Kosovos Präsident wegen Kriegsverbrechen angeklagt Rückschlag für die "Schlange"

Er ist der starke Mann im Kosovo: Hashim Thaci. Nun wird der Präsident in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Warum erst jetzt? Und was bedeutet die dramatische Wende für Trumps Vermittler Richard Grenell?
Eine Analyse von Walter Mayr, Wien
Hashim Thaci: Am kommenden Wochenende wollte der Präsident des Kosovo eigentlich zu Gesprächen nach Washington reisen

Hashim Thaci: Am kommenden Wochenende wollte der Präsident des Kosovo eigentlich zu Gesprächen nach Washington reisen

Foto: ARMEND NIMANI/ AFP

Die Bombe platzte in letzter Sekunde, Schockwellen erschüttern seither den Balkan: Das Sondertribunal in Den Haag klagt Hashim Thaci, den Präsidenten des Kosovo, an. Die vorläufige Anklage wirft dem früheren politischen Sprecher der Guerillaorganisation UCK und mehreren Mitstreitern Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor, in Zahlen: "beinahe hundert Morde" an Kosovo-Albanern, Serben, Roma und Mitgliedern anderer Volksgruppen.

Thaci muss seine Reisepläne ändern. Bereits an diesem Samstag wollte er im Rose Garden des Weißen Hauses in Washington mit dem Präsidenten Serbiens, Aleksandar Vucic, über einen Ausweg aus der diplomatischen Sackgasse verhandeln: Die ehemals serbische Provinz Kosovo, die 2008 einseitig ihre Unabhängigkeit ausrief, wird nicht nur von Serbien geächtet; auch fünf EU-Staaten sowie die ständigen Uno-Sicherheitsrats-Mitglieder Russland und China verweigern der überwiegend albanisch besiedelten, ex-jugoslawischen Zwergrepublik ihren diplomatischen Segen.

Dass der Haftbefehl gegen Thaci ausgerechnet jetzt publik wird, wirkt, als habe da ein international besetztes Gericht in letzter Sekunde die Notbremse gezogen. Das für Samstag geplante serbisch-kosovarische Gipfeltreffen in Washington war an der EU-Diplomatie vorbei von Richard Grenell eingefädelt worden , dem Sondergesandten Donald Trumps für den Balkan.

Es sollte ein PR-Coup in Wahlkampfzeiten für den unter Druck stehenden US-Präsidenten werden - wobei bis zuletzt unklar blieb, worauf sich die Parteien hätten einigen sollen. Die diplomatische Anerkennung des Kosovo durch Serbien im Gegenzug für einen Gebietsaustausch? Eine Lösung also, die von der EU, allen voran von der deutschen Bundeskanzlerin, als verhängnisvoller erster Schritt in Richtung einer innereuropäischen Grenzverschiebung abgelehnt wird? Wenig wahrscheinlich.

Die EU als potenzielles politisches Schwergewicht hat in der Kosovo-Frage versagt

Zur Wahrheit gehört: Die EU als potenzielles politisches Schwergewicht hat in der Kosovo-Frage, im eigenen Hinterhof also, versagt und sich von Anfang an in den Windschatten Washingtons geduckt. Sowohl der Nato-Einsatz im Kosovokrieg 1999 als auch der Vorstoß zur diplomatischen Anerkennung 2008 kamen auf massiven Druck der USA zustande. Als ikonografisch gilt dabei der Moment, als Hashim Thaci, damals Premier, im Februar 2008 vor im Grand Hotel Pristina versammelten Journalisten verkündete, dass er momentan leider nichts zu verkünden habe. Sein Plan, die Unabhängigkeit des Kosovo auszurufen, war ihm Minuten zuvor telefonisch von der US-Gesandten Tina Kaidanov mit den Worten "No way" vermasselt worden. Washingtons Zeitplan sah anders aus.

Thaci ist von der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright stetig gefördert und vom aktuellen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden als "George Washington des Kosovo" geadelt worden. Seine Rolle als Schoßhund amerikanischer Geopolitiker erfüllte der Kriegsveteran bis zuletzt tadellos. "Wir sind sehr dankbar, dass sich Washington in diesen weltpolitisch dramatischen Zeiten Zeit nimmt, um mit dem Kosovo und Serbien nach Lösungen zu suchen", erzählte Thaci noch kurz vor seiner geplanten US-Reise der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Es sei "ein Segen für das Kosovo", Washington hinter sich zu wissen.

Dabei war, was Thaci tat, bevor er zum mächtigsten Mann der kosovarischen Innenpolitik aufstieg, stets gut dokumentiert. Über den Mann, den sie in der UCK "Schlange" nannten, heißt es einem Bericht des Bundesnachrichtendiensts aus dem Jahr 2005, er kontrolliere "ein im gesamten Kosovo aktives kriminelles Netzwerk". In einem Rapport des Europarats aus dem Jahr 2011 wiederum werden führende UCK-Mitglieder, allen voran Thaci, schwerster Kriegsverbrechen beschuldigt. Von Mord, Folter und Organhandel ist die Rede.

Warum das bisher niemanden davon abhielt, sich mit Thaci an einen Tisch zu setzen, sobald es um die Zukunft dieser maßgeblichen europäischen Krisenregion ging? Die Frage werden sich die Verantwortlichen in Washington und Brüssel zu stellen haben. Das überwiegend EU-finanzierte Sondertribunal in Den Haag hat seinerseits die Aufgabe, strafrechtliche Aspekte im Vorleben des kosovarischen Staatschefs zu klären. Eine letztgültige Entscheidung des Haftrichters steht aus.

So viel immerhin scheint sicher: für diskrete Deals in der Kosovo-Frage ist der EU, vor allem aber den US-Amerikanern, einer von zwei Gesprächspartnern abhandengekommen.

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