Brexit-Streit um Fangrechte Britische Regierung bestellt französische Botschafterin ein

Der Streit um Fischereirechte im Ärmelkanal spitzt sich weiter zu. Frankreich setzte in der Nacht ein britisches Boot fest – doch London sieht sich im Recht und lässt die französische Botschafterin kommen.
Die französische Gendarmerie mit dem festgesetzten Fischerboot in Le Havre

Die französische Gendarmerie mit dem festgesetzten Fischerboot in Le Havre

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SARAH MEYSSONNIER / REUTERS

Die nächste Eskalationsstufe im Fischereistreit zwischen Großbritannien und Frankreich ist erreicht. Nachdem französische Behörden in der Nacht ein britisches Fischerboot festgesetzt haben, bestellt die britische Regierung nun die französische Botschafterin ein.

Wie das Büro von Premierminister Boris Johnson am Donnerstagabend mitteilte, habe Außenministerin Liz Truss die Botschafterin Catherine Colonna vorgeladen. Sie solle am Freitag die »enttäuschenden und unverhältnismäßigen Drohungen gegen Großbritannien und die Kanalinseln« erklären. »Wir bedauern die konfrontative Sprache, die von der französischen Regierung in dieser Angelegenheit immer wieder verwendet wurde«, erklärte die britische Regierung weiter.

Großbritannien hat die Festsetzung des Fischerbootes als »unverhältnismäßig« zurückgewiesen. Das Land halte sich an die Regeln des Brexit-Abkommens, sagte ein Regierungssprecher. Es werde nun weitere Gespräche mit Frankreich und der EU darüber geben, warum das Fischerboot festgesetzt worden sei.

»Wir werden uns weiterhin um Klarheit bemühen und diese Diskussionen führen, bevor wir entscheiden, was die angemessene Reaktion ist«, sagte der Sprecher. Bereits am Mittwoch hatte die britische Regierung auf den neuen scharfen Kurs Frankreichs in dem Fischereistreit reagiert. Die französischen Drohungen seien »enttäuschend und unverhältnismäßig und nicht das, was man von einem engen Verbündeten und Partner erwarten würde«.

Frankreich droht mit Stopp der Stromlieferungen

Frankreich hatte in der Nacht zum Donnerstag zwei britische Boote, die in den Gewässern vor dem Hafen von Le Havre fischten, mündlich verwarnt. Wegen fehlender Lizenzen sei eines der Boote gestoppt und in einen Hafen begleitet worden, nun übernehme die Justiz den Fall. Zudem müsse der Kapitän die Beschlagnahmung seines Fangs befürchten.

Wenige Stunden zuvor hatte Frankreich verschärfte Bestimmungen erlassen. So sollen ab dem 2. November britische Fischerboote an bestimmten französischen Häfen nicht mehr anlegen dürfen. Außerdem werde Frankreich künftig systematisch die Sicherheit britischer Boote überprüfen. Lkw, die von Frankreich aus nach Großbritannien oder in die Gegenrichtung fahren, sollen demnach ebenfalls schärfer kontrolliert werden. Eine zweite Sanktionswelle könne später folgen. Man schließe auch nicht aus, die französischen Stromlieferungen auf die Britische Insel grundsätzlich zu überdenken.

Hintergrund des Streits ist die Umsetzung des Brexit-Abkommens. Es sieht vor, dass europäische Fischer in britischen Gewässern weiter auf Fang gehen dürfen – aber nur, wenn sie dafür eine Genehmigung erhalten. Die Ausstellung der Genehmigung wiederum hängt davon ab, dass die Fischer nachweisen können, schon vorher in den fraglichen Gebieten gearbeitet zu haben. Paris beklagt, dass die britischen Behörden französischen Fischern nicht genügend Genehmigungen erteilen.

Streit um Lizenzen

Frankreichs Fischereiministerin Girardin sagte am Donnerstag im Sender RTL, die Auseinandersetzung sei »kein Krieg«, aber »ein Kampf«. »Die französischen Fischer haben Rechte«, sagte sie. »Es wurde eine Vereinbarung unterzeichnet«, fügte sie hinzu und wies zugleich britische Angaben zurück, wonach 98 Prozent der von Fischern aus der EU verlangten Lizenzen erteilt worden seien.

Dies sei »falsch«, sagte Girardin. »Die Europäer haben 2127 Lizenzen gefordert, die Briten haben 1913 gegeben, das macht 90 Prozent.« Und unter denjenigen, die keine Lizenz bekommen hätten, seien mit Ausnahme von ein oder zwei Fällen aus Belgien Franzosen, sagte die Ministerin.

Im Zentrum des Streits steht besonders die Sechs-bis-Zwölf-Meilen-Zone vor der britischen Küste Großbritanniens, die auch die zu den Briten gehörenden Kanalinseln umfasst. In den umstrittenen Gewässern haben die Behörden bislang 210 Fanglizenzen erteilt. Paris fordert mehr als 200 weitere.

slü/kfr/AFP/Reuters
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