Freiwillige in Dnipro Generation Widerstand
Kriegsalltag in der Ukraine: Spenden kommen in Dnipro an. Und alle packen mit an. Freiwillige helfen überall in der Stadt. Der brutale Angriffskrieg Putins tötet, zerstört, entwurzelt – und verschiebt auch die Lebensläufe der Ukrainerinnen und Ukrainer. Wir sind einigen von ihnen begegnet.
Sie alle leben in Dnipro – und sind geblieben. Dnipro ist die viertgrößte Stadt der Ukraine. Von den meisten Frontlinien im Osten des Landes etwa gleich weit entfernt, ist Dnipro zu einem logistischen Knotenpunkt für humanitäre Hilfe geworden – zu einem Fluchtpunkt für diejenigen, die vor dem Krieg fliehen müssen. Vertrieben und völlig traumatisiert finden sie in einem ehemaligen Kino Zuflucht. Hier wurde ein riesiges humanitäres Zentrum eingerichtet. Alles wird dringend gebraucht: Lebensmittel, Hygieneprodukte, Babynahrung, Windeln und auch psychologische Hilfe.
Anna, freiwillige Helferin:
»Hauptsächlich kümmere ich mich hier um alle, die ankommen. Um sicherzustellen, dass sie psychisch stabil genug sind, um hier zu sein. Ich habe nicht viel Zeit, um mit ihnen psychologisch zu arbeiten. Ich habe keine Zeit für eine Beratung, also eine normale Beratung. Aber zumindest kann ich sie mit einem Lächeln begrüßen. Ich kann ihnen die Dinge erklären, die ihnen widerfahren sind. Manche Leute haben Fragen zu ihren Kindern, zu ihren Reaktionen. Manche Menschen haben Schwierigkeiten, sich an die neue Realität anzupassen. Manche weinen und brauchen Trost und Hilfe.«
Auch Nikita hat hier zu Beginn des Krieges als Freiwilliger geholfen. Aber er hatte das Gefühl, er müsse noch mehr tun, weil er doch Medizin studiert hat. Also hat er sich freiwillig bei der Territorialverteidigung gemeldet.
Eigentlich hatte er hier seinen Traumjob gefunden. Aber das war vor dem Krieg. Nikitas Lebensmittelpunkt war der angesagte Technoklub Module. Elektronische Beats, Nachtleben, Spaß: Das scheint ewig her zu sein. Jetzt hofft er nur, dass er nicht ein einziges Mal schießen muss.
Nikita, Militärarzt:
»Vor dem Krieg habe ich im Module-Klub gearbeitet, der leider geschlossen wurde. Ich hoffte, wie alle anderen aus dem Klub, dass es möglich sein würde, ihn wieder zu öffnen. Aber dann begann der Krieg, alles änderte sich und ein neues Leben begann. Ich bin 26, ich bin Militärarzt bei der Territorialverteidigung. Ich habe alles im Module gemacht. Zuerst war ich Barkeeper, dann Verwalter, dann Gerätetechniker, dann Manager, dann Lichttechniker... Na ja, alles Mögliche.«
Allas Tochter verbrachte auch viele Nächte im Klub Module, erzählt sie uns. Wir treffen sie in einer ehemaligen Möbelfabrik. Jetzt produzieren sie hier keine Möbel mehr, sondern kugelsichere Westen. Die werden dringend gebraucht. Etwas Sinnvolles tun, helfen, zusammenhalten.
Alla, Näherin:
»Alles fing damit an, dass sich die Leute, die Musiker aus dem Klub Module der Territorialverteidigung anschlossen. Und sie gingen ›so wie sie waren‹. Sie hatten weder Schutzwesten noch Brustpanzer oder Kampfwesten. Also kam Kate und sagte: ›Mama, kannst du eine Weste nähen? So, dass da Platten hineingesteckt werden können.‹ Ich antwortete: ›Ich habe es noch nie versucht, aber ich werde es versuchen.‹ Also habe ich es versucht. Nun, zuerst brauchte ich eine Weile, bis ich eine Idee hatte, wie es gemacht werden könnte. Dann haben wir Stoffe gekauft und haben im Internet geschaut, wie die Westen aussehen sollen. Im Internet sind sie alle sehr hübsch. Ich habe gesagt, ich kann nicht so nähen, wir brauchen etwas Einfacheres. Und dann hat man mir das hier gegeben, weil ich wenigstens nach der Magazingröße gefragt habe. Also brachten sie mir ein Magazin. Dann habe ich die Taschen ausgemessen, mir die Form überlegt und mir dann etwas ausgedacht.«
Mut, Pragmatismus, Widerstand – jeder so, wie er kann. Hochmotiviert nähen sie die Schutzwesten – mit einer großen Menge Wut im Bauch.
Oleksandra, Näherin:
»Der überwältigende Wunsch, Putin so schnell wie möglich zu Fall zu bringen, ist wahrscheinlich das Hauptmotiv. Das ist es, woran ich denke, wenn ich bei der Arbeit bin. Das ist es, woran ich denke, wenn ich nach Hause fahre, wenn ich zu Hause ankomme und wenn ich hierherkomme.«
In Dnipro liegt eines der größten jüdischen Zentren Europas. Auch hier packen alle mit an – und die Gemeinde möchte das normale jüdische Leben irgendwie aufrechterhalten. Besonders fassungslos macht die Menschen Putins formuliertes Kriegsziel, die sogenannte Denazifizierung der Ukraine.
Yakov, Jüdische Gemeinde Dnipro:
»Ich habe noch nie Nazis getroffen! Ich sage: ›Zeigt sie mir!‹ Vielleicht sind sie tatsächlich irgendwo, aber das kann überall sein. In jedem Land gibt es irgendeine Art von Idioten, die sich Nazis nennen. Man kann sie überall finden – in Russland, in Moskau, überall. Ich erzähle davon russischen Freunden, erzähle ihnen, was ich Ihnen gerade erzählt habe. Sie hören eine Zeitlang zu und dann gehen sie wieder. Es ist wie eine Mauer.«
Sie sind beide Mitglieder der jüdischen Gemeinde Dnipros – die Cherkaskyis – Vater und Sohn, kämpfen seit Beginn des russischen Angriffskriegs gemeinsam in der Territorialverteidigung.
David, Mitglied Territorialverteidigung:
»Für mich begann es am 24. Februar um fünf Uhr morgens, als mein Vater mich weckte und mir sagte, dass es Alarm gab. Er sagte, dass der Krieg begonnen hat. Er sagte mir, ich solle meine Sachen packen, die wichtigsten Sachen, und auf Anweisungen warten. Ich packte, kam bei meinem Vater an und sagte: Ich werde dir hier zur Seite stehen, Schulter an Schulter. Entweder wir zusammen – oder ich werde allein einen Weg finden, zur Armee zu kommen.«
David studierte – jetzt ist er Soldat. Der Krieg verändert das Leben aller Ukrainerinnen und Ukrainer auf dramatische Weise. Vor allem das der Kinder. Vertrauen und Sicherheit sind für sie entwicklungspsychologisch existentiell. Die Kleinsten sind besonders verletzlich und hilflos. In dem Hilfszentrum im ehemaligen Kino gibt es Kinderzonen, in denen Psychologen sich um sie kümmern.
Anna, Psychologin:
»Sie sind in einem sehr schlechten emotionalen Zustand. Sie haben Angst. Sie verstehen nicht, was passiert ist. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Sie wollen sich die ganze Zeit verstecken.
Sie weinen.«