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Jędrzej Nowicki / DER SPIEGEL

Luftverschmutzung in Krakau Eine Stadt lernt wieder atmen

Lange galt Krakau als schmutzigste Stadt Polens. Dann kämpften Anwohner mit ungewöhnlichen Mitteln für besseren Umweltschutz – heute ist die Luft nachweislich sauberer.
Aus Biały Kościół und Krakau berichtet Jan Petter
Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

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Die frostige, klare Morgenluft brennt im Gesicht. Es ist kurz vor sieben Uhr an einem Donnerstag im April. Blick von einem Hügel auf Krakau, Polens zweitgrößte Stadt wacht langsam auf. Autos schieben sich durch den morgendlichen Stau, aus einigen Schornsteinen steigt dunkler Rauch. Lange Zeit war Krakau berüchtigt für seinen dunklen Smog am Morgen. Jetzt reicht der Blick selbst hinter dem mit Kohle befeuerten Heizkraftwerk beinahe bis zum Tatra-Gebirge, der Himmel leuchtet graublau.

Zwei polnische Hobbyfotografen schleichen um einen alten Birnbaum, in allen Varianten fotografieren sie die weißen Blüten vor dem Stadtpanorama. »Es ist verrückt«, sagt Pietr. »Aber in gut 30 Jahren habe ich wohl noch nie so viel von Krakau gesehen. Unsere Stadt ist so wunderschön ohne Smog.« Sein Freund berichtet von Reisen in ferne Länder, zählt auf, wo er die besten Fotos gemacht hat. »Hier konnte man das lange Zeit vergessen. Es ist auch jetzt noch nicht alles gut«, sagt er und schaut über die Stadt. »Aber es beeindruckt mich, wie viel die Menschen hier erreicht haben, um die Luftverschmutzung zu bekämpfen. Krakau ist zu einem kleinen Vorbild geworden.«

Krakau im Morgengrauen: »Unsere Stadt ist so wunderschön ohne Smog«

Krakau im Morgengrauen: »Unsere Stadt ist so wunderschön ohne Smog«

Foto: Jędrzej Nowicki / DER SPIEGEL
Die Luft über der Stadt ist heute deutlich besser – doch ganz sauber ist sie noch immer nicht

Die Luft über der Stadt ist heute deutlich besser – doch ganz sauber ist sie noch immer nicht

Foto: Jędrzej Nowicki / DER SPIEGEL

Über Jahrzehnte galt die Großstadt als die schmutzigste in ganz Polen und als eine der schmutzigsten Europas. Der Süden des Landes lebte lange von der Kohle und noch immer mit ihr. Sie wird hier aus Bergwerken geholt, wird in Kraftwerken verfeuert und in kleinen Öfen im Wohnzimmer. Dazu kommt Holz, manchmal auch Hausmüll. Krakau ist eine alte Stadt, konservativ und stolz auf ihre Geschichte. Die rußige Luft war der Preis für den Wohlstand. Dass sie Menschenleben kostet, das Klima gefährdet – all das wurde verdrängt. Doch in den vergangenen Jahren ist etwas passiert.

Michał Popiel ist kein Umweltschützer, kein Politiker, nicht einmal ein Aktivist. Und dennoch hat seine Arbeit den Umgang mit Smog in Polen verändert. Popiel, 57, ist studierter Physiker, selbst gelernter Bühnenbauer und Mechaniker. Seine Spezialität, sagt er, seien Exponate für Erlebnismuseen. Wasserpumpen, buntes Licht, etwas Hydraulik. Kleine Experimente zum Mitmachen. »Dass meine Arbeit auch etwas in der Gesellschaft bewegt, hätte ich nicht gedacht«, sagt Popiel auf einer Wiese in einem Dorf nördlich von Krakau.

