Gewalt gegen Geflüchtete und Helfer auf Lesbos Alleingelassen
"Es sind zu viele für diese Insel."
"Wir haben keine Medikamente, keinen Arzt, kein gutes Essen, nichts."
"Die Situation ist gefährlich!"
Sie trauen sich noch: Eine kleine Gruppe Griechen sammelt Lebensmittel, Wäsche und Medikamente. Die Spenden bringen sie ins Flüchtlingscamp Moria, das größte auf der griechischen Insel Lesbos. Viele Freiwillige wagen sich hier nicht mehr her, nachdem es in den vergangenen Tagen immer wieder Angriffe von rechtsextremen Gruppen auf Helfer gab.
Die Freiwilligen bitten uns deshalb, die ganze Zeit nur mit dem Handy zu filmen, damit sie und wir nicht zur Zielscheibe werden. Eigentlich ist Katarina Lehrerin auf Lesbos, seit ein paar Monaten hilft sie unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im völlig überfüllten Camp.
Katarina K., freiwillige Helferin:
"Die gesamte Situation berührt mich sehr. Ich kann mich nicht einfach raushalten. Ich muss den Menschen helfen."
Heute hat die Griechin Augentropfen für einen der Bewohner besorgt.
Katarina K., freiwillige Helferin:
"Die Tropfen lindern die Schmerzen. Ich benutze die selbst auch."
Die Mehrheit der Flüchtlinge lebt im Außenbereich, dem sogenannten Dschungel von Moria. Zwischen Müllbergen, ohne Strom und Warmwasser.
Wie prekär die Situation für viele Flüchtlinge ist, erzählt uns auch Mohammed.
Mohammed Wais, Geflüchteter aus Afghanistan:
"Wir können uns nachts nicht frei bewegen. Weder innerhalb noch außerhalb des Camps. Draußen verfolgen uns Griechen, innerhalb des Camps gibt es viele Kriminelle, die einem mit dem Messer oder so bedrohen."
Der offizielle innere Teil des Camps ist ausgelegt für knapp 2200 Menschen. Insgesamt leben darin und rundherum 20 000 Menschen, darunter 900 unbegleitete Minderjährige. Und das auf einer Insel, die nur 85 000 Einwohner hat.
Viele der Camp-Bewohner würden gern weiter aufs europäische Festland. Aber seit dem Deal zwischen der EU und der Türkei 2016 ist das nicht möglich. Der sieht vor, dass die ankommenden Flüchtlinge und Migranten bis zur Bearbeitung ihres Asylantrags auf den Inseln bleiben müssen, damit sie gegebenenfalls zurück in die Türkei gebracht werden können. Einige warten bis zu zwei Jahre auf ihre Asylanhörung.
Katarina K., freiwillige Helferin:
"Es ist für uns alle schwierig. Für die Flüchtlinge, die Einheimischen und für uns, die hierhin kommen."
Maria Z., Sozialarbeiterin und freiwillige Helferin:
"Es gibt bereits viele Reaktionen aus der lokalen Bevölkerung. Bisher haben sie sich immer solidarisch mit den Flüchtlingen gezeigt, jetzt stellen sie sich gegen sie."
Nachdem die Türkei Ende vergangener Woche ihre Grenzen zur EU für Flüchtlinge öffnete, machten sich Tausende auf den Weg. Einige Hundert landeten an den Küsten von Lesbos. Die ohnehin schon angespannte Stimmung unter den Inselbewohnern eskalierte. Teile der griechischen Bevölkerung protestierten massiv. Einige hinderten Boote, mit Frauen, Kindern und Männern an Bord daran anzulegen.
Auch die griechischen Behörden halfen den Flüchtlingen nicht, im Gegenteil. Schließlich übten rechtsextreme Gruppen für einige Tage Selbstjustiz auf der Insel, errichteten Straßensperren, griffen Flüchtlinge, Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen an.
Viele NGOs haben ihre Arbeit deshalb vorübergehend eingestellt. Die freiwilligen Helfer teilweise aufs Festland geschickt. So auch die Organisation "One Happy Family".
Nicolas Perrenoud, Hilfsorganisation "One Happy Family":
"Auch von unserem Projekt waren Leute in einem Auto unterwegs, privat und waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Und da war dann eine Gruppe, die das gesehen hat, dass sie Ausländer sind, und hat dann das Auto total demoliert. Und sie kamen mit ein paar leichten Kratzern davon."
Normalerweise kommen bis zu 1000 Flüchtlinge jeden Tag in das Gemeinschaftszentrum. Sie gärtnern, reparieren Fahrräder, lernen Sprachen, helfen sich gegenseitig. Aus Angst vor Übergriffen bleibt die Einrichtung allerdings vorläufig geschlossen.
