Kampf um Downing Street Warum ein Johnson-Comeback möglich ist

Nach Liz Truss’ Rücktrittsankündigung gibt es ein großes Tohuwabohu um ihre Nachfolge. Die konservative Basis hat einen klaren Favoriten.
Ungeahntes Comeback? Boris Johnson könnte in 10 Downing Street zurückkehren

Ungeahntes Comeback? Boris Johnson könnte in 10 Downing Street zurückkehren

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TOBY MELVILLE / REUTERS

Es ist wieder so weit. Großbritannien sucht ein neues politisches Oberhaupt. Liz Truss, erst vor sechs Wochen nach einem zähen parteiinternen Auswahlprozess  zur Tory-Vorsitzenden und Premierministerin gekürt, hat ihren Rückzug angekündigt. Bis eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gefunden ist, bleibt sie jedoch in 10 Downing Street. Wohl deswegen kann es den Konservativen im Vereinigten Königreich nicht schnell genug gehen.

Schon am Dienstag oder Mittwoch könnte sich die Partei auf einen Nachfolger geeinigt haben. Bis Montag müssen Interessenten mindestens 100 Nominierungen auf sich vereinen, um den Kandidatenstatus zu erhalten. Die Nominierungen werden von den Tories im Unterhaus ausgesprochen, derzeit sind es 357 konservative Abgeordnete. Demnach werden maximal drei Kandidaten zugelassen .

Bis zum 28. Oktober, also kommenden Freitag, soll eine Entscheidung getroffen sein. Das sagte Sir Graham Brady, Vorsitzender des Hinterbänklergremiums der Tories, des 1922 Committee. Es entscheidet über die Regeln des Führungswettbewerbs.

Die Parlamentarier würden den neuen Parteichef gern unter sich ausmachen. Dafür müssten sie sich jedoch auf einen Kandidaten einigen. Gelingt das nicht, wird es eine Kampfabstimmung unter den Mitgliedern geben, rund 170.000 sind es. Dass es dazu kommt, ist nicht unwahrscheinlich. Die Partei ist zerstritten, wie sich schon an den möglichen Kandidaten auf die Truss-Nachfolge zeigt:

Die Favoriten

Es wäre der politische Plot-Twist der vergangenen Jahre: Erst Anfang Juli kündigte Boris Johnson nach einer ganzen Reihe von Skandalen seinen Rücktritt als Premierminister an. Zuvor hatten sich unter anderem mehrere einflussreiche Minister von Johnson abgewandt und waren zurückgetreten.

Nun soll Johnson jedoch ein Comeback erwägen, auch wenn er gerade mit Reden etwa vor Versicherungsmaklern sein Geld verdient. Wohlgemerkt noch immer als Mitglied des Parlaments. Wie die »Times« berichtet, bereitet sich der 58-Jährige auf eine Kandidatur vor. Der Tory-Abgeordnete James Duddridge sagte am Abend dem Sender Sky News, dass Johnson ihm mitgeteilt habe, dass er antreten wolle.

Vor allem bei der Basis steht Johnson noch immer hoch im Kurs, eine Kampfabstimmung würde er wohl gewinnen. Bei Twitter trendet bereits #BringBackBoris. So begeistert sind jedoch nicht alle. Nicht wenige denken, dass die Skandale seiner dreijährigen Amtszeit noch nicht lange genug zurückliegen. Erste Tories drohen bereits mit ihrem Abschied, sollte Johnson zurückkehren.

Johnson größter Konkurrent, wenn er denn antritt, dürfte Rishi Sunak sein. Er galt mit seinem Rücktritt als Finanzminister als einer der Anführer der Revolte gegen Johnson, die am Ende zum Rücktritt des damaligen Premierministers führte. Sunak wurde bereits im Sommer als direkter Johnson-Nachfolger gehandelt, viele Mitglieder nahmen ihm seinen Rücktritt jedoch übel  und wählten lieber Truss ins Amt.

Es gibt jedoch auch gute Argumente für Sunak: Der Finanzexperte sagte das Steuerfiasko von Truss und ihrem Finanzminister Kwasi Kwarteng präzise voraus. Truss wurde am Ende auch zum Verhängnis, dass sie diese Warnungen der vielen auf die Hinterbänke verbannten Tory-Schwergewichte ignorierte. Und Sunak hat erneut Interesse: Laut dem »Telegraph« haben bereits einige Abgeordnete ihre Unterstützung angekündigt.

Die einzige Kandidatin im Favoritenkreis ist Penny Mordaunt. Die 49-Jährige war Verteidigungsministerin und Brexit-Befürworterin. Noch am Montag verteidigte sie im Unterhaus die Regierung im Steuerdebakel, sie vertrat dafür Truss selbst. Mordaunt erhielt dafür viel Beifall. Ohnehin gilt sie als gute Rednerin und vielseitig, sie soll Freunde in verschiedenen Parteikreisen haben.

Mordaunt gilt vielen als mögliche Kompromisskandidatin, etwa wenn sich die Parlamentarier nicht auf Sunak oder Johnson einigen können. Bereits nach dem Rücktritt Johnsons war sie eine Favoritin auf die Nachfolge, verlor aber noch vor der Finalrunde knapp gegen Truss – die wiederum von Johnson unterstützt wurde. Der Ex-Premier hatte Mordaunt das Verteidigungsressort nach seinem Amtsantritt in 10 Downing Street entzogen.

Die Außenseiter

Suella Braverman war bis Mittwoch britische Innenministerin und gehört zum extrem rechten Flügel der Tories. Sie rief zur Unterstützung von Truss auf, nannte in ihrem Rücktrittsschreiben aber »ernsthafte Bedenken« wegen der Regierungspolitik. Wiederholt machte sie mit Äußerungen für ein härteres Vorgehen bei Abschiebungen von sich reden. Auch sie war bereits im Sommer eine Kandidatin für die Nachfolge von Johnson, schied aber früh aus.

Mögliche Kandidaten für den Parteivorsitz und Downing Street: Kemi Badenoch (l.), Ben Wallace (2.v.l.), Suella Braverman (3.v.l.)

Mögliche Kandidaten für den Parteivorsitz und Downing Street: Kemi Badenoch (l.), Ben Wallace (2.v.l.), Suella Braverman (3.v.l.)

Foto: OLI SCARFF / AFP

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace ist einer der wenigen, die aus der Regierungskrise gestärkt hervorgegangen sind. Der ehemalige Soldat war bereits unter Johnson im Amt und führt die britische Reaktion auf den Ukrainekrieg. Bei den Parteimitgliedern ist er sehr beliebt, es gibt jedoch ein Aber: Der »Times« sagte Wallace, dass er Verteidigungsminister bleiben wolle. Am Freitag sprach er sich für Johnson als Truss-Nachfolger aus.

Neben Braverman gilt auch Kemi Badenoch als potenzielle Favoritin des rechtspopulistischen Flügels der Tories. Truss ernannte die bei der Abstimmung zur Parteispitze unterlegene 42-Jährige zur Handelsministerin. Die in London als Tochter nigerianischer Eltern geborene Badenoch sieht Großbritannien zu Unrecht für seinen Umgang mit Minderheiten kritisiert. Außerdem sagte sie, dass die Klimaziele, um bis 2050 klimaneutral zu sein, zu kostspielig seien.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Anzahl der Tory-Abgeordneten im britischen Unterhaus angepasst.

Mit Agenturmaterial
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