LGBTI-Rechte Diese Länder sind modern und progressiv

"Save our Community, Save our Pride", war das Motto der Berlin Pride 2020
Foto: M. Czapski / imago images
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.
Südafrika erlaubt sie als einziges Land in Afrika, Taiwan als einziges Land in Asien: die gleichgeschlechtliche Ehe, die in vielen Regionen der Welt noch ein Tabuthema ist. Wenn Staaten die Ehe für Homosexuelle öffnen wollen, diskutiert die Bevölkerung meist heftig. Die einen befürworten die Gesetzesänderung, andere halten weiterhin am traditionellen Familienbild fest.
Und auch wenn die Regelung einmal beschlossen ist, kehrt häufig noch keine Ruhe ein. So kann das Jawort für gleichgeschlechtliche Paare Gesellschaften spalten, wie in Taiwan, wo es im Wahlkampf Anfang des Jahres zu einem kontroversen Thema wurde.
Zwischen 1999 und 2019 konnten sich Lesben, Schwule und ihre Unterstützer immerhin in 21 Ländern der OECD durchsetzen und sich das Recht erstreiten zu heiraten. Zudem ist die gleichgeschlechtliche Ehe in acht Nicht-OECD-Staaten erlaubt. Damit haben homosexuelle Paare in 29 Länder weltweit diese Möglichkeit.
In einer aktuellen OECD-Studie überprüften die Autoren nun in insgesamt 15 Kategorien, wie und wo Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle mit Heterosexuellen vor dem Gesetz gleichgestellt sind. Dafür haben sie für jedes Land eine Prozentzahl gebildet, die den Umfang der Gleichberechtigung abbildet. Das Ergebnis: Vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die rechtliche Situation der LGBTI-Gemeinschaft in allen untersuchten Ländern verbessert.
Kanada schneidet dabei am besten ab, die Türkei am schlechtesten. Deutschland steht im OECD-Vergleich an sechster Stelle.
Die Studie der OECD untersuchte 35 der 37 Mitgliedsländer. Kolumbien war zur Untersuchungszeit noch kein OECD-Mitglied, Ungarn entschied sich, nicht an der Analyse teilzunehmen. Zum Stichtag des 30. Juni 2019 musste ein Gesetz in Kraft sein, um in die Ergebnisse einzufließen.
Als Grundlage bildeten die Wissenschaftler 15 Kategorien. Jedes Land kann für jede Kategorie einen Wert zwischen 0 Prozent und 100 Prozent erreichen. In manchen Rubriken können nur die beiden Randwerte auftreten, zum Beispiel weil es im Land eine dritte Geschlechtsoption gibt oder eben nicht. In anderen Kategorien sind Abstufungen möglich, je nachdem, ob das Recht nur in manchen Lebensbereichen gilt oder in der Verfassung verankert ist.
Außerdem untergliedern sich die Kategorien in mehrere Gruppen: Die allgemeinen Bestimmungen sind insgesamt für die Gleichberechtigung relevant, etwa der Schutz vor Diskriminierung und Gewalt. Gruppenspezifische Bestimmungen sind nur für Teile der LGBTI-Gemeinschaft wichtig, beispielsweise Adoptionsrechte oder das Verbot, Transgender als Geisteskranke einzustufen.
Für die 35 untersuchten Länder ergibt sich ein durchschnittlicher Wert von 53 Prozent - dieser Anteil war 2019 auf dem Weg zur vollständigen Gleichberechtigung erreicht. Keines dieser Länder schränkt die Bürgerrechte für LGBTI ein, wie zum Beispiel die Meinungsfreiheit oder das Recht zur friedlichen Versammlung. Dennoch weist die Studie darauf hin, dass Behörden manchmal Barrieren errichten, die etwa die Organisation von Paraden oder den Zugang zu Finanzmitteln für LGBTI-Menschenrechtsverbände erschweren.
Die sogenannte Konversionstherapie ist hingegen bisher nur in sehr wenigen Ländern verboten. Diese vermeintliche Therapie hat das Ziel, die sexuelle Orientierung eines Homosexuellen in heterosexuell zu ändern, da sogenannte Heiler davon ausgehen, Homosexualität sei eine Störung oder eine Krankheit - obwohl Studien längst zeigen, dass solche Sitzungen vielmehr zu gesundheitlichen Schäden führen können. Konversionstherapien sind zum Zeitpunkt der OECD-Untersuchung nur in drei Mitgliedsländern für Minderjährige untersagt und dort auch nur in einzelnen Landesteilen - in Kanada, Spanien und den USA. Deutschland reiht sich seit 2020 ein.
