Neue Regierung vereidigt Machtwechsel in Israel

Naftali Bennett: Soll Israel bis 2023 regieren
Foto: Ariel Schalit / APNaftali Bennett ist neuer Premierminister von Israel. Am Sonntagabend stellte er sich mit seinem aus acht Parteien bestehenden Bündnis zuerst einer Vertrauensabstimmung, die die neue Koalition mit dem erwartet knappen Ergebnis von 60 Stimmen zu 59 gewann. Direkt im Anschluss wurde der neue Regierungschef vereidigt.
Der 49-Jährige Bennett löst den langjährigen Premier Benjamin Netanyahu ab, dem es seit Ende 2018 nicht mehr gelungen war, eine stabile Regierung zu bilden.
Die Parlamentssitzung vor der Abstimmung verlief zeitweilig tumultartig: Die Eröffnungsrede Bennetts wurde durch wiederholte laute Zwischenrufe von Mitgliedern des Netanyahu-Lagers so gestört, dass er kaum einen Satz zu Ende bringen konnte. Bennett sagte, das Geschrei zeige die tiefe Spaltung Israels, die während Netanyahus Amtszeit entstanden sei. Er warnte vor einem »Strudel des Hasses und des Bruderstreits«. Er wolle aber eine Regierung bilden, die »ganz Israel« repräsentiere. Zahlreiche protestierende Abgeordnete wurden von Ordnern aus dem Saal gebracht.
In seiner Rede setzte Bennett danach klare Signale für den Kurs der künftigen Regierung, die man auch als Angebote an das Netanyahu-Lager verstehen kann. So bekräftigte er, dass Israel einer Wiederauflage des Atom-Deals mit Iran entschieden widersprechen werde: »Israel wird es Iran nicht erlauben, sich atomar zu bewaffnen!« In Richtung Hamas drohte Bennett, dass jeder Angriff auf Israel »eine starke Antwort« nach sich ziehen werde. Das sind Positionen, die auch die Regierung Netanyahu vertreten hatte.
Der machte in seiner letzten Rede als Premierminister klar, dass er es einer neuen Regierung, an der er nicht beteiligt sein würde, nicht leicht machen werde: »Wenn es unser Schicksal ist in die Opposition zu gehen, dann werden wir das mit aufrechten Schultern tun, bis wir diese gefährliche Regierung stürzen können und dieses Land wieder auf unsere Weise regieren.«
Historischer Machtwechsel
Keiner hat Israels Geschicke länger gelenkt als "Bibi": Zwölf Jahre lang war Benjamin Netanyahu ohne jede Pause Ministerpräsident. Davor führte der rechtskonservative Politiker schon einmal in der zweiten Hälfte der Neunziger die Regierung. Doch nun sieht es so aus, als neige sich seine Ära tatsächlich dem Ende zu. Den Gegnern des 71-Jährigen ist es gelungen, zu seiner Ablösung ein bunt gemischtes Zweckbündnis aus nicht weniger als acht Parteien zu schmieden.
Schon vor der erwarteten Ablösung des rechtskonservativen israelischen Ministerpräsidenten hatten Demonstranten vor seinem Amtssitz in Jerusalem gefeiert. Kritiker des scheidenden Regierungschefs jubelten und tanzten. Auf einem der Schilder stand am Samstagabend: "Bibi, das ist Dein letzter Samstag in Balfour, fang an zu packen."
Naftali Bennett von der rechten Jamina-Partei kritisierte die Kundgebungen wenige Stunden vor der Abstimmung in der Knesset: »Dies ist nicht die richtige Zeit für Demonstrationen und Provokationen.« Bennett rief dazu auf, Netanyahu und dessen Familie mit Respekt zu behandeln.

