Luftverschmutzung in Mailand »Wer das Klima schützen will, sollte eher Parmesan als andere Käsesorten essen«

Bereits im März hat Mailand einen Großteil des Feinstaublimits für das ganze Jahr überschritten. Der Umweltaktivist Damiano Di Simine kämpft für bessere Luft in der Region – und erklärt, was das mit Käse zu tun hat.
Ein Interview von Jan Petter
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Foto: Carlo Cozzoli / Independent Photo Agency Int. / IMAGO
Globale Gesellschaft

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SPIEGEL: Herr Di Simine, Mailand hat laut der Plattform IQ Air in diesem Jahr bereits an fast 30 Tagen die EU-Grenzwerte für Feinstaub überschritten. Erlaubt sind 35 Überschreitungen jährlich. Der Seite zufolge ist Mailand damit die schmutzigste Metropole in Europa. Versinkt Ihre Stadt im Smog?

Di Simine: Es sieht derzeit wirklich nicht gut aus. Aber die Situation ist in kleineren Städten der Lombardei wie Cremona oder Mantua oft noch viel schlimmer. Dort misst IQ Air nicht. Die Luftqualität ist seit Jahren ein Problem der ganzen Po-Ebene. Aktuell gibt es gleich mehrere Gründe, weshalb es so schlimm ist.

Zur Person
Foto: Privat

Damiano Di Simine, Jahrgang 1967, ist promovierter Lebensmittelbiologe. Er war langjähriger Vorsitzender von »Legambiente« in der Lombardei, der Verband ist die größte Umweltschutzorganisation Italiens. Heute ist Di Simine dort Experte für Bodenpolitik und Leiter des wissenschaftlichen Ausschusses. Er gilt als einer der bekanntesten Vertreter der Organisation.

SPIEGEL: Welche sind das?

Di Simine: Zum einen hat der Verkehr seit Ende der Pandemie wieder deutlich zugenommen. Das sorgt für einen großen Teil der Stickstoffdioxidbelastung. Italien ist ohnehin ein Land mit einer hohen Autodichte. Auch die Industriebetriebe laufen wieder auf Hochtouren, hier bei uns in Norditalien liegt das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Andererseits bekommen wir seit zwei Jahren auch die Auswirkungen der Trockenheit zu spüren.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das?

Di Simine: Der Regen würde normalerweise viele Partikel aus der Luft filtern und zu Boden bringen. Aber er fehlt uns. Wir erleben bereits das zweite Jahr mit extremer Trockenheit. Dazu kommt eine Besonderheit, die wir jeden Winter erleben, die sogenannte thermische Inversion. Das heißt: Die unteren Luftschichten am Boden sind kälter als die oberen, die Luft zirkuliert nicht mehr. Dadurch bleiben Abgase, Smog und Schadstoffe noch länger am Boden, die Luft wird schmutziger.

»Jedes Jahr sterben allein in Mailand etwa 1500 Menschen durch schmutzige Luft. Noch mehr werden krank.«

SPIEGEL: Spielt die geografische Nähe zu den Alpen auch eine Rolle?

Di Simine: Ja, die Berge wirken oft wie eine Mauer. Hier im Norden Italiens sitzen viele Autokonzerne, es leben hier sehr viele Menschen, die täglich mit dem Auto pendeln, es gibt aber auch viel Landwirtschaft. Das alles gibt es einzeln auch an anderen Orten in Europa. Auch in Deutschland werden Autos gebaut, auch in den Niederlanden oder Frankreich gibt es viele Kühe. Aber kaum eine europäische Region hat das alles zusammen und noch dazu so nah an einem Gebirge. Wir müssen uns dem stellen. In Zeiten des Klimawandels können wir nicht mehr lange so weitermachen.

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Foto: Stefano Montesi / Corbis / Getty Images

SPIEGEL: Ist den politisch Verantwortlichen diese Lage bewusst?

