Marylize Buibwa: »Fuck it!«

Marylize Buibwa: »Fuck it!«

Foto: Kang-Chun Cheng / DER SPIEGEL

Kampf der LGBTQ-Community in Ostafrika »Wir haben immer gesagt: Es ist schlimm, aber fuck it!«

In Ostafrika eskaliert die Stimmung gegen Schwule, Lesben und trans Personen. Der SPIEGEL hat in Kenia Menschen getroffen, die sich nicht verstecken wollen – auch wenn ihr Leben auf dem Spiel steht.
Aus Nairobi, Kenia, berichten Asha Jaffar und Heiner Hoffmann
Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

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Die unzähligen kleinen Geschäfte sind geschlossen, die Rolltore aus Metall zugezogen, auf dem Gehweg fläzen ein paar Wachleute gelangweilt auf Plastikstühlen, ab und zu fährt ein Motorradtaxi vorbei. Es ist Sonntag, die Gegend in Nairobi weitgehend verwaist. Nur aus einem grauen Bürogebäude dringt Musik, eine Gitarre, ein Schlagzeug, ein dünn besetzter Chor ist zu hören.

Eine enge Treppe führt hinauf in den obersten Stock, hinter einer schweren Metalltür ohne Schild werden die Gospelklänge lauter. Wenn das Wort Paralleluniversum irgendwo zutrifft, dann hier in der Cosmopolitan Affirming Church. »Celebrate queer love« steht unter einem gold-weißen Herz aus Luftballons. Ein Pastor, er nennt sich nur G., zitiert Bibelstellen, die seine Kolleginnen und Kollegen in den anderen Kirchen des Landes auch predigen. Bibelstellen, die sonst als Beleg genutzt werden, dass Gott Homosexualität verurteilt. Allerdings hat Pastor G. eine andere Botschaft: »Auch Schwule und Lesben sind gute Christen! Gott liebt uns alle!«

»Celebrate Queer Love« - Dekoration in der Cosmopolitan Affirmative Church

»Celebrate Queer Love« - Dekoration in der Cosmopolitan Affirmative Church

Foto: Kang-Chun Cheng / DER SPIEGEL

Jeden Sonntag trifft sich die LGBTQ-Community von Nairobi hier in dem unscheinbaren, heruntergekommenen Gebäude, dessen genaue Lage auch der SPIEGEL nicht beschreiben darf. Durch die trüben Fenster blickt man auf Metallschrott, die im Innenhof vor sich hin rotten. Es ist einer der letzten Zufluchtsorte schwul-lesbischen Lebens in Kenia. Doch selbst hierhin trauen sich nur noch wenige, nur etwas mehr als ein Dutzend Besucherinnen und Besucher sind heute gekommen, normalerweise sind es mindestens doppelt so viele.

In den vergangenen Wochen hat der homophobe Hass in Ostafrika eine neue Dimension erreicht. Im ugandischen Parlament wurde am Dienstagabend ein neues Gesetz verabschiedet, das jede Art von Outing unter drakonische Strafe stellt. Schwule und Lesben leben derzeit in Angst, zuletzt kam es vermehrt zu körperlichen Angriffen und Drohungen gegen Mitglieder der LGBTQ-Community.

Und auch in Kenia eskaliert die Lage, allerdings aus einem anderen Grund: Vor drei Wochen gelang einem schwul-lesbischen Interessenverband ein großer juristischer Erfolg. Der Oberste Gerichtshof hat es der Gruppe nach jahrelangem Rechtsstreit erlaubt, sich offiziell als Nichtregierungsorganisation zu registrieren. Doch die Freude hielt nur kurz, schnell schlug die Stimmung um, immer mehr Politikerinnen und Politiker tun sich seither mit homophoben Kommentaren hervor. Mit solchen Aussagen kann man bei der religiös geprägten Bevölkerung leicht Punkte machen – und von anderen drängenden Problemen ablenken.

Eigentlich ein Ort der Sicherheit, doch selbst hierher trauen sich immer weniger Menschen

Eigentlich ein Ort der Sicherheit, doch selbst hierher trauen sich immer weniger Menschen

Foto: Kang-Chun Cheng / DER SPIEGEL

Präsident William Ruto: »Ich werde das in Kenia nicht tolerieren. Wir haben unsere Kultur und unsere Traditionen. Wir können nicht zulassen, dass Frauen andere Frauen heiraten oder Männer andere Männer. Das wird unter meiner Führung nicht geschehen.«

Noch krasser formulierte es der Vizepräsident Rigathi Gachagua: »Das sind satanische Bräuche, die wollen wir hier nicht.«

First Lady Rachel Ruto hat unterdessen zu landesweiten Gebeten gegen Homosexualität aufgerufen, »um die Familie aus Mann und Frau zu schützen, die derzeit angegriffen wird«.

Pastor G.