Auch OECD-Länder, die bereits besser dastehen als andere, weisen Lücken in der Gleichberechtigung auf. Selbst Kanada, Portugal und Frankreich, die am besten abschneiden, könnten laut den Autoren noch bei den Rechten für Transgender zulegen, das heißt verstärkt Personen berücksichtigen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen nach der Geburt zugeschrieben wurde. Außerdem werden häufig Intersexuelle benachteiligt, die sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale besitzen.
Seit 2009 versuchen aber auch hier Staaten zunehmend, diese Gruppen wahrzunehmen und einzubeziehen. So ist es laut der Studie für Transgender in OECD-Ländern mittlerweile fast überall möglich, ihren Geschlechtseintrag in offiziellen Dokumenten ändern zu lassen.
Die vollständige Gleichberechtigung der LGBTI-Gemeinschaft sei jedoch noch lange nicht erreicht. Hinzu kommt: Ein Gesetz ist nur der erste Schritt. Im Alltag kann es weiterhin zu Diskriminierung kommen. Manchmal müssen auch Gerichte den Anstoß für eine rechtliche Regelung geben.
So entschied der Oberste Gerichtshof der USA Mitte Juni 2020, dass das Diskriminierungsverbot auch auf die Merkmale Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung auszuweiten ist. Zuvor bestand für Arbeitnehmer die Gefahr, nach ihrem Outing gekündigt zu werden. Das Urteil wurde als Niederlage für US-Präsident Donald Trump gewertet, der immer wieder Entscheidungen gegen die Interessen der LGBTI-Gemeinschaft trifft und Regelungen der vergangenen Jahre zurücknimmt.
Für 2019 zählte die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) , der Dachverband weltweiter LGBTI-Organisationen, mehr als 120 Länder, in denen einvernehmlich gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen erlaubt sind, vorwiegend in Europa und Amerika. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass in rund einem Drittel aller Staaten weltweit gleichgeschlechtliche Handlungen weiterhin illegal sind.
Im afrikanischen Uganda beispielsweise droht Homosexuellen bis zu 14 Jahre Haft. Aus Angst vor Gewalt führen die Betroffenen häufig ein Leben im Schatten der Gesellschaft. Erst vergangenes Jahr diskutierten Politiker erneut über die Einführung der Todesstrafe für sexuelle Minderheiten. In zwölf anderen Ländern droht Homosexuellen bereits die Todesstrafe.
Obwohl Europa in vielen Kategorien überdurchschnittlich gut dasteht, gibt es auch hier regionale Ausreißer. Für Michael Roth (SPD), Europastaatsminister im Auswärtigen Amt, ist es "schlicht inakzeptabel", wenn in der Europäischen Union Wahlkampf "auf dem Rücken" sexueller Minderheiten stattfindet. Er bezog sich damit auch auf die "LGBTI-Ideologie-freien-Zonen", die vor allem Lokalregierungen im Osten Polens ausgerufen haben. Zudem kündigte der wiedergewählte Präsident Andrzej Duda bei einem Wahlkampfauftritt zur Stichwahl an, eine Verfassungsänderung einbringen zu wollen, um die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare auszuschließen.
Als weitere Maßnahmen neben neuen Gesetzen halten die Wissenschaftler der OECD-Studie mehr Aufklärung an Schulen für wichtig. Schottland will nun vorlegen: Ab 2021 sollen staatliche Schulen verstärkt die Geschichte der LGBTI-Bewegung unterrichten, Lehrkräfte sollen den Kindern dabei helfen, Homo-, Bi- sowie Transphobie zu erkennen.
In Deutschland sehen die Lehrpläne hierzu bisher sehr wenig vor. "Zu vereinzelt, zu zufällig" werde auf LGBTI-Unterrichtsangebote zurückgegriffen, findet Marcus Heyn vom Bundesverband Queere Bildung. Er hält es für sinnvoll, die Fragen der Schüler schon frühzeitig aufzugreifen, wenn sie sie von selbst stellen. Dies könnte die Offenheit der Gesellschaft auch im Alltag voranbringen.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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