»Die Leute verstehen, dass es um ihre Gesundheit geht. Die meisten hier wollen nicht länger im Smog leben.«

Bühnenbauer Michał Popiel zur Arbeit der Umweltaktivisten in Krakau

Natürlich habe er von der schmutzigen Luft um seine Heimatstadt gewusst. Den Smog habe man ja sehen und riechen können. »Man konnte wissen, dass das giftig ist«, sagt er und zeigt auf den benachbarten Schornstein. Schon in den 1980er-Jahren habe es Gerüchte gegeben, erinnert sich Popiel. Es ging um Kühe, die angeblich auf der Weide mit kaputten Beinen zusammenbrachen: »Osteoporose durch Luftverschmutzung.«

Und doch hielt er es zunächst für Quatsch, als ihn 2019 eine Gruppe Krakauer Umweltaktivisten bat, für sie ein Lungenmodell aus weißem Vlies zu basteln. In der schmutzigen Luft sollte es sich von allein schwarz färben. Ein Spektakel wie im Erlebnismuseum. Die Idee dafür, erzählten ihm die jungen Leute, hätten sie aus Indien. »Ich dachte mir nur: Das wird sowieso nichts«, erinnert sich Popiel und lacht fröhlich. Doch es wurde etwas. Und die zwei mal zwei Meter große Lunge auf einem Autoanhänger bald zum Sinnbild für den Smog um Krakau.

Mit den Anhängern von Michał Popiel fordern Aktivistinnen und Aktivisten in ganz Polen besseren Umweltschutz: »Das ist die Luft, die du atmest«

Mit den Anhängern von Michał Popiel fordern Aktivistinnen und Aktivisten in ganz Polen besseren Umweltschutz: »Das ist die Luft, die du atmest«

Foto: Jędrzej Nowicki / DER SPIEGEL

Wochenlang stellten sich die Aktivistinnen und Aktivisten von »Krakowski Alarm Smogowy« damit auf Marktplätze in kleineren und größeren Ortschaften rund um die zweitgrößte Stadt Polens. Neben der Lunge ein Schild, weiße Buchstaben auf rotem Grund: »Das ist die Luft, die du atmest.« Jedes Mal, erzählt Popiel, mussten sie nach spätestens 14 Tagen das Vlies wieder austauschen. »Da wusste ich: Wir haben echt ein Problem.«

Inzwischen hat Popiel fünf weitere Lungen-Anhänger gebaut. Auch die neue Lunge ist schon wieder schwarz. Den ganzen Winter über fahren die Aktivisten mit den Anhängern durch Polen, selbst im Norden des Landes wird die Idee inzwischen aufgegriffen. Die Wiese, auf der Popiel steht, ist das Sommerlager. Einmal sei ein Anhänger mutwillig zerstört worden, ein anderes Mal habe der Wind einen umgeworfen. Aber sonst? »Soweit ich das sagen kann, kommt die Idee gut an. Die Leute verstehen, dass es um ihre Gesundheit geht. Die meisten hier wollen nicht länger im Smog leben.«

Jahrelang galt Krakau als Smog-Metropole. Inzwischen ist der Geruch alter Öfen aus der Innenstadt verschwunden.

Jahrelang galt Krakau als Smog-Metropole. Inzwischen ist der Geruch alter Öfen aus der Innenstadt verschwunden.

Foto: Jędrzej Nowicki / DER SPIEGEL
Bushaltestelle vor dem Stahlwerk im Stadtteil Nowa Huta

Bushaltestelle vor dem Stahlwerk im Stadtteil Nowa Huta

Foto: Jędrzej Nowicki / DER SPIEGEL

Für Magdalena Kozłowska, 35, ist das ein wichtiger Erfolg. Sie zählte zu den Aktivistinnen, die vor vier Jahren Michał Popiel um Hilfe baten. Heute, sagt sie, kämen Bürgermeister auf sie zu und fragten: »Wann kommt ihr zu uns?« Die Anhänger hätten geholfen, Druck auf die Regierung auszuüben. »Sie zeigen allen, dass es ein Problem in unserer Mitte gibt. Der Schmutz bedroht nicht nur Ökoaktivisten aus der Großstadt. Er ist ein Thema, das alle betrifft, auch und gerade im Umland.«

Kozłowska kam vor zwölf Jahren zum Studium nach Krakau und lernte an der Uni Menschen kennen, die sich für saubere Luft einsetzten. Ein Thema, das ihr davor nie wichtig vorgekommen war. Doch plötzlich sei es auch ihr aufgefallen. Der schwarz verrußte Schnee im Winter. Die endlos hustenden Freunde. »Irgendwann war es auch mein Thema.«

Kozłowska hat seitdem viel ausprobiert, um das Problem zu erklären. Sie traf sich mit Hausärzten, schrieb Pressemitteilungen, hielt einen TED-Talk. »Aber heute kennen uns alle für die Schmutzlungen«, sagt sie bei einem Spaziergang durch ihr Viertel.

