
Babys von Leihmüttern in einem Luftschutzkeller einer der größten Leihmütter-Agenturen
Foto:Gleb Garanich / REUTERS
Leihmutterschaft in der umkämpften Ukraine »Bleiben Sie ruhig. Das Leben Ihres Kindes hängt davon ab«

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Ein Neugeborenes, gehüllt in eine gemusterte Decke, gähnt von der Website der ukrainischen Leihmutterschaftsklinik BioTexCom, dann weint es ein wenig. »Schhhhh«, macht eine Krankenschwester und beugt sich über das Kleine, wiegt es in der Babyschale auf und ab.
Das müde Neugeborenes ist eines von 18 Babys, die derzeit in einem Bunker der größten ukrainischen Leihmutterschaftsklinik in einem Vorort von Kiew untergebracht sind – und auf ihre Familien warten. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges ist es für die zukünftigen Eltern immer schwieriger geworden, ihre Kinder abzuholen. Und jeden Tag kommen neue Kinder von Leihmüttern in der Ukraine zur Welt, Hunderte sind noch schwanger.

Acht Krankenschwestern kümmern sich um derzeit 18 Babys in dem Schutzkeller im Vorort von Kiew. Jeden Tag können es mehr werden
Foto: Gleb Garanich / REUTERSSeit 2015 hat sich die Ukraine zum weltweiten Zentrum für Leihmutterschaften entwickelt, während zahlreiche andere Länder die umstrittene Praxis verboten, darunter auch Nepal, Indien und Thailand. Nach Schätzungen wurden bisher in dem osteuropäischen Land jährlich zwischen 2000 und 3000 Babys von Leihmüttern geboren, 90 Prozent von ihnen für ausländische Eltern. Die Handhabung in der Ukraine galt als professionell und unkompliziert. Bei BioTexCom kostet eine Leihmutterschaft rund 40.000 bis 60.000 Euro. Das ist deutlich weniger als etwa in den Vereinigten Staaten, wo Leihmutterschaft ebenfalls erlaubt ist.
Maria Holumbovska ist für die Außenbeziehungen der Leihmutterschaftsklinik nach Deutschland zuständig. Sie harrt selbst derzeit in Kiew aus und berichtet von der Arbeit der Agentur unter den Bedingungen des Krieges.

Die Krankenschwester Oksana Martynenko hat selbst eine Familie in der Nähe der Stadt Sumy, seit Kriegsbeginn kann sie dort nicht mehr hinreisen
Foto: Gleb Garanich / REUTERSSPIEGEL: Frau Holumbovska, Ihre Klinik ist einer der größten Vermittler von Leihmutterschaften in der Ukraine, der globale Marktanteil der Agentur liegt bei rund einem Viertel. Wie viele Babys sind derzeit in Ihrer Obhut?
Holumbovska: In unserem Luftschutzkeller in einem Vorort von Kiew sind derzeit 18 Babys. Es kommen aber jeden Tag neue hinzu. Wir haben noch einen weiteren Standort in der Zentralukraine. Und es sind noch mehrere Neugeborene in den Geburtskliniken in Kiew. Sobald sie entlassen werden können, holt sie unser Chefarzt persönlich ab, begleitet von Vertretern eines Freiwilligenbataillons. Insgesamt haben wir derzeit rund 35 Babys im Land.

Maria Holumbovska, geboren 1987, ist Repräsentantin der deutschen Abteilung der ukrainischen Leihmutterschafts-Agentur BioTexCom. Holumbovska studierte an der Schtomyrer Universität deutsche Sprache und Literatur und ist seit 2014 für die Agentur tätig.
SPIEGEL: Wie ist die Lage in dem Schutzbunker?
Holumbovska: Der Vorort ist noch vergleichsweise ruhig, man hört vereinzelt Bombardierungen in der Ferne. Acht Krankenschwestern kümmern sich um die Babys. Es sind meist Frauen, die selbst Familien haben, oft in anderen Landesteilen. Seit Beginn des Krieges ist es für sie nicht mehr möglich, nach Hause zurückzukehren. Wir sind noch gut versorgt, was Babynahrung und Windeln betrifft. Wir erhalten großzügige Spenden aus vielen Ländern. Auch Eltern, die schon früher mit unserer Hilfe Kinder bekommen haben, engagieren sich und schicken Hilfsgüter.
SPIEGEL: Seit Kriegsbeginn haben einige Eltern ihre Babys aus der Ukraine abgeholt, bekannt wurde etwa der Fall eines Schweizer Paares, das mit einem Privatflieger anreiste. Gibt es derzeit noch Möglichkeiten für die Eltern, ihre Babys zu holen?
Holumbovska: Die meisten Eltern wollen es trotz der Gefahr versuchen. Fünf deutsche Babys wurden in den vergangenen drei Wochen bei uns abgeholt. Wir haben derzeit noch drei. Das älteste deutsche Baby, das noch bei uns ist, wurde einen Tag vor dem Krieg geboren. Seine Eltern möchten es jetzt holen. Sie wollen mit dem eigenen Auto fahren und dann in den Zug umsteigen. Die Reise ist natürlich riskant und dauert mehrere Tage. Wenn die Eltern hier ankommen, können Sie auch nicht sofort wieder zurück.

