William Ruto am Wahltag in seiner Heimatregion im Westen Kenias: »Ohne die sozialen Medien hätten wir nie gewonnen«

William Ruto am Wahltag in seiner Heimatregion im Westen Kenias: »Ohne die sozialen Medien hätten wir nie gewonnen«

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Brian Otieno / DER SPIEGEL

Wahlsieger in Kenia »Die Politik braucht große Erzählungen, und die liefert William Ruto«

Mit Eiern gelangte er zu Reichtum, seinen Wahlkampf führte er im Stil Donald Trumps, seine Gegner vergleichen ihn gar mit Hitler. Wer ist William Ruto, der designierte Präsident Kenias? Spurensuche auf seiner Hühnerfarm.
Aus Eldoret und Nairobi berichten Heiner Hoffmann und Ed Ram (Fotos)
Globale Gesellschaft

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Die Einnahmequelle des neuen designierten Präsidenten stinkt, und das von Weitem schon. 100 Meter hinter der Veranda seines Landsitzes zieht der beißende Geruch in die Nase, verströmt von zwei großen Haufen schwarzer, klebriger Masse: Hühnerkacke. William Ruto betreibt eine riesige Hühnerfarm, es ist seit Montag vergangener Woche die bestbewachte des Landes.

Schon vor dem mächtigen Tor an der Hauptstraße stehen schwer bewaffnete Männer in Tarnfleck, sie sind freundlich, aber bestimmt. Der Wahlsieger weilt gerade in der Hauptstadt Nairobi und nicht hier in seiner Heimat Eldoret im Westen Kenias. Die Elitepolizisten öffnen schließlich das schwere Eisentor, es folgt eine sehr lange Auffahrt, dann ein weiteres hölzernes Tor, ebenso bewacht von Männern mit Maschinengewehren. Samuel Maiyo, Rutos Farmmanager, nickt ihnen nur kurz zu. Der gedrungene Mann lacht ein sehr breites Lächeln, er scheint seinen Job zu lieben. Vor allem, wenn »der Boss«, wie sie Ruto hier nennen, gerade nicht da ist.

Farmmanager Samuel Maiyo verwaltet Rutos Hühnerfarm

Farmmanager Samuel Maiyo verwaltet Rutos Hühnerfarm

Foto: Ed Ram / DER SPIEGEL

Immerhin hätten sie ein Alarmsystem, erzählt er: Wenn William Ruto, 55, in Nairobi in den Helikopter steigt, dann klingelt bei Samuel Maiyo das Telefon, er hat Spitzel in Rutos engstem Zirkel. Die warnen den Farmmanager vor, dass der Boss auf dem Weg nach Eldoret ist, dann muss alles schnell gehen, nichts wird dem Zufall überlassen. Denn, so erzählt es Maiyo: »Wenn es Probleme gibt, wird der Boss laut und sehr nachdrücklich.«

Mindestens eine Stunde lang ziehe Ruto direkt nach Ankunft gewöhnlich durch seine Farm, begutachte die Ställe, die Avocado- und Bananenbäume, die Bienenstöcke, die Beete, inspiziere sogar die Lampen. Nach dem Rundgang ruft er dann seine Mitarbeiter in einen runden Pavillon neben dem Wohnhaus, auch wenn die Nacht bereits angebrochen ist. An der Wand steht ein Stuhl mit hohen Armlehnen, er ist für den Boss reserviert, niemand anderes wagt, dort Platz zu nehmen. Auf diesen Stuhl setzt sich Ruto dann, klappt seinen Laptop auf und geht die aktuellen Geschäftszahlen durch.

Auf diesem Anwesen bei Eldoret verbringt Ruto gern seine Wochenenden, auf der Veranda steht ein Laufband

Auf diesem Anwesen bei Eldoret verbringt Ruto gern seine Wochenenden, auf der Veranda steht ein Laufband

Foto: Ed Ram / DER SPIEGEL
Auch Bananen und Avocados werden auf der Farm bei Eldoret angebaut

Auch Bananen und Avocados werden auf der Farm bei Eldoret angebaut

Foto: Ed Ram / DER SPIEGEL
Allein mit dem Verkauf von Eiern verdient der designierte Präsident ein Vermögen, die Ställe haben industriellen Charakter

Allein mit dem Verkauf von Eiern verdient der designierte Präsident ein Vermögen, die Ställe haben industriellen Charakter

Foto: Ed Ram / DER SPIEGEL

Ein Mitarbeiter der Farm erinnert sich noch genau an einen dieser regelmäßigen Besuche: Ruto landete mal wieder aus Nairobi und wollte einen Tee mit Zitronengras. Der Boss hatte es vor Monaten anpflanzen lassen, und der Boss vergisst nichts. Panisch suchten die Angestellten nach dem Busch, doch fanden ihn vertrocknet vor. Der Boss war »not amused«. Inzwischen haben sie eine ganze Reihe Zitronengras gepflanzt, über Dutzende Meter, so etwas passiert ihnen nicht wieder.