»Ich habe schon viel gelitten wegen meines Engagements. Manchmal weine ich. Früher war ich in einer Mainstream-Kirche angestellt. Dort musste ich mitanhören, wie meine Mitpastoren gegen Homosexuelle gehetzt haben. Ich begann mich zu fragen: Warum arbeite ich so hart für eine Institution, die mich lieber tot sehen will? Irgendwann verlor ich wegen dieser Zweifel meinen Job. Ich hatte ein materiell luxuriöses Leben, all das war plötzlich weg.

Ich wurde von vielen Mitmenschen verspottet und beschimpft, wollte mir sogar das Leben nehmen, doch nun kämpfe ich weiter. Die Leute sagen manchmal ihren Kindern, dass sie mir nicht zu nahekommen sollen. Ich unterstütze Bedürftige, spende für sie. Dann heißt es oft: Dieser Typ hat schmutziges Geld. Es ist schwules Geld, das nehmen wir nicht. Ich habe meinen Ruf verloren, ich habe einen Teil meiner Familie verloren. Aber meinen Verstand werde ich nicht aufgeben. Heute habe ich keine Angst mehr, weil ich kaum noch etwas zu verlieren habe. Und eines bleibt uns: Wir haben mit unserer Kirche einen Raum, in dem wir wir selbst sein können.«

In der CAC gibt es auch Heilsitzungen, in denen über Traumata gesprochen wird

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Foto: Kang-Chun Cheng / DER SPIEGEL

Caroline Omolo, Co-Pastorin und Mitgründerin der CAC

»Wir haben früher Videos vom Gottesdienst online gestellt. Aber einige Leute wurden darauf identifiziert und dann angegriffen. Die Besucherinnen und Besucher haben ihren Job verloren, weil sie in unserem Chor gesungen haben. Also haben wir aufgehört, Videos zu posten. Wenn wir Fotos machen, dann nur noch ohne Gesichter.

Wir müssen sehr genau auf unsere Sicherheit achten. Wir sind in zehn Jahren neunmal umgezogen. Am ersten Standort wurden wir angegriffen, Nachbarn sind eingebrochen, haben die Tür kaputt geschlagen. Bevor wir hierher kamen, hatten wir eine tolle Location. Es gab dort sogar einen Garten, wir haben Gemüse angebaut. Die Leute konnten sich entspannen. Aber irgendwann beschwerten sich die Nachbarn, dass wir unerwünschte Menschen beherbergen würden, illegale Menschen. Das war wirklich traumatisierend für mich.

Seit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs ist es noch viel schlimmer geworden, drei unserer Mitglieder sind bereits tätlich auf der Straße, auf dem Weg nach Hause, angegriffen worden. Ich habe solche Angst, dass diese Attacken überhandnehmen. Sie drohen den Leuten: Wir wissen, wo du wohnst, wir werden dich holen. Es kommen immer weniger Menschen zum Gottesdienst, sie sagen uns: Ich bleibe lieber in meiner Wohnung, als in die Kirche zu gehen und überfallen zu werden.«

Einige in der LGBTQ-Community in Kenia fragen sich nun: War es das Urteil wert? Hat der Erfolg vor Gericht am Ende nicht mehr Schaden angerichtet? Denn in den vergangenen Jahren war es vergleichsweise still um das Thema, unter dem Radar konnten einige Freiräume entstehen, regelmäßige Treffen stattfinden. Im September 2022 nach dem Thema gefragt, antwortete Präsident William Ruto noch, es gebe wichtigere Dinge im Land: »Wir wollen aus einer Mücke keinen Elefanten machen.«

Auch Marylize Biubwa ist zur Kirche gekommen. Nicht, weil sie gläubig ist, »im Gegenteil«, wie sie mit fester Stimme sagt. Sondern weil es für sie der einzig verbliebene sichere Ort ist, um ein Interview mit dem SPIEGEL zu führen. Dabei versteckt sich die 32-Jährige normalerweise nicht. Am Handgelenk trägt sie ein Regenbogenarmband, auch in ihre schwarze Wollmütze sind die Farben des Regenbogens gestickt.

Marylize Biubwa, lesbische Aktivistin

»Vielleicht ist es schräg, aber normalerweise sage ich, wenn ich einen Raum betrete, zuerst: Ich bin Marylize und ich bin lesbisch. Dann warte ich die Reaktionen ab. Aber in letzter Zeit kann ich das nicht mehr tun, weil man nie weiß, was passiert. Seit dem Urteil sprechen alle über LGBTQ. Und die Situation ist seit einigen Wochen sehr, sehr beängstigend.

Selbst in meiner eigenen Wohnung fühle ich mich nicht mehr sicher. Es vergeht kein Tag, an dem ich keine Drohungen erhalte. Kürzlich schickte mir ein Mann eine Nachricht: Du verdienst es nicht, auf dieser Welt zu sein. Wie kannst du Männern nur all deine Schönheit vorenthalten? Dann gibt es noch die direkten Drohungen auf der Straße, wie vor zwei Tagen, als ich Regenbogenfarben anhatte und durch die Stadt ging. Da standen ein paar Männer rum, die haben mich angeschrien: Da sind sie, die Regenbogen-Leute.Immerhin haben sie mich nicht betatscht, auch das kommt vor.

