Bekämpfung von Fluchtursachen in Dschibuti »Wir hungern, aber wissen nicht, wie man Gemüse anbaut«

Längst überholen Lastwagen die Karawanen, nun nimmt ihnen der Klimawandel die Tiere: Eines der letzten Nomadenvölker der Welt hat kaum noch eine Zukunft. Wie sollen die Menschen dann leben? Dafür gibt es Ideen.
Aus Dschibuti berichtet Benjamin Moscovici
Die Familie des ehemals stolzen Nomaden Borito Ali ist an den Rand einer Verbindungsstraße gezogen – hier kommt einmal pro Woche ein Tanklaster von Unicef vorbei und bringt Wasser

Die Familie des ehemals stolzen Nomaden Borito Ali ist an den Rand einer Verbindungsstraße gezogen – hier kommt einmal pro Woche ein Tanklaster von Unicef vorbei und bringt Wasser

Foto: Benjamin Moscovici
Globale Gesellschaft

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Die Afar-Senke am Horn von Afrika ist einer der lebensfeindlichsten Orte des Planeten: karge Berge, weite Salzwüsten, schroffe Ebenen aus erstarrter Lava und Seen aus Säure. Tagsüber misst das Thermometer regelmäßig mehr als 50 Grad.

Seit Jahrhunderten leben die Afar, eines der letzten Nomadenvölker der Welt, hier im Grenzgebiet zwischen Dschibuti, Äthiopien und Eritrea von ihren Ziegen und Kamelen und vom Salzhandel. Doch das Salz wird heute industriell gefördert, Trockenheit und Dürren haben die Tierbestände dezimiert, und die Kamelkarawanen werden längst von Lastwagenkolonnen überholt.

Ihr Nomadentum hat kaum noch eine Zukunft. Aber wie sollen die Menschen dann leben? Dafür gibt es Ideen.

Afar-Nomaden in Dschibuti: Lastwagen überholen die Karawanen, das Salz wird industriell gefertigt, die Tiere verhungern und verdursten - wie kann eine Zukunft für die Menschen hier aussehen, damit sie nicht fliehen müssen?

Afar-Nomaden in Dschibuti: Lastwagen überholen die Karawanen, das Salz wird industriell gefertigt, die Tiere verhungern und verdursten - wie kann eine Zukunft für die Menschen hier aussehen, damit sie nicht fliehen müssen?

Foto: Benjamin Moscovici

Eines der größten Entwicklungshemmnisse von Ländern wie Dschibuti sind Probleme mit der Stromversorgung. Der wird dringend benötigt – für Licht, Handys und Computer, aber auch für die medizinische Versorgung und die Aufbewahrung von Lebensmitteln. Außerdem lassen sich mit Strom die Pumpen von Tiefbohrbrunnen betreiben.

Seit einigen Jahren entstehen hier in der Wüste nicht nur Solar- und Windkraftanlagen – die Regierung arbeitet auch daran, die vulkanische Aktivität der Region nutzbar zu machen. Mithilfe isländischer Experten soll noch in diesem Jahr das erste Erdwärmekraftwerk in Dschibuti mit der Stromgewinnung beginnen.

Kalksteinkegel am Abbe See in der Afar-Senke: Einer der unwirtlichsten Orte der Welt

Kalksteinkegel am Abbe See in der Afar-Senke: Einer der unwirtlichsten Orte der Welt

Foto: Benjamin Moscovici

Bis 2035 strebt das Land Energieselbstständigkeit an und könnte irgendwann sogar zu einem wichtigen Stromexporteur in der Region werden. Das Potenzial ist da. Aber ob die Afar-Nomaden von diesem Energieboom profitieren werden?

Borito Ali, ein schlanker Mann in seinen Fünfzigern, sitzt zwischen zwei nagelneuen Strommasten im Schatten einer kleinen Steinhütte am Straßenrand der Route Nationale 9. Gerade entsteht hier die neue Stromtrasse, die demnächst die Energie von der Geothermieanlage im Norden in die Hauptstadt führt. Obwohl er fast direkt unter der neuen Leitung lebt, wird es wohl noch lange dauern, bis bei Borito Ali Strom aus einer Buchse kommt. So lange wird er sein kleines Tastenhandy weiterhin mit zwei losen Drähten und einer kleinen Solarzelle laden müssen.

Warum er mit seiner Familie und den Ziegen ausgerechnet hier, zwischen all dem Müll am Straßenrand, seine Zelte aufgeschlagen hat? »Der Regen bleibt aus und das Land kann die Tiere nicht mehr ernähren«, erklärt Borito Ali. »Hier an der Straße kommt einmal die Woche ein Tanklaster von Unicef vorbei und versorgt uns mit Wasser. Deshalb sind wir hierhergezogen.«

Borito Ali gehört zum Volk der Afar-Nomaden. Längst kann er mit seiner Familie von dem Nomadentum nicht mehr leben, vom stolzen Nomaden wurde er zum Hilfsempfänger

Borito Ali gehört zum Volk der Afar-Nomaden. Längst kann er mit seiner Familie von dem Nomadentum nicht mehr leben, vom stolzen Nomaden wurde er zum Hilfsempfänger

Foto: Benjamin Moscovici

Hier am Horn von Afrika ist der Klimawandel keine ferne Drohung, sondern längst Realität. Bis 2050, so rechnet die Weltbank, könnte es weltweit mehr als 140 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Fast zwei Drittel davon allein in Subsahara-Afrika.

Der Strom sei gut fürs Land, aber für die Menschen bräuchte es noch andere Ansätze, ist Ahmed Gaber überzeugt. Er ist Direktor einer Schule in einer kleinen Provinzstadt im Norden des Landes und ein Mann, auf den die Leute in der Region hören.