Samuel Maiyo und sein Team zeigen WhatsApp-Nachrichten des designierten Präsidenten, er ist im Telefonbuch des Farmmanagers gespeichert als »Big Boss«. Meist schreibt er nach 23 Uhr, wenn das politische Geschäft absolviert ist. Dann fragt er seine Angestellten nach den aktuellen Zahlen, diskutiert sogar über den Zucker, der für Besucher besorgt werden soll. Die Antwort muss prompt erfolgen, »unsere Ehefrauen sind schon daran gewöhnt«, sagt Maiyo. Einmal kam ein kurzes Lob, als das Team auf der Farm die Produktivität der Hühner auf mehr als 80 Prozent gesteigert hat – versehen mit dem Hinweis: »Ihr schafft auch 90.« Rutos Frau und einige der Kinder sind ebenfalls auf der Farm aktiv, werden langsam an die Geschäfte herangeführt.

Rachel Ruto umarmt ihren Mann William

Rachel Ruto umarmt ihren Mann William

Foto: Simon Maina / AFP

Die Angestellten, Weggefährten und Freunde Rutos, mit denen der SPIEGEL in den vergangenen Tagen gesprochen hat, zeichnen alle ein ähnliches Bild: Das eines detailversessenen Workaholics, der sofort Ergebnisse erwartet und niemals nachgibt. Ein Mann, der es gewohnt ist, seinen Willen zu bekommen und dafür so ziemlich jedes Mittel nutzt. Seine Gegner halten ihn für eine Gefahr für die Demokratie, für korrupt und geldgierig.

Kurz nach der Verkündung seines Sieges steht William Ruto im Garten seiner offiziellen Residenz in Karen, einem grünen Vorort von Nairobi. Hier ist seine Machtzentrale, von hier aus agiert der Politiker Ruto, seit er 2013 zum Vizepräsidenten Kenias ernannt wurde. Nun ist er ganz oben angekommen, die Wahlkommission hat ihn zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt, auch wenn die Opposition gegen das Ergebnis klagt. Neben dem Ausgang dieses Gerichtsverfahrens beschäftigt die Kenianerinnen und Kenianer nun vor allem eine Frage: Was für ein Präsident wird William Ruto sein, sollten die Obersten Richter seinen Sieg bestätigen?

An diesem Nachmittag gibt er sich staatsmännisch: Niemand müsse mehr verschlüsselte Kommunikation benutzen, ab jetzt gelte die freie Rede, Staatsdiener würden für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen, er spricht viel von Verantwortung. Ruto gibt sich als Verfechter des Rechtsstaats, dabei kursieren immer wieder Anschuldigungen, dass er selbst es mit dem Gesetz nicht allzu genau nimmt. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, sich illegal Land angeeignet zu haben. In einem TV-Interview vor der Wahl wurde Ruto vom Moderator sinngemäß gefragt, wann er den Hals mal voll habe. Seine vieldeutige Antwort: »Genug ist genug.«

William Ruto redet in Karen zu Medien- und Parteivertretern

William Ruto redet in Karen zu Medien- und Parteivertretern

Foto: Mosa'ab Elshamy / AP

Als der neu gewählte Präsident nun in Nairobi zu Medien und Parteivertretern spricht, stellt er sich nicht auf das aufgebaute Podium, sondern davor – auf Augenhöhe mit seinen Zuhörern. Erst auf dringliche Bitten einiger Kameraleute steigt Ruto doch noch die Stufen hinauf. Hier steht ein Profi in Sachen Bildsprache. Und direkt neben dem Podium, in der zweiten Reihe, sitzt der Mann, der die präsidiale Marke William Ruto miterfunden hat: Dennis Itumbi.