Meine Familie hat mich verstoßen. Manchmal fühle ich mich, als hätten mich alle aufgegeben. Meine Mutter sagte zu mir: Ich habe so ein Ding wie dich nicht zur Welt gebracht. Du darfst erst wieder nach Hause kommen, wenn du nicht mehr lesbisch bist. Aber ich habe ihnen gesagt, dass mein Queer-Sein nicht verhandelbar ist. Aufgeben ist keine Option.

Ich weiß, dass manche Leute in der Community sagen, es sei viel sicherer und einfacher, wenn niemand über uns spricht. Ich kann das verstehen. Aber die Frauenbewegung konnte auch nur etwas erreichen, weil sie Lärm gemacht hat. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir queeren Kenianerinnen und Kenianer uns schon gegen so viele Widerstände durchgesetzt haben. Wir haben immer gesagt: Es ist schlimm, aber fuck it!«

Die Freiräume werden enger: LGBTQ-Community in Ostafrika

Die Freiräume werden enger: LGBTQ-Community in Ostafrika

Foto: Kang-Chun Cheng / DER SPIEGEL

Der kenianische Bildungsminister spricht inzwischen von einer angeblichen »Infiltration« der Schulen mit LGBTQ-Gedankengut – und will Gesandte der Kirche an Bildungseinrichtungen schicken, als konservative Moralapostel. Die Anglikanischen Kirchen von Uganda und Kenia erwägen gar eine Abspaltung von der Mutterkirche in England, weil die gleichgeschlechtlichen Paare den Segen aussprechen will.

Und in Tansania haben Behörden das beliebte Kinder- und Jugendbuch »The Diary of a Wimpy Kid« aus den Schulen verbannt, weil es angeblich »kulturelle Normen« verletze, also offenkundig die heterosexuelle Familie.

Viele Aktivistinnen und Aktivisten sehen sich von diesem Klima in der Region bedroht, einige sind umgezogen, viele verstecken sich. Arya Karijo lebt seit mehr als vier Jahren als trans Frau, aus Sicherheitsgründen nie länger als ein paar Monate am selben Ort. Anfang März ist sie wegen der homophober werdenden Stimmung aus Nairobi weggezogen, in einen touristisch geprägten Küstenort, dort könne sie sich freier bewegen, sagt sie.

»Wir stecken in einer Krise« – Arya Karijo

»Wir stecken in einer Krise« – Arya Karijo

Foto: Privat

Arya Karijo, trans Frau

»Es fühlt sich so an, als würde unser Leben gerade unter ein Mikroskop gehalten. In den vergangenen zwei, drei Jahren konnte ich oft unbemerkt bleiben, manchmal wurde ich zum Ziel von Hohn und Spott. Aber jetzt bleibt es nicht mehr bei dummen Witzen, sondern es kommt zur Gewalt. Das Traurigste ist, dass diese Stimmung von unserer Regierung vorangetrieben wird. Es ist eine Hasskampagne, die da läuft. Das ist nicht die Form von Sichtbarkeit, die wir uns wünschen. Sie gefährdet unser Leben.

Viele Leute behaupten, LGBTQ sei unafrikanisch. Das ist doch lächerlich. Bevor die Kolonialherren nach Afrika kamen, gab es Formen der gleichgeschlechtlichen Ehe, vor allem unter Frauen. Die Kolonisatoren wollten das verhindern und kontrollieren, deswegen haben sie Gesetze dagegen erlassen. Und wenn mir jetzt jemand sagt, du bist unafrikanisch, dann hat er keine Ahnung von unserer Kultur.

Die Frage ist: Wo sollen wir jetzt hin? Aufs Land zu fliehen, ist nicht so einfach, schließlich ist dort die soziale Kontrolle noch größer. Meine Mutter hat mich neulich sehr besorgt angerufen. Sie akzeptiert mich als trans Frau nicht, aber sie hat gefragt: Was wird jetzt mit dir passieren? Viele von uns sitzen fest, wir können nirgendwo hingehen, auswandern ist schwierig und teuer.

Wenn die Regierungen jetzt also sagen, dass sie LGBTQ-Menschen in Afrika nicht haben wollen, heißt das: Wir sollen nicht existieren. Denn wir können ja nicht einfach weg. Sollen wir also getötet werden? Wir müssen den Betroffenen in Kenia helfen, gleichzeitig gibt es aber einen großen Zustrom von queeren Flüchtlingen aus Uganda, weil die Lage dort noch schlimmer ist. In Tansania sieht es nicht besser aus, es ist ein regionales Problem. Diese Gemengelage überfordert uns gerade, aber wir geben nicht auf.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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