Sarah Brockmeier

Die Deutschen und der Krieg in der Ukraine Betroffenheit reicht nicht, mischt euch ein!

Sarah Brockmeier
Ein Gastbeitrag von Sarah Brockmeier
Ein anderes Profilbild in sozialen Medien, eine Kerze im Fenster: Die deutsche Bevölkerung reagiert auf den Krieg in der Ukraine allzu unpolitisch. Das muss sich ändern, die Zeit leerer Solidaritätsbekundungen ist vorbei.
Demonstration in Berlin gegen Russlands Überfall auf die Ukraine

Demonstration in Berlin gegen Russlands Überfall auf die Ukraine

Foto: Florian Gaertner / Photothek via Getty Images

Die Freundin, deren Mutter besorgt bei ihr nachfragt, ob Deutschland noch sicher sei oder ob sie sich vorübergehend bei Verwandten in Australien in Sicherheit bringen sollte. Die betroffenen Instagram-Posts. Die gelb-blau erleuchteten Gebäude im ganzen Land. Plötzlich ist die Außenpolitik überall, der Überfall Russlands auf die Ukraine macht Menschen in Deutschland betroffen und ängstlich, die sich bisher nicht um die Außenpolitik kümmern.

Brandenburger Tor, erleuchtet in den Nationalfarben der Ukraine (24. Februar)

Brandenburger Tor, erleuchtet in den Nationalfarben der Ukraine (24. Februar)

Foto: via www.imago-images.de / imago images/Mauersberger

Das ist verständlich und wichtig. Nur sind die bisherigen Reaktionen so unfassbar unpolitisch. Während ukrainische Männer sich bewaffnen und sich einer übermächtigen russischen Feuerkraft entgegenstellen, sind wir in sozialen Medien betroffen. Während Russland Wohnhäuser und Kindergärten bombardiert , verschickt die Yoga-Schule E-Mails, dass sie jetzt eine Kerze ins Fenster stellt. Während sich ukrainische Kinder in Luftschutzkellern verstecken, kommen hierzulande bisher nur ein paar Tausend Menschen zu Demonstrationen.

Zur Autorin

Sarah Brockmeier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und non-resident Fellow am Global Public Policy Institute.

Ja, Außenpolitik ist kompliziert, und es ist die Aufgabe von Politik, Führungsverantwortung zu übernehmen. Aber wenn wir uns in den vergangenen Jahren abhängiger von russischer Energieversorgung gemacht haben – auch nachdem Russland bereits einen Teil der Ukraine annektiert und in der Ostukraine einen Krieg führte – dann tat die deutsche Politik das, weil sie fand, es sei im Interesse von uns allen. Wenn mehrere Bundesregierungen gegen die Warnungen der Mehrheit unserer EU-Partner, der USA und außenpolitischer Expertinnen und auf Kosten der Ukraine die Pipeline Nord Stream 2 vorantrieben, dann taten sie das auch, weil sie für diesen Kurs Rückhalt in der Bevölkerung hatten.

Es ist zu viel erwartet, dass jede Bürgerin die Details des Iran-Deals oder des neuen strategischen Konzepts der Nato verfolgt. Aber wenn es wie jetzt um die Grundlagen der Sicherheit in Europa geht, um Krieg nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt, dann ist es nicht zu viel verlangt, sich politisch einzumischen, statt nur betroffen das Profilbild in den sozialen Medien zu ändern.

Wenn die Bundesregierung sich tagelang nicht entscheiden kann , ob und warum sie Russland aus dem internationalen Zahlungssystem Swift ausschließen möchte, dann liegt es auch daran, dass sie nicht sicher ist, ob die deutsche Bevölkerung – wir alle – die erheblichen Kosten dieser Entscheidung mittragen. Wenn der Bundestag einen Antrag beschließen sollte, in der zentrale Sanktionsforderungen fehlen, dann tut er das in unserem Namen. Wenn die deutsche Politik wie in den vergangenen Tagen und Wochen so lange zögerte, Waffen an die Ukrainer zu senden, dann tat sie das im Glauben, dass man uns Deutschen nichts anderes zumuten kann.

Wer das ändern möchte, muss laut werden. Politik reagiert auf Menschen auf der Straße, und zwar welche, die nicht nur abstrakt für »Frieden« demonstrieren, sondern auch für eine andere Politik. Sie reagiert auf Anrufe und E-Mails an Abgeordnete, auf Druck aus dem Ortsverein der Partei, aus Gewerkschaften, aus Wirtschaftsverbänden.

Aber wenn es wie jetzt um die Grundlagen der Sicherheit in Europa geht, um Krieg nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt, dann ist es nicht zu viel verlangt, sich politisch einzumischen, statt nur betroffen das Profilbild in den sozialen Medien zu ändern.

Ja, es wird in den nächsten Tagen und Wochen auch darum gehen, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen. Hier können und müssen wir wieder Hilfsbereitschaft zeigen – vielleicht mehr als je zuvor. Auch ukrainische und internationale humanitäre Organisationen brauchen Spenden.

Aber das allein reicht nicht. Das ist zu bequem. Wir müssen uns auch mit der realen Welt um uns herum auseinandersetzen, uns politisch einmischen, alte Gewissheiten über Bord schmeißen, nach denen schon alles gut wird, wenn man nur oft genug betont, dass man für Frieden ist. Hätten wir 2015 nicht nur über die syrischen Geflüchteten in Deutschland und Europa diskutiert, sondern auch genauer hingeschaut, wie Russland in Syrien gezielt Krankenhäuser, Schulen und Marktplätze bombardierte, wären wir jetzt vielleicht nicht so überrascht. Statt leerer Solidaritätsbekundungen schulden wir den Ukrainerinnen und Ukrainern nicht nur Hilfe für Geflüchtete, sondern eine aktivere Politik.

Das wird nicht nur in den nächsten Tagen und Wochen wichtig. Wer sich langfristig keine Sorgen machen möchte, ob es in Australien wohl sicherer ist, der muss auch alte Gewissheiten zu den deutschen Verteidigungsausgaben überdenken . In den nächsten Monaten wird eine Debatte über eine nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland geführt werden, die nun auch auf die fundamentale neue Ordnung in Europa reagieren muss. Das ist eine Chance, die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik neu aufzustellen, zu zeigen, dass wir bereit sind, uns für unsere Sicherheit und Freiheit, unsere Werte einzusetzen. Wer das möchte, muss runter von Instagram und sich politisch einmischen.

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