Der Spindoktor trägt einen Kapuzenpullover, anders als die Würdenträger um ihn herum. Itumbi ist kein stiller Mann im Hintergrund, er genießt das Rampenlicht, die Gespräche auf dem roten Teppich, die Fotos, auf Twitter hat er fast zwei Millionen Follower. Itumbi hat schon für den amtierenden Präsidenten Uhuru Kenyatta gearbeitet, er offeriert seine Dienste dem Meistbietenden.

In den vergangenen Wochen war Itumbi stets an Rutos Seite, sein offizieller Titel lautet: digitaler Stratege. Der Strippenzieher sagt: »Wir haben einen Wahlkampf mit den Methoden Donald Trumps und der Botschaft Barack Obamas geführt.« Wenn William Ruto eine Art Trump ist, dann fällt Itumbi wohl die Rolle des Steve Bannon zu. Er hat den Vizepräsidenten mit zwei Strategien zum Erfolg geführt, beide ausgefochten im digitalen Raum: Zum einen hat er das Narrativ des »Hustlers« perfektioniert, des Underdogs aus einfachen Verhältnissen, der sich gegen die mächtigen Dynastien des Landes an die Spitze kämpft. Das Symbol der Wahlkampagne war die Schubkarre, Hauptzielgruppe die unter hoher Arbeitslosigkeit leidende Jugend. Der Innenminister Kenias verglich diese Strategie gar mit den Anfängen des Nationalsozialismus, Populismus war es allemal.

Itumbi und Ruto haben damit die Themen dieses Wahlkampfes gesetzt. Es ging plötzlich um die gestiegenen Lebenshaltungskosten, um Subventionen auf Dünger und Benzin, um alternative Wirtschaftsmodelle, um die Probleme von Millionen Kenianerinnen und Kenianern. Der Hauptrivale Rutos, Raila Odinga, musste sich positionieren, er reagierte mit ebenso populistischen Versprechungen wie Bargeldzahlungen für bedürftige Familien.

Itumbi hat noch etwas aus den USA kopiert: Alles war einzig und allein auf Social Media ausgerichtet. »Ohne die sozialen Medien hätten wir diese Wahl nie gewonnen«, räumt der Stratege ein. Er selbst hat sich auf Twitter kurzerhand zur »Geheimdienstzentrale der Hustler-Nation« ernannt und in enger Taktung angebliche Inside-Informationen aus dem Machtapparat gepostet, den er nun den »Tiefen Staat« nennt, eine Verschwörungserzählung. Ob diese Infos stimmten oder nicht war zweitrangig, Hauptsache das Narrativ verfing. Ein riesiges Heer an Bloggern und Influencern trug die Botschaften dann in die digitalen Weiten hinaus. Wieder reagierte die Gegenseite mit ähnlichen Taktiken, nie zuvor war ein Wahlkampf in Kenia so postfaktisch. Nun muss Ruto auf Staatsmann umschalten, kein einfacher Spagat.

Ein paar Hundert Meter von der Residenz in Karen entfernt, in einem noblen Wellnesshotel mit kolonialem Schick, trifft der SPIEGEL einen der engsten Weggefährten William Rutos. Silas Simatwo ist ein alter Schulfreund und Geschäftspartner des designierten Präsidenten, gemeinsam haben sie in Eldoret Wahlkämpfe geführt, als William Ruto 1997 Abgeordneter werden wollte – schon damals, mit erst 30 Jahren, mit Erfolg. Bis 2013 vertrat Ruto seine Heimatregion im Parlament. Später stiegen Simatwo und er zusammen ins Versicherungsgeschäft ein.

Simatwo erzählt eine Geschichte aus Eldoret, einen Schwank aus ihrer gemeinsamen Schulzeit, der viel aussagt über den Charakter des Wahlsiegers. Damals habe ein Mitschüler die Aufsicht über den Essenssaal des Internats geführt, die kulinarischen Kostbarkeiten habe er nur unter seinen Günstlingen aufgeteilt. Ruto und Simatwo wollten das nicht länger hinnehmen, sie spannen eine Intrige: Gemeinsam brachten sie den Schuldirektor und den Schülersprecher gegen den ungeliebten Aufseher auf, erfanden Vorwürfe und machten große Versprechungen. Am Ende hatten sie Erfolg: William Ruto wurde neuer Aufseher über den Essenssaal, die beiden erhielten fortan ungehinderten Zugang zu den Delikatessen.