Di Simine: Ich bin Umweltschützer. Es wird viel zu wenig getan, das ist meine feste Überzeugung. Aber ich muss anerkennen, dass es in und um Mailand Fortschritte gibt. Das Tempo für den Verkehr wurde in der Innenstadt vielerorts reduziert. In der Pandemie wurden neue Radwege angelegt. Es gibt bereits eine Citymaut, allerdings nur für einen kleinen Bereich. Auch temporäre Fahrverbote und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 30 km/h in einigen Bereichen haben geholfen, aber sie gelten noch nicht konsequent genug. Jedes Jahr sterben allein in Mailand etwa 1500 Menschen durch schmutzige Luft. Noch mehr werden krank. Viele wissen das. Aber was unternommen wird, reicht nicht im Ansatz aus. Vor allem die Landwirtschaft wird noch völlig verschont.

SPIEGEL: Wie könnte man es besser machen?

Di Simine: Der Umgang mit Lebensmitteln ist in Italien zu einer Obsession geworden. Wir sind zu Recht stolz auf unser Essen. Aber wir sollten dafür nicht unsere Umwelt zerstören. Vieles, was in der Lombardei hergestellt wird, ist Massenware für den Export. Wissen Sie, was Gran Padano und Parmesan mit der Luftverschmutzung in Norditalien zu tun haben?

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Foto: Nicola Marfisi / AGF / Universal Images Group / Getty Images

SPIEGEL: Erzählen Sie es mir.

Di Simine: Beide Käsesorten benötigen viel Milch, für die es wiederum viele Tiere braucht. Solange es Massenprodukte sind, müssen die Molkereien und Bauern viel davon produzieren, um davon leben zu können. Sie überdüngen den Boden, um Futtermittel anzubauen, ihr Vieh sorgt für massenweise Ammoniak, das eine Vorstufe von Feinstaub ist. Alles nur, damit Sie in Deutschland am Ende möglichst günstig und gedankenlos einkaufen können.

SPIEGEL: Sollten wir jetzt keinen italienischen Käse mehr essen, um das Klima zu schützen?

Di Simine: Sie müssen nicht auf Parmesan verzichten, um die Luft in Mailand zu verbessern, aber weniger davon wäre tatsächlich hilfreich. Ich wünsche mir eine Viehhaltung, die sich am Weinanbau orientiert. Vor 30 Jahren haben wir auch hier möglichst billig für die Masse produziert. Heute ist italienischer Wein wieder ein geschätztes Lebensmittel. Die Winzer produzieren heute weniger, aber sie verdienen sogar mehr als früher. Dennoch kann sich jeder weiterhin ein Glas Pinot Grigio leisten. Nur nicht mehr so gedankenlos. So sollte es auch mit unserem Käse sein. Die Regeln für Parmesan sind streng. Denn die Kühe, deren Milch dafür verwendet wird, dürfen nur mit Heu und Gras gefüttert werden. Bei anderen Käsesorten wird dagegen oft Soja verwendet, das billig aus Südamerika importiert wird und in mehrerlei Hinsicht eine schlechtere Umweltbilanz hat. Wer das Klima und die Luft schützen will, sollte also vielleicht eher Parmesan essen.

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Foto: Nicolò Campo / LightRocket / Getty Images

SPIEGEL: Wir wollten eigentlich über die Luftverschmutzung in Mailand sprechen. Wie erleben Sie dort die Situation?

Di Simine: Uns droht ein großer Rückschritt. Viele Menschen wollen sich nicht weiter einschränken. Sie leiden unter den vielen Krisen unserer Zeit, aufgrund der Gentrifizierung können sich viele das Leben in Mailand heute nicht mehr leisten. Die Kluft zwischen dem Zentrum und den Vororten wird größer. Manche Politikerinnen und Politiker nutzen das aus und kämpfen plötzlich symbolisch für das Auto. Es ist auf einmal wieder das Symbol für Freiheit. Dabei sind wir noch weit vom Ziel entfernt. Eigentlich sollte man in Mailand möglichst viele Parkplätze abschaffen. Heute kann man wirklich überall in der Stadt parken. Solange das so ist, kommen die Leute natürlich jeden Tag angefahren. Auch die Radwege nützen dann nicht viel. Viele sind ohnehin nicht zusammenhängend.

SPIEGEL: Haben Sie für dieses Problem auch eine griffige Lösung parat?

Di Simine: Tja. Ein konsequentes Tempolimit auf 30 km/h wäre gut, darüber wird gerade diskutiert. Und mehr Züge und S-Bahnen. Das Leben soll ja besser und gesünder werden, schwierig genug ist es schon jetzt.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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