Neuer Premierminister im Libanon Mann der alten Eliten

Ungewohnt schnell hat die politische Klasse im Libanon Mustafa Adib als neuen Regierungschef nominiert. Aber die Bevölkerung steht nicht hinter dem Ex-Botschafter in Deutschland, ein Neuanfang wird ihm nicht zugetraut.
Aus Beirut berichtet Thore Schröder
Der 48-jährige Diplomat Mustafa Adib soll neuer Premier im Libanon werden: "Zeit der Arbeit"

Der 48-jährige Diplomat Mustafa Adib soll neuer Premier im Libanon werden: "Zeit der Arbeit"

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NABIL MOUNZER/EPA-EFE/Shutterstock

Normalerweise dauert der Prozess Tage oder Wochen. Hinter verschlossenen Türen palavern die Vertreter von Konfessionen, Clans und Parteien, bis feststeht, wer Premierminister des Landes wird. Doch diesmal ging alles ganz schnell: Am Montag einigte sich das Beiruter Establishment auf den 48-jährigen Diplomaten Mustafa Adib. Der Sunnit - die Verfassung sieht einen Vertreter dieser Konfession als Regierungschef vor – war zuvor sieben Jahre Botschafter in Deutschland gewesen. 90 von 120 Parlamentsabgeordneten konnten sich auf ihn verständigen, darunter alle großen Blöcke auch die Zukunftsbewegung von Ex-Premier Saad Hariri sowie die Hisbollah.

Mustafa Adib als Botschafter bei Bundespräsident Joachim Gauck (2013)

Mustafa Adib als Botschafter bei Bundespräsident Joachim Gauck (2013)

Foto: Wolfgang Kumm / picture alliance / dpa

Eile war geboten, denn nicht erst seit der Explosion im Beiruter Hafen vor rund vier Wochen steht der Libanon vor dem Ruin: Die Auslandsschulden beliefen sich schon im Frühjahr auf 90 Milliarden Dollar, das sind 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die libanesische Lira hatte seit 2018 mehr als 80 Prozent an Wert verloren. Am Montag veröffentlichte die Weltbank Schätzungen, wonach sich die ökonomischen Schäden der Detonation mit mindestens 190 Toten und mehr als 6500 Verletzten auf insgesamt bis zu 7,8 Milliarden Dollar belaufen. Das Land benötigt bis Ende des Jahres bis zu 760 Millionen Dollar allein an Nothilfe.

Adib verspricht Regierungsbildung "in Rekordzeit"

Deutsche Gesprächspartner äußern sich durchaus wohlwollend über Adib: Er sei in der Bundesrepublik und Europa gut vernetzt, man habe mit ihm eng zusammengearbeitet. In seiner ersten Rede nach der Nominierung versprach Mustafa Adib, "in Rekordzeit" eine Regierung zu bilden, Reformen durchzuführen und einen Deal mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abzuschließen: "Es ist jetzt nicht die Zeit für Gerede und Versprechen, es ist jetzt die Zeit der Arbeit gekommen."

Diese Worte klingen wie ein Echo der Mahnungen von Emmanuel Macron. Der französische Präsident war zwei Tage nach der verheerenden Explosion vom 4. August nach Beirut gekommen, hatte Reformen gefordert und sich dann an die Spitze einer internationalen Hilfskoalition gestellt.

Emmanuel Macron besuchte schon zwei Tage nach der Explosion Beirut

Emmanuel Macron besuchte schon zwei Tage nach der Explosion Beirut

Foto: Pool/ABACA/ ddp/abaca press

Doch es ist unwahrscheinlich, dass Adib Wort halten kann und will. Für den Demokratieaktivisten Hussein al-Achi gibt es zwischen dem neuen Premier und seinem gescheiterten Vorgänger, Hassan Diab, kaum einen Unterschied: "Beide haben keine Legitimation von der Bevölkerung, beiden fehlt der Charakter eines Reformers. Dabei muss man im Libanon jetzt den etablierten Kräften nicht nur auf die Füße treten, man muss ihnen auf den Köpfen herumtrampeln, um etwas zu erreichen." Der Energiesektor des Landes und die Finanzordnung müssten dringend überholt, vor allem aber der Staat handlungsfähig gemacht werden. Er ist seit Jahrzehnten durch ein kompliziertes System des Ausgleichs zwischen den Konfessionen gelähmt.

"Man muss den etablierten Kräften nicht nur auf die Füße treten, man muss ihnen auf den Köpfen herumtrampeln"

Hussein al-Achi, Demokratieaktivist

Noch am Montag besuchte der designierte Premier die bei der Explosion besonders stark zerstörten Stadtteile Gemmayze und Mar Mikhael – und lernte den Volkszorn kennen: Schimpfende Anwohner forderten "den Sturz des Systems", das in ihren Augen kaum einer Demokratie ähnelt.

Ein Premier im Sinne der Hisbollah

Kristof Kleemann, Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Beirut, sagt: "Dass die Entscheidung, wer Premier wird, hinter verschlossenen Türen zwischen den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft ausgekungelt wird, zeigt erneut die komplette Intransparenz der libanesischen Politik." Mustafa Adib war von einem informellen Gremium vorheriger Premiers ausgewählt worden. Einer von ihnen ist Najib Mikati, der als Gewährsmann der Hisbollah gilt. Die Schiiten-Organisation unterhält im Libanon eine Art Staat im Staate. Dessen Kernstück ist die der regulären Armee weit überlegene Hisbollah-Miliz. Faktisch hat die Truppe im Libanon ein Vetorecht bei politischen Entscheidungen.

"Den Parteien geht es um die Rückkehr zum Status quo ante, vor dem Start der Revolution im Oktober und vor der Explosion", sagt Lokman Slim, ein Verleger und politischer Aktivist, der seit Jahrzehnten das Dokumentationszentrum Umam mitten im von der Hisbollah dominierten Süden Beiruts unterhält. "Mit Adib hat die Hisbollah wieder einen schwachen sunnitischen Premier, der all ihre Missetaten deckt", sagt Slim. Die Partei und ihre Miliz habe kaum das Wohl der libanesischen Bevölkerung im Auge, sondern vertrete vor allem die Interessen Irans.

Auch Frankreichs Präsident Macron bekräftigte seine Forderung nach Reformen bei seinem zweiten Besuch in Beirut seit der Explosion: Anlass ist offiziell der 100. Jahrestag der Ausrufung des modernen libanesischen Staates. Treffen mit der Sängerin Fairoz und seinem Amtskollegen Michel Aoun standen auf dem Plan, zudem kündigte er an, im Oktober eine Hilfskonferenz für den Libanon auszurichten. Doch darf der Besuch durchaus als Mahnung verstanden werden. Die nächsten sechs Wochen seien für den Libanon von "entscheidender Bedeutung". "Das ist die letzte Chance für dieses System", sagte Macron in einem Interview mit der Website Politico.

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