Anfangs, erzählt Kozłowska, hätten sie und ihre Mitstreiterinnen am liebsten ganze Studien auf Plakatwände geklebt, endlose Textwüsten – Hauptsache, Fakten. »Wir mussten erst lernen, dass das so nicht funktioniert.«

Sie entschieden sich dann für bunte Fotos von betroffenen Anwohnern. Und eine Kampagne mit einer Petition und eben den Lungenmodellen. Mit Erfolg: Als erste Großstadt untersagte Krakau den Einbau von Holz- und Kohleheizungen vollständig. Für den Umbau gab es Zuschüsse, wer schneller umrüstete, bekam mehr Geld vom Staat. Heute thront immer noch ein mit Kohle befeuertes Kraftwerk am Stadtrand, aber in den meisten Vierteln ist die Luft viel besser. Die Menschen haben aufgehört, sich im eigenen Wohnzimmer zu vergiften, indem sie in alten Öfen Kohle oder gar Müll verheizen.

Dass sich der Kampf für saubere Luft lohnt, zeigt auch eine Studie von Medizinerinnen der Universitätsklinik Krakau. Zehn Jahre lang untersuchten sie die Gesundheit von 75.000 Kindern und Jugendlichen. Klagte zu Beginn des Jahres 2008 noch die Hälfte über allergischen Schnupfen, war es zehn Jahre später nur noch ein gutes Drittel – eine positive Folge der Deindustrialisierung, der vermehrten Nutzung von Filtern in der Industrie sowie von moderneren Autos und Lastwagen. Auch die Zahl der Asthmafälle reduzierte sich um mehr als die Hälfte. »Damit hatten wir selbst nicht gerechnet«, sagt Ewa Czarnobilska . Die Leiterin des Zentrums für Allergologie am Universitätskrankenhaus in Krakau hat die Studie initiiert, der Kampf gegen Smog ist ihr Lebensthema.

Krakau ist in den vergangenen Jahren sauberer geworden. Doch die Vorschriften, die auch im Umland, wie hier im Dorf Morawica, die Luft sauberer machen sollten, wurden in letzter Minute gestoppt.

Krakau ist in den vergangenen Jahren sauberer geworden. Doch die Vorschriften, die auch im Umland, wie hier im Dorf Morawica, die Luft sauberer machen sollten, wurden in letzter Minute gestoppt.

Foto: Jędrzej Nowicki / DER SPIEGEL

Ihre Ergebnisse zeigen: Der Kampf gegen Feinstaub lohnt sich. Schon nach wenigen Jahren wachsen Kinder offensichtlich gesünder auf. Auch Magdalena Kozłowska profitiert davon. Sie ist inzwischen Mutter eines eineinhalbjährigen Sohnes, lebt selbst in einem Altbau im Zentrum. Der Schmutz der Vergangenheit hängt noch an der Fassade. Doch die Luft ist heute eine andere.

Es ist der größte Triumph für sie und ihre Gruppe. In diesem Jahr hätte die Erfolgsgeschichte weitergehen sollen. Anfang 2023 sollte für die ganze Region eine ähnliche Regelung wie für Krakau in Kraft treten. Auch die Dörfer und Vororte um die Stadt herum sollten sauber werden. Doch das von der konservativen PiS-Partei dominierte Regionalparlament stoppte die Reform in letzter Minute. Um die Energiekosten in Krisenzeiten nicht noch stärker zu erhöhen, hieß es, wolle man damit noch mindestens ein Jahr warten. Kozłowska hält das für eine Ausrede. »Aber solange sie weitermachen, hören auch wir nicht auf.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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