Libyenkonflikt Uno-Bericht enttarnt Geheimmission mit westlichen Einsatzkräften

Bengasi: Die Stadt im Osten Libyens sollte offenbar als Basis der Geheimmission dienen
Foto: Esam Al-Fetori/ REUTERSDer Libyenkonflikt kommt trotz mehrfacher Vereinbarungen zum Waffenstillstand und der Corona-Pandemie nicht zur Ruhe. Längst stehen sich nicht mehr nur die international anerkannte Einheitsregierung in Tripolis und der abtrünnige General Khalifa Haftar gegenüber, vor allem die Türkei und Russland mischen auf unterschiedlichen Seiten kräftig mit. Experten der Vereinten Nationen haben nun offenbar einen weiteren Fall ausländischer Einmischung aufgedeckt.
In einem vertraulichen Uno-Bericht, den die Deutsche Presse-Agentur einsehen konnte, ist von einer Geheimmission privater westlicher Einsatzkräfte die Rede - gelenkt aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Demnach handelte es sich um eine Gruppe von mindestens 20 Personen, die aus Australien, Frankreich, Malta, Südafrika, dem Vereinten Königreich und den USA kamen. Sie sollten dem Uno-Bericht zufolge vor der Mittelmeerküste Libyens türkische Versorgungsschiffe auf dem Weg zur Hauptstadt Tripolis stoppen und damit Waffenlieferungen für die international anerkannte Regierung abfangen. Die Aktion war offenbar als Unterstützung für General Haftar gedacht - zu Ende gebracht wurde sie jedoch nie. Mitte Mai hatte bereits die US-Nachrichtenplattform Bloomberg über die Geheimmission berichtet .
So lief sie den Uno-Experten zufolge ab: Ende Juni 2019 stiegen die westlichen Einsatzkräfte im jordanischen Amman in eine Frachtmaschine des Typs Turboprop. Offiziell waren sie demnach im Auftrag der Wissenschaft unterwegs und sollten in Libyen "geophysikalische und hyperspektrale Untersuchungen" im Auftrag Jordaniens ausführen. Doch der Uno-Bericht nennt das eine "Vertuschungsgeschichte". Es habe sich vielmehr um Mitglieder privater Militärfirmen gehandelt.
Ihr Ziel: Bengasi im Osten des Bürgerkriegslandes. Die Stadt ist die Hochburg des mächtigen Generals Khalifa Haftar, der vor mehr als einem Jahr eine Offensive auf die Hauptstadt Tripolis im Westen gestartet hat und dort die international anerkannte Einheitsregierung des Landes stürzen will. Zu seinen Verbündeten zählen die Vereinigten Arabischen Emirate, Russland, Frankreich und Ägypten. Immer wieder gab es Berichte über Waffenlieferungen an Haftars Truppen. Ein Uno-Bericht kam jüngst zu dem Schluss, dass sich bis zu 1200 Paramilitärs einer russischen Sicherheitsfirma im Land befänden.
Doch der Marsch Haftars auf Tripolis blieb trotzdem stecken, was auch an der ausländischen Unterstützung für die Einheitsregierung lag: Regierungschef Fajis Al-Sarradsch hat Italien, Katar und die Türkei auf seiner Seite. Unverhohlene Waffenlieferungen aus Ankara trotz eines geltenden Uno-Embargos für das ganze Land sind gut dokumentiert.
Hier kamen offenbar die eingeflogenen Einsatzkräfte ins Spiel, die von den Experten ausdrücklich nicht als "Söldner" bezeichnet werden. Sie sollten demnach den Waffennachschub aus der Türkei abfangen. "Das Gremium ist der Ansicht, dass ein Ziel von Projekt Opus darin bestand, (Haftar) mit der Fähigkeit auszustatten, den Seeweg für Waffen von der Türkei zur Einheitsregierung in Tripolis zu unterbrechen", heißt es in dem Uno-Bericht. Das belege auch eine ausgewertete Unterhaltung Beteiligter: In ihr heiße es, die Aufgabe sei es, "feindliche Versorgungsschiffe zu betreten und zu durchsuchen". Auch von einer "maritimen Angriffsgruppe" sei die Rede gewesen.
Firmen aus den Emiraten sollen Militärhelikopter besorgt haben
Die Planung der geheimen Operation wurde dabei nach Ansicht der Experten vor allem von Firmen mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgeführt - namentlich hebt der Bericht "Lancaster6" und "Opus Capital Asset" hervor. Von ihnen seien sechs Militärhelikopter - drei vom Typ "Super Puma" und drei Aérospatiale SA 341 - Mitte Juni 2019 in Südafrika beschafft, zunächst auf dem Landweg nach Botswana gebracht und von dort nach Bengasi geflogen worden.
Zur gleichen Zeit, Tausende Kilometer entfernt: Am Südzipfel Europas, in Malta, mietete "Opus Capital Asset" dem Bericht zufolge zwei Militärschlauchboote für einen Tagessatz von 5000 Euro für insgesamt 90 Tage. Wie die Helikopter sollten sie demnach mit Maschinengewehren bestückt werden. Am 27. Juni seien die Boote nach Bengasi gebracht worden.
Alles war vorbereitet, als die Einsatzkräfte Ende Juni mit der Frachtmaschine in der libyschen Stadt landeten. Im Süden sollen sie in einer großzügigen Wohnanlage untergekommen sein, beschützt von einer örtlichen Miliz. Doch schon am 2. Juli - keine Woche nach ihrer Ankunft - brach ihr Anführer die Operation plötzlich ab. Noch am Abend bestieg die Gruppe die beiden Schlauchboote im Hafen von Bengasi, eines von ihnen mussten sie wegen eines Schadens zurücklassen. Nach einer 15-stündigen Fahrt bei Nacht über das Mittelmeer kamen die Einsatzkräfte in Valetta auf Malta an.
Nach dem Abbruch der Mission waren die Beteiligten plötzlich "Ölarbeiter"
Die Hintergründe bleiben auch für die Experten rätselhaft: "Das Gremium hat den Grund für die Evakuierung und das Zurücklassen von Vermögenswerten in Libyen noch nicht ermittelt." Doch auf Malta habe schon ein Anwalt für die Gruppe bereitgestanden und auch eine neue Vertuschungsgeschichte: Die Personen seien Ölarbeiter und hätten Libyen wegen Unruhen schnellstmöglich verlassen müssen.
Offen lässt der Bericht, wer letztlich verantwortlich für das "Projekt Opus" war. Die Uno-Mission der Vereinigten Arabischen Emirate ließ eine Mail mit Bitte um Stellungnahme zunächst unbeantwortet. Auch "Lancaster6" und "Opus Capital Asset limited" reagierten auf entsprechende Anfragen zunächst nicht.
Geplant und durchgeführt wurde die Operation laut Bericht in mindestens acht Ländern: den Emiraten, Jordanien, Malta, Libyen, Angola, Botswana, Südafrika und den USA. Dabei seien mindestens zehn Unternehmen aus drei Ländern - den Emiraten, den Britischen Jungferninseln und Malta - beteiligt gewesen. Eine weitere Firma in Südafrika soll unter anderem die Identität der Drahtzieher verschleiert haben.