»Es reicht nicht zu klagen, dass die Nomaden ihr Land verlassen – wir müssen den Menschen zeigen, dass es sich lohnt zu bleiben, dass es Möglichkeiten gibt sich anzupassen.« Viel zu lange seien die Afar passiv geblieben, bloße Opfer ihrer Umwelt. Es sei endlich an der Zeit zu handeln, sagt er.

Schulleiter Ahmed Gaber: »Wir klagen, dass unsere Tiere nichts mehr zu fressen finden, aber wissen nicht, wie man Sträucher und Bäume pflanzt.«

Schulleiter Ahmed Gaber: »Wir klagen, dass unsere Tiere nichts mehr zu fressen finden, aber wissen nicht, wie man Sträucher und Bäume pflanzt.«

Foto: Benjamin Moscovici

Sein Ziel ist eine Landwirtschaftsschule. »Wir halten Ziegen, aber wissen nicht, wie man Käse macht, wir hungern, aber wissen nicht, wie man Gemüse anbaut, und wir klagen, dass unsere Tiere nichts mehr zu fressen finden, aber wissen nicht, wie man Sträucher und Bäume pflanzt.«

Seine größte Hoffnung: Ahmed Houmed, der neue Sultan der Afar in Dschibuti. Der 43-Jährige kennt die Bräuche und Traditionen der Afar, hat aber auch 16 Jahre in Belgien gelebt. Er hätte die Möglichkeit das Blatt zu wenden.

Sultan Ahmed Houmed: Erst die Genitalverstümmelung abschaffen, dann gegen den Klimawandel kämpfen

Sultan Ahmed Houmed: Erst die Genitalverstümmelung abschaffen, dann gegen den Klimawandel kämpfen

Foto: Benjamin Moscovici

Dabei hat der Sultan in Dschibuti formal gar keine Macht. In der Verfassung wird sein Amt nicht einmal erwähnt. Wenn er im Frühjahr inthronisiert wird, könnte er dennoch eine Zeitenwende einläuten. Für viele Afar bedeutet das Wort ihres kulturellen Oberhauptes mehr als das des Präsidenten.

Und tatsächlich macht der designierte Sultan schon jetzt deutlich, dass er neue Wege gehen will. Sein erstes großes Projekt: Er will die weibliche Genitalverstümmelung verbieten, die bei den Afar in ihrer grausamsten, der pharaonischen Form, praktiziert wird. Sein nächstes Thema: der Klimawandel.

Als Nomaden haben die Afar sich nie für Landwirtschaft interessiert. Die Natur gab ihnen, was sie zum Überleben brauchten. Jetzt aber stehen sie vor der Wahl: Weitermachen wie bisher und enden wie Borito Ali, der vom stolzen Nomaden zum Hilfsempfänger wurde. Oder sie beginnen mit Landwirtschaft und finden so nicht nur eine neue Lebensgrundlage, sondern leisten auch einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel.

Baustellen für erneuerbare Energien in der Wüste: Bis 2035 strebt das Land Energieselbstständigkeit an und könnte irgendwann sogar zu einem wichtigen Stromexporteur in der Region werden

Baustellen für erneuerbare Energien in der Wüste: Bis 2035 strebt das Land Energieselbstständigkeit an und könnte irgendwann sogar zu einem wichtigen Stromexporteur in der Region werden

Foto: Benjamin Moscovici

Tatsächlich gibt es verschiedene Experimente, die zeigen, dass dieser Kampf noch nicht verloren, dass die Begrünung der Wüste möglich ist. 2018 erhielt Yacouba Sawadogo den alternativen Nobelpreis für sein Wiederaufforstungsprojekt in Burkina Faso.

Sawadogo bediente sich einer alten, im westlichen Sahel verbreiteten Technik: dem Zaï-System. Kleine Pflanzlöcher, die in Reihen angelegt und neben dem Saatgut auch mit Kompost und Viehdung gefüllt werden. So sind unter seinen Händen in den vergangenen Jahren 40 Hektar Wald entstanden. In einer Gegend, aus der die Menschen davor wegen Dürre geflohen waren.

Das Prinzip ist simpel: Bäume ziehen mit ihren langen Wurzeln nicht nur Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche, ihr Wurzelgeflecht schützt die Erde auch vor Erosion und hilft, wertvolles Regenwasser im Boden zu speichern. Außerdem spenden ihre Blätter Schatten. Und so können im Schutz der Bäume andere, kleinere Pflanzen wachsen, die dann wiederum als Nahrung für Tiere dienen.

Afrikas Grüne Mauer im Sahel

Afrikas Grüne Mauer im Sahel

Foto: Green Belt Movement

Dieses Prinzip will sich auch die Afrikanische Union bei ihrem Vorhaben zunutze machen, eine grüne Mauer entlang der Südgrenze der Sahara anzulegen. Aber bislang hinkt das 2007 gestartete Projekt weit hinter den ehrgeizigen Zielen zurück. Auch weil die Regierungen – darunter auch jene von Dschibuti – es nicht geschafft haben, die Bevölkerung einzubeziehen.

Hier könnten die Afar ins Spiel kommen, meint Schulleiter Ahmed Gaber. »Unsere Leute wollen ihr Land ja nicht verlassen – sie finden nur keinen Weg, wie sie dort überleben können«, sagt er. Wenn man ihnen einen Weg zeigen könne, wie sie ihre Herden behalten könnten, werde es möglicherweise noch ein Umdenken geben, bevor es zu spät sei. »In Zukunft werden wir dann vielleicht keine Karawanen mehr haben – aber wir bleiben ein freies Volk.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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