Libanon Sechs Tote bei Ausschreitungen in Beirut

Demonstration in Beirut: »inakzeptabel, zur Sprache der Waffen zurückzukehren«
Foto:Marwan Naamani / dpa
Im Libanon sind die Spannungen rund um die Ermittlungen zur Explosionskatastrophe von Beirut eskaliert: Bei einer Demonstration gegen den mit den Ermittlungen beauftragten Richter in der Hauptstadt Beirut wurden am Donnerstag nach Angaben von Innenminister Bassam Maulawi sechs Menschen getötet. Scharfschützen feuerten von Wohnhäusern aus auf die von den schiitischen Bewegungen Hisbollah und Amal organisierte Kundgebung, wie AFP-Journalisten vor Ort berichteten.
Kurz nach den ersten Schüssen stürmten zahlreiche bewaffnete Männer – viele von ihnen mit Hisbollah- oder Amal-Armbinden – an den Ort des Geschehens und schossen mit AK-47-Sturmgewehren und Panzerfäusten zurück. Insgesamt wurden bei den Auseinandersetzungen nach Angaben des Gesundheitsministeriums 32 Menschen verletzt.
Die genauen Hintergründe des Gewaltausbruchs sind jedoch unklar. Insbesondere die Identität der Hisbollah-Gegner ist nicht bekannt. Die beiden schiitischen Bewegungen machten die Libanesischen Kräfte, eine christliche Bewegung, verantwortlich. Diese wies die Vorwürfe jedoch zurück.
Erste Festnahmen – Präsident mahnt zur Ruhe
Über mehrere Stunden hinweg waren unweit des Justizpalasts, vor dem sich Hunderte Demonstranten versammelt hatten, Schüsse und Explosionen zu hören. Das Militär entsandte Panzer und riegelte das Viertel Tajuneh ab. »Neun Personen beider Seiten« seien festgenommen worden, darunter ein Syrer, teilte die Armee später mit.
Präsident Michel Aoun rief in einer Fernsehansprache zur Ruhe auf. Es sei »inakzeptabel, zur Sprache der Waffen zurückzukehren, weil wir uns alle darauf geeinigt haben, dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte hinter uns zu lassen«, sagte er in Anspielung auf den Bürgerkrieg von 1975 bis 1990. Aoun ist Christ, gilt aber als Verbündeter der Hisbollah. Für Freitag ordnete die Regierung einen nationalen Trauertag an.
Die Hisbollah will wie die Amal-Bewegung die Entlassung des Richters Tarek Bitar erreichen, der mit der Untersuchung der Explosion vom August 2020 im Hafen von Beirut betraut ist. Der Konflikt hat zu einer tiefen Spaltung der Regierung zwischen Befürwortern und Gegnern des Richters geführt.
Bitar hatte seine Ermittlungen am Dienstag zum zweiten Mal innerhalb eines Monats unterbrechen müssen. Anlass war eine Klage zweier der Amal-Bewegung angehörenden Ex-Minister, die der Richter wegen des Verdachts auf Fahrlässigkeit einbestellt hatte. An diesem Donnerstag entschied das Kassationsgericht dann aber, dass Bitar seine Ermittlungen fortsetzen kann.
Justiz »muss unabhängig und unparteiisch arbeiten«
Die Uno-Beauftragte für den Libanon, Joanna Wronecka, forderte alle Beteiligten auf, »die Unabhängigkeit der Justiz im Interesse der Bevölkerung zu unterstützen«. Auch die französische Regierung mahnte, die Justiz müsse »unabhängig und unparteiisch arbeiten« können.
Ähnlich äußerte sich Ned Price, Sprecher des US-Außenministeriums. »Die Zukunft der libanesischen Demokratie hängt von der Fähigkeit der Bürger ab, schwierige Fragen im Vertrauen auf die Rechtsstaatlichkeit anzugehen«, sagte er.
Am 4. August 2020 waren im Hafen von Beirut hunderte Tonnen falsch gelagertes Ammoniumnitrat detoniert. Die Explosion machte ganze Stadtteile der libanesischen Hauptstadt dem Erdboden gleich, mehr als 200 Menschen wurden getötet.