Tumultartige Szenen: Während Naftali Bennetts Eröffnungsrede kam es immer wieder zu lauten Protesten.
Foto: Ilia Yefimovich / dpaPremier auf Zeit
Bennett, der früher unter Netanyahu Verteidigungsminister war, ist nun bis 2023 neuer Ministerpräsident. Nach Medienberichten sollen seiner Regierung 27 Minister angehören. Das geplante Bündnis vereint acht Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum, auch eine arabische Partei.
Den Auftrag zur Regierungsbildung hatte eigentlich Ex-Finanzminister Yair Lapid von der Zukunftspartei erhalten, nachdem Netanyahu als Vorsitzender der größten Fraktion damit gescheitert war. Lapid ließ aber Bennett den Vortritt im Amt des Ministerpräsidenten, um die Koalition zu ermöglichen. Lapid soll Bennett in zwei Jahren als Regierungschef ablösen. Sollte die neue Regierung Bestand haben, könnte dies die politische Dauerkrise beenden, in der Israel sich seit zweieinhalb Jahren befindet.
Netanyahus Likud ist mit 30 Mandaten allerdings immer noch stärkste Fraktion. Warum also musste der »Zauberer«, wie Netanyahu von vielen genannt wird, die Macht ausgerechnet nun abgeben?
Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Jonathan Rynhold waren die Gründe nicht ideologischer Natur, sondern persönlicher Art. »Seit Netanyahu wegen Korruption angeklagt ist, sind immer mehr Leute zu der Überzeugung gelangt, dass er seine eigenen Interessen über die Interessen des Landes stellt." Um einer Haftstrafe zu entgehen und an der Macht zu bleiben, habe Netanyahu zunehmend auf eine Weise agiert, die selbst von früheren Anhängern als schädlich angesehen wurde.
Die neue Koalition: breiter geht es kaum
Wegen des breiten ideologischen Spektrums könne die Koalition aber »nichts Entscheidendes in umstrittenen Fragen bewegen«, sagte Rynhold im Vorfeld der Abstimmung. Sie werde stattdessen versuchen, »sich auf eine Agenda zu einigen, die die Öffentlichkeit attraktiv findet«. Wichtigste Aufgabe sei, erstmals seit zwei Jahren einen Haushalt zu verabschieden. »Israel braucht mehr Krankenhäuser, die Schulklassen müssen kleiner und die Lebenshaltungskosten gesenkt werden.«

Abgewählt: Benjamin Netanyahu will zurück an die Macht
Foto: Ariel Schalit / APProbleme drohten dagegen durch Aktivitäten rechtsgerichteter Gruppierungen, zum Beispiel beim Bau illegaler Siedlungsaußenposten. Die linksliberalen Parteien, die politische Mitte und die arabische Raam sind für die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates. Bennett gilt dagegen als Galionsfigur der Siedler. »Die Regierung könnte unter Druck geraten, wenn rechtsorientierte Organisationen für Unruhe sorgen«, sagte der Politikwissenschaftler.
Im Fall einer neuen Konfrontation mit der im Gazastreifen herrschenden Hamas sieht Rynhold weniger Sprengpotenzial für das neue Bündnis. Die jüdischen Parteien seien sich über das Vorgehen gegen die militanten Islamisten grundsätzlich einig. Und der Vorsitzende der konservativ-islamischen Raam-Partei, Mansur Abbas, habe bereits gezeigt, »dass er unglaublich mutig und widerstandsfähig ist, als er sich der Koalition angeschlossen hat – trotz dessen, was gerade in Gaza passiert ist«.
Abbas' Entscheidung wird als Schritt zu mehr Integration der arabischen Minderheit eingestuft, die 20 Prozent der neun Millionen Israelis ausmacht. Die strengreligiösen jüdischen Parteien, bislang Teil fast jeder Regierung, bleiben dagegen in der Opposition.
Politikwissenschaftler Rynhold sieht insgesamt mehr Chancen für ein Überleben der Koalition als für ihr Scheitern. Ganz abschreiben will er Netanyahu aber noch nicht. »Er ist Israels geschicktester Politiker«, sagte der Politikwissenschaftler. Dass der bisherige Ministerpräsident nach einer Abwahl ein Comeback schafft, sei nicht ausgeschlossen.
Davon geht offenbar auch Benjamin Netanyahu aus. Seine letzte Wortmeldung in der Knesset vor der Abstimmung: »Wir sind bald zurück!«