Kenia Wie Hatespeech im Netz Menschen davon abhält, wählen zu gehen

Alle hoffen, dass es bei der Präsidentschaftswahl in Kenia nicht zu Gewalt kommt – aber im Netz kursieren Hassbotschaften, die noch für ein anderes Problem sorgen.
Ein Interview von Heiner Hoffmann, Nairobi
Eine Wahlkampfveranstaltung von Raila Odinga in Kiambu, Kenia

Eine Wahlkampfveranstaltung von Raila Odinga in Kiambu, Kenia

Foto: Brian Otieno / DER SPIEGEL
Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

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Manipulierte Titelseiten von Zeitungen, Rufmordkampagnen, Aufrufe zu Gewalt – im Internet kursiert vor den Wahlen in Kenia teils gefährliche Propaganda. Viele Expertinnen und Experten sehen das mit großer Sorge, denn das Trauma von 2007 sitzt noch immer tief. Damals kam es nach den Präsidentschaftswahlen zu Unruhen im ganzen Land, verschiedene Volksgruppen gingen plötzlich aufeinander los, am Ende waren mehr als 1000 Menschen tot, Hunderttausende vertrieben.

Eine solche Welle der Gewalt hat sich in den vergangenen beiden Wahlen nicht wiederholt, auch wenn es zu vereinzelten Unruhen kam. Die Regierung geht inzwischen härter gegen Hatespeech vor, viele Politiker sind deutlich zurückhaltender geworden. Trotzdem verbreiten sich vor allem im Internet weiterhin aufstachelnde Videos und Botschaften.

Odanga Madung von der Mozilla Foundation hat unter anderem die Videoplattform TikTok nach solchen Inhalten untersucht  und ist auf zahlreiche Videos mit Hatespeech oder Desinformation gestoßen. Inzwischen haben die Plattformen wie TikTok einige dieser Inhalte gelöscht.

Zur Person
Foto: privat

Odanga Madung arbeitet als Datenjournalist und Forscher für die Mozilla Foundation in Kenia. Er hat sich mit zahlreichen Desinformationskampagnen im Internet beschäftigt, unter anderem mit gekauften Twitter-Posts von Abtreibungsgegnern. Vor Kurzem hat er den Umgang mit Hatespeech auf TikTok analysiert.

SPIEGEL: Herr Madung, werden soziale Medien diese Wahl entscheiden?

Madung: Nein, ich denke nicht. Sie werden auf jeden Fall eine Rolle spielen, aber nicht die alles Entscheidende. Am Ende sind es immer noch die Menschen, die an die Wahlurne gehen. Das Internet ist in Kenia noch nicht flächendeckend genug verbreitet, vor allem nicht im täglichen Leben, um Wahlen wirklich entscheiden zu können.

SPIEGEL: Rüsten die Kandidaten trotzdem digital auf?

Madung: Daten legen nahe, dass die Kandidaten dieses Jahr ungefähr 250.000 Euro in den digitalen Wahlkampf stecken. Die Bedeutung der digitalen Plattformen ist gestiegen, weil sich dort immer mehr Menschen bewegen und von dort ihre Informationen beziehen.

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SPIEGEL: In Kenia kam es in der Vergangenheit nach Wahlen zu Gewalt, auch angestachelt durch Hassreden der Politiker. Sie haben unter anderem die Videoplattform TikTok gezielt nach solcher Hatespeech durchsucht – wie viel Hass geistert dort herum?

Madung: Was wir gefunden haben, war auf jeden Fall nur die Spitze des Eisbergs. Das wirkliche Problem ist das Unvermögen der Plattformen, dagegen vorzugehen. Da muss unbedingt etwas passieren. Sie scheitern oft schon daran, Hatespeech überhaupt aufzuspüren. Sie versprechen immer: Ja, wir werden gefährliche Inhalte löschen. Aber sie können diese Inhalte ja nicht einmal finden, weder auf Englisch noch Kiswahili, noch anderen lokalen Sprachen.

SPIEGEL: Wie gefährlich kann das sein, gerade vor den Wahlen in Kenia?

Madung: Ich glaube nicht, dass Hatespeech direkt zu Gewalt führt. Kaum jemand nimmt eine Machete in die Hand und schlachtet jemanden ab. Die Gewalt ist meist von Gangs gezielt organisiert, nicht von normalen Zivilisten. Trotzdem entstehen durch solche aufstachelnden Inhalte unnötige Spannungen. Das eigentliche Problem ist aber ein anderes: Die Hassbotschaften lassen die potenziellen Wählerinnen und Wähler desillusioniert zurück, sie führen zu Wahlapathie. Die grassierende Wahlmüdigkeit hat zwar nicht nur mit den sozialen Medien zu tun, aber sie spielen auf jeden Fall eine große Rolle.

Anhänger von Präsidentschaftskandidat William Ruto in Thika, Kenia

Anhänger von Präsidentschaftskandidat William Ruto in Thika, Kenia

Foto: Brian Otieno / DER SPIEGEL

SPIEGEL: Können Sie das erklären?

Madung: Die Leute, die sich das anschauen, denken: Warum sollte ich meine Stimme abgeben, wenn offenbar alle Kandidaten Mist sind? Das hört man in diesem Jahr wirklich oft von Menschen, die nicht wählen gehen – sie lehnen alle Kandidaten ab. Und die gezielte Desinformation im Internet und in den sozialen Medien trägt dazu bei, denn sie soll den politischen Gegner in ein möglichst schlechtes Licht rücken. Das sind teilweise gezielte Rufmordkampagnen – die zu einer ernsthaften Gefahr für die Demokratie werden.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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