Flucht aus dem Krieg: Ein deutsches Paar verlässt Kiew am 28. Februar mit seiner neugeborenen Tochter, die kurz zuvor durch eine ukrainische Leihmutter zur Welt gebracht wurde
Foto: Pierre Crom / Getty ImagesSPIEGEL: Warum nicht?
Holumbovska: Die bürokratischen Prozesse dauerten vor Kriegsbeginn ungefähr einen Monat lang. Wir haben mit den Behörden bereits ein Eilverfahren eingeleitet, sodass die Eltern nach ungefähr zwei Tagen mit dem Kind ausreisen können. Man benötigt dafür jetzt weniger Dokumente. Aber die Kinder brauchen einen Reisepass der Deutschen Botschaft. Das ist im Moment etwas schwierig. Wir würden uns von der Deutschen Botschaft wünschen, dass sie schneller auf unsere Anfragen reagiert.
SPIEGEL: Aus welchen Ländern kommen die Eltern der Kinder?
Holumbovska: Wir haben hier Kinder aus der ganzen Welt, aus Frankreich, Großbritannien, Österreich, der Schweiz, Israel, Argentinien, Brasilien und auch aus China. Unsere ältesten Kinder sind chinesisch. Ihre Eltern können aufgrund der strengen Coronamaßnahmen nicht ausreisen und die Kinder abholen.
SPIEGEL: Wie geht es ihren Leihmüttern?
Holumbovska: Wir haben etwa 600 schwangere Frauen im Land. Rund 80 von ihnen tragen Kinder für deutsche Eltern aus. Sie kommen aus allen Landesteilen. Wir konnten rechtzeitig alle unserer schwangeren Frauen aus Mariupol evakuieren. Manche der Frauen hier in Kiew sind noch zu Hause in ihren Wohnungen. Andere, vor allem Hochschwangere, wohnen in unseren WGs. Grundsätzlich gehen wir nur noch raus, wenn es wirklich nötig ist. Noch kann man in den Supermärkten einkaufen. Wenn es Luftalarm gibt, dann gehen wir in Schutzkeller – am Anfang hat uns das noch schockiert, aber inzwischen haben wir uns fast daran gewöhnt.
SPIEGEL: Wieso bringen Sie die schwangeren Frauen nicht aus dem Land?
Holumbovska: Wir hatten das zu Beginn der russischen Invasion in Erwägung gezogen. Aber wir dachten nicht, dass dieser Krieg so lange anhalten würde. Und es erschien uns zu unsicher mit den hochschwangeren Frauen durch die Ukraine zu reisen. Was, wenn bei einer von ihnen die Wehen einsetzen in einem umkämpften Gebiet? Dann hätte sie das Kind einfach so irgendwo bekommen müssen, womöglich außerhalb einer Klinik. Also sind wir davon ausgegangen, dass es besser ist, wenn sie hierbleiben und wir abwarten.

Babys in dem Bunker der Klinik für Leihmutterschaften in Kiew
Foto: Gleb Garanich / REUTERSSPIEGEL: Sind Leihmütter selbstständig aus dem Land geflohen?
Holumbovska: Ja, einige unserer Leihmütter sind nach Polen geflohen. Es handelte sich allerdings um Frauen im Frühstadium ihrer Schwangerschaft. Und sie haben uns zugesichert, dass sie zur Geburt wieder zurückkommen. Das Problem ist, dass Leihmutterschaft in der Ukraine legal ist, nicht aber in den umliegenden Ländern. Wenn diese Frauen ihre Kinder also in Polen zur Welt bringen, dann sind sie plötzlich Mütter, die Babys rechtlich ihre Kinder. Das bürokratische Prozedere, um das dann wieder zu ändern, dürfte sehr langwierig sein.

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Foto: Pierre Crom / Getty ImagesSPIEGEL: Was haben Sie jetzt vor?
Holumbovska: Wir hoffen sehr, dass die Lage in Kiew nicht weiter eskaliert und wir nicht in eine Situation kommen wie in anderen Städten. Wir hoffen, dass die Deutschen uns endlich wirklich helfen. Wir werden die Babys weiterhin betreuen und behüten, bis ihre Eltern sie abholen können. Und wir wollen noch die Kinderwünsche vieler Paare erfüllen, haben bereits viele unterschriebene Verträge. Die Situation ist auch traurig für all diese Menschen.

Ein Bunker voller Babys
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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