das Gerichtssystem des Landes beziehen, nicht mit Polens Verfassung vereinbar seien.

Polen hat zwei Monate Zeit für eine Antwort

In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung  findet die Kommission bemerkenswert klare Worte. Dem polnischen Verfassungsgericht spricht sie kaum verhüllt die Legitimität ab. Es gebe »ernste Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit« des Gerichts, so die Kommission. Es erfülle »nicht mehr die Anforderungen an ein einstmals gesetzlich etabliertes Tribunal«, so wie es die EU-Verträge vorsähen.

Schon die Ernennung dreier Mitglieder des Tribunals im Dezember 2015 habe gegen »fundamentale Regeln« eines funktionierenden verfassungsrechtlichen Systems verstoßen, betont die Kommission. Das habe auch schon der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt. Auch bei der Wahl der Gerichtspräsidentin Julia Przyłębska, die als Vertraute von Polens eigentlichem Machthaber Jarosław Kaczyński gilt, und ihres Stellvertreters Mariusz Muszyński habe es »Unregelmäßigkeiten« gegeben, die »ernste Zweifel an der Unparteilichkeit« des Gerichts weckten.

Die polnische Regierung reagierte auf gewohnte Art. Der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta nannte die Eröffnung des Vertragsverletzungsverfahrens auf Twitter eine »Attacke auf die polnische Verfassung und Souveränität«. Premierminister Mateusz Morawiecki wies den Vorwurf der Politisierung des Verfassungstribunals zurück – und inszenierte sich als Vorkämpfer nationaler Unabhängigkeit. »Ich glaube, dass immer mehr EU-Mitgliedsländer einsehen, dass die Kompetenzen der EU Grenzen haben müssen«, sagte Morawiecki.

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Der EuGH hatte in den vergangenen Monaten mehrfach Regelungen im polnischen Justizsystem für unzulässig erklärt. Ende Oktober verhängte er ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro gegen Polen, weil das Land eine Entscheidung zur sogenannten Disziplinarkammer für Richter nicht umsetzte.

Konkret ging es dabei insbesondere um die Anordnung, die Arbeit der Disziplinarkammer zur Bestrafung von Richtern zu stoppen. Die Tätigkeit ist nach EuGH-Entscheidungen nicht mit EU-Regeln zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz vereinbar.

Der Umgang von Polens nationalkonservativer PiS-Regierung mit dem Justizsystem des Landes steht schon seit Jahren heftig in der Kritik.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version hieß es, dass Sebastian Kaleta Justizminister Polens sei. Er ist aber dessen Stellvertreter.

svs/mbe/dpa/AFP
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