Inflation, Armut und medizinische Not im Libanon Wo selbst das Internet unbezahlbar geworden ist
Anfang Juli in Beirut. Eid al-Adha, das islamische Opferfest, steht vor der Tür. Es ist für die Muslime im Libanon eigentlich ein Grund zu feiern. Bei dem viertägigen Fest werden traditionell Tiere geschlachtet, ihr Fleisch mit Bedürftigen geteilt. Doch in diesem Jahr können sich viele diese wichtige Tradition nicht mehr leisten.
Makhaber Hassan, Metzger:
»Es wird Tag für Tag schlimmer. Die Menschen kaufen immer weniger. Der Preis für ein Schaf steigt jeden Tag, alles wird immer teurer. Wenn ich heute ein Schaf kaufen will, kostet es umgerechnet 250 US-Dollar. Das ist sehr viel für einen Angestellten, der nur einen Bruchteil davon jeden Monat verdient und dessen Lebensbedingungen eh schon schlecht sind.«
Die steigenden Preise für Lebensmittel und Energie treffen die Menschen im Libanon hart. Seit Ende 2019 erleben sie einen beispiellosen Zusammenbruch der Wirtschaft. Das Land litt jahrelang unter einem Bürgerkrieg, Misswirtschaft und Korruption, dann kam die Coronapandemie. Mittlerweile hat die Währung im Land 95 Prozent ihres Werts eingebüßt. Die Inflation lag 2021 bei über 150 Prozent.
Eine eh schon verletzliche Gruppe im Land trifft die Krise besonders: Hunderttausende Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, vor allem aus Subsahara-Afrika und Südostasien, leben und arbeiten in dem kleinen arabischen Land – meist als Hausangestellte, Müllmänner und Putzfrauen.
Noel Musanga ist eine von ihnen. Die freiberufliche Gastarbeiterin aus Kenia verdient kaum genug zum Überleben. Jetzt trifft sie eine neue Kostensteigerung: Ihr Internetanschluss ist unbezahlbar geworden.
Noel Musanga, Gastarbeiterin:
»Vor Corona waren die Internetpreise noch gut. Doch seit diesem Jahr sind sie gestiegen. Vergangenen Monat haben wir umgerechnet fast 200 US-Dollar im Monat bezahlt, diesen Monat haben sie mich angerufen und gesagt, dass ich mehr als 330 Dollar zahlen muss, sonst stellen sie den Anschluss ab. Wenn sie es abschalten, wird es für uns schwierig.«
Viele Gastarbeiterinnen können sich nur einen Heim-Internetanschluss leisten. Der ist für sie aber essenziell.
Noel Musanga, Gastarbeiterin:
»Über das Internet hält man Kontakt zur Familie. Das ist das Wichtigste, denn man ist weit weg von ihr. Und es wird schwierig werden, ohne Internet Arbeit zu finden.«
Die Gastarbeiterinnen sollen eigentlich umgerechnet zwischen 150 und 400 US-Dollar im Monat verdienen – selbst das ist zu wenig, um die Internetrechnung zu bezahlen. Doch selbst diese geringen Löhne werden vielen Libanesen zu teuer. Sie setzen die Frauen, die für sie arbeiten, ohne Pass auf die Straße.
Noel Musanga, Gastarbeiterin:
»Wenn man hier im Libanon bleibt, verschwendet man all seine Zeit und Energie. Da kommt nichts Gutes bei raus. Vielleicht hat man einen Teilzeitjob und gibt all sein Geld für das Internet, Lebensmittel, die Miete und den Generator aus. Denn alles ist teuer. Am Ende bleibt nichts übrig für einen selbst oder die Familie. Es wäre also besser zurück nach Hause zu gehen und ein anderes Leben zu leben.«
Jetzt, wo selbst das Internet für Noel Musanga unbezahlbar geworden ist, befürchtet sie auch noch ihren letzten Anker zu verlieren: die Verbindung zu ihrer Familie in ihrer Heimat.
Sogar dringend notwendige medizinische Versorgung können sich Migranten und Geflüchtete und mittlerweile auch viele Libanesinnen und Libanesen nicht mehr leisten.
Feras Alghadban versucht dagegen anzukämpfen. Er fährt mit seiner mobilen Klinik durch die weitläufige Bekaa-Ebene im Osten des Libanons.
Feras Alghadban, syrischer Arzt:
»Die meisten unserer Patienten sind geflüchtete Kinder aus Syrien und ältere Menschen, aber auch Libanesen aus der Umgebung. Die Zahl der Einheimischen ist in letzter Zeit gestiegen, insbesondere in den letzten anderthalb Jahren aufgrund der Wirtschaftskrise, die das Land durchmacht. Die Zahl der Patienten variiert von einem Camp zum anderen, je nachdem, wie viele Anrufe wir erhalten …« (Telefon klingelt)
Der 37-Jährige ist Vater von fünf Kindern und dennoch Tag und Nacht für seine Patienten erreichbar. Dabei war er vor einiger Zeit selbst noch auf Hilfe angewiesen. Alghadban wurde in Syrien zum Hausarzt ausgebildet, floh aber 2017 vor dem Bürgerkrieg in seinem Heimatland.
Feras Alghadban, syrischer Arzt:
»Als ich in den Libanon kam, hatte ich kein Geld, keine Arbeit und keine Aufenthaltspapiere. Ich fing an, auf Märkten Gemüse zu verkaufen, und dann fand ich im Internet ein Jobangebot als ehrenamtlicher Arzt für ein Hilfsprojekt.«
Auch als das Projekt nach drei Monaten endete, kümmerte er sich weiter um seine Patientinnen und Patienten.
Feras Alghadban, syrischer Arzt:
»Ich kam jeden Tag freiwillig für zwei bis drei Stunden in die Camps und richtete in freien Zelten Behandlungsräume ein. Weil ich jeden Tag die große Not der Menschen erlebte, kam ich auf die Idee, eine mobile Klinik einzurichten.«
Alghadban beantragte Aufenthaltspapiere für den Libanon und startete sein eigenes Projekt: Endless Medical Advantage. Dafür tat er sich mit einem weiteren Arzt, einem Team von Freiwilligen und einer lokalen Organisation zusammen. Das Projekt deckt mit seinen mobilen Kliniken inzwischen rund 40 Camps für Geflüchtete im Bekaa-Tal ab – finanziert durch Spenden. Die Behandlungen finden mit nur begrenzten Mitteln statt – aber sie helfen.
Feras Alghadban, syrischer Arzt:
»Die leichten Wunden und Verbrennungen, die wir hier sehen, sind nichts im Vergleich zu dem, was wir in Syrien erlebt haben. Sie sind für uns syrische Ärzte sehr einfach und sehr leicht zu behandeln.«
Feras Alghadban möchte das Projekt auf den ganzen Libanon ausweiten. Er und seine mobilen Kliniken sind schon jetzt ein Hoffnungsschimmer für einige der Menschen, die in den Libanon gekommen sind, weil sie auf ein besseres Leben hoffen – aber jetzt gemeinsam mit dem Land in einer tiefen Krise stecken.