Nicolas Perrenoud, Hilfsorganisation "One Happy Family":
"Wir haben das kurz vor Weihnachten gemacht: Was ihr größter Wunsch ist? "That Europe remebers, its human rights." Ja, der Wunsch nach Wärme. "I wish for more heaters". Es ärgert mich schon, weil man sich einfach hilflos fühlt und sich dann fragt, ist der Rechtsstaat nicht mehr gegeben? Es schaut so aus, als sei die rechtliche Ordnung teilweise nicht mehr da, die staatliche Ordnung. Weil gewisse Gruppierungen einfach machen können, was sie wollen, jeden Ausländer kontrollieren und quasi eine Art Bürgerwehr. Und es scheint, dass momentan niemand was dagegen unternehmen kann. Die Insel ist wie gelähmt, und das ärgert einen schon, weil man will ja positiv was bewirken und momentan wird man daran gehindert."
Noch wissen Nicolas Perrenoud und seine Kolleginnen nicht, wann sie wieder öffnen können. Die Flüchtlinge auf Lesbos sind auf solche Orte angewiesen, denn es gibt kaum Alternativen. Viele verbringen deshalb den Tag in der Hauptstadt Mytilini.
Said, Geflüchteter aus Somalia:
"Die Griechen sind gute Menschen, sie helfen den Flüchtlingen."
Ali, Geflüchteter aus Afghanistan:
"Sie haben Respekt vor uns und wir respektieren die Griechen. Sie sind nicht böse. Sie sind gute Menschen."
Die Sympathie beruht nicht immer auf Gegenseitigkeit. Viele Unternehmer klagen über Einnahmeverluste.
Adamandios Saragoglou, Hotel Orfeas, Mytilini:
"Wenn das Inselleben nicht richtig funktioniert, betrifft das alle. Mit dem Tourismus hat es in der Vergangenheit immer funktioniert. Aber jetzt sind 50 Prozent der Hotels geschlossen und das ist ein ernsthaftes Problem. Auch weil es nicht mehr so sicher ist wie früher."
Die griechische Regierung versucht zu deeskalieren, schickt die 400 Flüchtlinge, die seit dem 1. März auf Lesbos angekommen sind, mit einem Marineschiff aufs Festland. Von dort aus sollen sie in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Einen Monat lang darf in Griechenland niemand Asyl beantragen. Das Asylrecht ist ausgesetzt. Der Grünen-Politiker Erik Marquardt ist seit über einer Woche auf Lesbos, um die Flüchtlingssituation und die rassistischen Übergriffe zu dokumentieren. Auch er wird bedroht. Deshalb will er nicht, dass wir seinen Wohnort zeigen.
Erik Marquardt, EU-Abgeordneter, B‘90/Grüne:
"Das ist wirklich tragisch, dass wir hier angesichts einer eigentlich leicht lösbaren Herausforderung in Panik verfallen, in eine krisenhafte Stimmung verfallen, Bilder sehen, als wären wir im Bürgerkrieg, obwohl das ja keine Waffen sind, die hier auf Europa zuwandern, sondern Menschen. Es sind ja wirklich nicht Millionen Leute, die hier gerade auf dem Weg nach Europa sind, sondern wir haben eine überschaubare Anzahl von Menschen an der Landgrenze. Wir haben einige Boote, die auf den griechischen Inseln angekommen sind, und man muss jetzt schnell auch Kontingente festlegen, die Menschen umverteilen und dafür sorgen, dass hier keine krisenhafte Stimmung entsteht. Denn genau das ist, was Erdoğan von der Europäischen Union mit seinem Erpressungsversuch erreichen wollte."
Die EU will Griechenland nun mit Geld helfen. 700 Millionen für den Grenzschutz und Migrationsmanagement. Diese Probleme mit Geld lösen zu wollen, davon hält Christina Chatzidaki gar nichts. Die Griechin ist auf Lesbos geboren und arbeitet seit mehr als 20 Jahren mit Geflüchteten.
Christina Chatzidaki, freiwillige Helferin seit 1998:
"Nimm dein Geld zurück, Europa! Wir wollen deine Millionen nicht. Wir wollen, dass du etwas unternimmst! Hier sind Menschen ertrunken. Wir haben gesehen, wie Leichen angespült wurden. Die Faschisten bekommen Zulauf. Wir haben eine Art Depression, das muss man verstehen. Es ist die Insel, die wir lieben und sie ist in dieser Situation!"