Wahlkampf im Kapuzenpullover: Der Kandidat gab sich als Underdog

Wahlkampf im Kapuzenpullover: Der Kandidat gab sich als Underdog

Foto: Brian Otieno / DER SPIEGEL
Alles war auf die sozialen Medien ausgerichtet, eine erfolgreiche Strategie

Alles war auf die sozialen Medien ausgerichtet, eine erfolgreiche Strategie

Foto: Brian Otieno / DER SPIEGEL

Simatwo hat seine ganze eigene Theorie darüber, was für ein Präsident William Ruto werden könnte. Viele Weggefährten erkennen in dem 55-Jährigen die Tendenzen eines Diktators. Doch Simatwo erinnert er sich an einen Spruch seines früheren Mitschülers William: Das Leben sei Showgeschäft, und manchmal müsse man schauspielern. »Weil Ruto allen zeigen will, dass er nicht so ist, wie seine Kritiker behaupten, könnte er am Ende ein richtig guter Präsident werden«, glaubt Simatwo. Der erste Auftritt Rutos in Nairobi passt in dieses Bild.

Silas Simatwo steht aber auch für ein anderes Kapitel in Rutos Vergangenheit, für einen dunklen Schatten, der nach wie vor über ihm liegt. Zum Jahreswechsel 2007/2008 versank Kenia nach einer Präsidentschaftswahl im Chaos, verschiedene Volksgruppen gingen aufeinander los, mit Macheten und Knüppeln, am Ende waren mehr als 1100 Menschen tot und Zehntausende vertrieben. Ruto stand damals auf der Seite des unterlegenen Raila Odingas, seines heutigen Rivalen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eröffnete später ein Verfahren gegen Ruto, er habe die Gewalt mit angestachelt und eine Art Privatarmee unterhalten, so die Vorwürfe der Ankläger.

Im Jahr 2016 wurde das Verfahren schließlich eingestellt, wegen zu dünner Beweislage. Doch die Richter befanden Ruto explizit nicht für unschuldig, die Anklage beschwerte sich bitter über mutmaßlich unter Druck gesetzte Zeugen. Heute läuft in Den Haag ein weiteres Verfahren, gegen einen Anwalt aus Eldoret, der im Auftrag Rutos die Zeugen bestochen haben soll. Auch der Name von Silas Simatwo taucht in diesem Verfahren immer wieder auf, als mutmaßlicher Mittelsmann zwischen Ruto und dem beschuldigten Anwalt. »Alles Quatsch«, sagt Simatwo und nimmt auch seinen Freund in Schutz: »Ruto war damals während der Gewalt nirgends zu sehen.«

Großgrundbesitzer im Westen Kenias: Immer wieder werden Vorwürfe des illegalen Landerwerbs gegen Ruto laut

Großgrundbesitzer im Westen Kenias: Immer wieder werden Vorwürfe des illegalen Landerwerbs gegen Ruto laut

Foto: Ed Ram / DER SPIEGEL
Auf mehreren Etagen werden die Hühner in Käfigen gehalten

Auf mehreren Etagen werden die Hühner in Käfigen gehalten

Foto: Ed Ram / DER SPIEGEL

In Eldoret, rund um die Hühnerfarm, ist die Freude über Rutos Wahlsieg groß, ebenso die Erwartungen. Viele erhoffen sich, dass die Region jetzt aufblüht, dass der neue Präsident eine Menge Geld in seine Heimat umleitet. Alte Schulfreunde werden vor Fernsehkameras gezerrt, sie wiederholen die beliebte Geschichte eines Mannes aus einfachen Verhältnissen, der barfuß zur Schule gegangen sei und an der Hauptstraße Hühner verkauft habe. So manche zweifeln diese Erzählung an, auch Silas Simatwo hält sie für reichlich übertrieben. »Aber die Politik braucht große Erzählungen, und die liefert William Ruto«, sagt er.

Samuel Maiyo, der Manager der präsidialen Hühnerfarm, denkt noch darüber nach, wie er seinen Boss künftig ansprechen soll. »Ihre Exzellenz«? »Mr President«? Oder weiterhin »Boss«? In einem ist er sich aber sicher: Sein Unternehmen und damit seinen Wohlstand wird William Ruto auch als Präsident ganz sicher nicht vernachlässigen. Rutos Kumpel Simatwo sagt: »Er gibt sich als Mann der Straße, doch William wollte immer ein großes Business aufbauen.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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