Kampf um Mafia-Städte Die Paläste und Ruinen der Drogenbosse

Haus des Cosa-Nostra-Auftragsmörders Giuseppe Greco: Fluchttreppe zum Meer
Foto: Alessio Mamo
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.
Die Altstadt Palermos, Berge und das Meer: Das ist der Blick von den Villen auf dem Rücken des Monte Gallos an der Küste Siziliens. Doch in den Häusern wohnt niemand, der die Aussicht genießen könnte – nur Vögel und Ratten. Eine mit dem Mafia-Boss Michele Greco verbundene Firma hatte die Siedlung seit Ende der Siebzigerjahre errichtet. Als die Behörden das Projekt stoppten, waren bereits 170 Villen im Bau. »Pizzo Sella« wird der Friedhof der Mafia-Villen heute genannt – »Hügel der Schande«.

Mafia-Ruinen: Beschlagnahmte, illegale Villen rotten am Golf von Palermo vor sich hin
Foto:Alessio Mamo
In Ländern wie Italien oder Mexiko, in denen kriminelle Organisationen großen Einfluss haben, gestalten Mafiosi oder Kartellbosse das Gesicht von Städten mit: Sie bauen ganze Siedlungen, um an öffentlichen Aufträgen zu verdienen oder Geld zu waschen und errichten für sich und ihre Familien luxuriöse Villen als Statussymbole. Einige lassen sich sogar komplexe unterirdische Bunker und Tunnel bauen, die ihnen beim Schmuggel oder bei der Flucht behilflich sind oder in denen sie wohnen .
»Leider gibt es in den meisten süditalienischen Städten Spuren von Mafia-Bauten, die den Charakter dieser Orte verändert haben«, sagt der sizilianische Fotograf Alessio Mamo. Er hat die Villen und die Ruinen der Mafiosi mit seiner Kamera dokumentiert – und festgehalten, wie aggressiv Clans in seiner Heimat den öffentlichen Raum umgestalten .

Luxus-Grabstätten in Culiacán, Mexiko: In den Mausoleen treffen sich Angehörige und Anhänger der Kartelle und feiern wilde Partys
Foto:PEDRO PARDO / AFP
»Architektur und Drogenhandel sind untrennbar miteinander verbunden«, sagt auch der mexikanische Architekt und Stadtplaner Eloy Méndez von der Universität von Puebla, der zur »Narco-Architektur « in Mexiko forscht. Immobilieninvestitionen von Kriminellen bilden ihm zufolge in Lateinamerika neue Stadtlandschaften; die repräsentativen Bauwerke der Kriminellen seien wie »eine eigene Sprache, mit der sie protzen und sich abheben wollen« – oft kitschig und exzessiv.
Der Friedhof Jardines del Humaya in Culiacán, der Wiege des Sinaloa-Kartells, gilt etwa als Narco-Kultstätte: Dort rivalisieren Kriminelle und ihre Familien mit riesigen Grabstätten, die an Tempel und Paläste im Kolonialstil erinnern – mit Elementen wie Zwiebeltürmen, Gesimsen, Gewölben, Bögen und Säulen.

Amado Carrillo Fuentes, Gründer des Juárez-Kartells, ließ sich in Hermosillo, Mexiko, den »Palast aus Tausendundeiner Nacht« bauen
Foto:ZUMA Press / imago images
Die Gebäude sind auch Machtsymbole, mit ihrer Präsenz dominieren Mafia-Clans und Kartelle den öffentlichen Raum, kontrollieren das umliegende Gebiet – doch Regierungen und Zivilgesellschaft versuchen, die Städte zurückzuerobern. Italien hat seit 1982 mehr als 36.000 Mafia-Grundstücke konfisziert. »Die Beschlagnahmung ist eines der wirksamsten Instrumente im Kampf gegen die organisierte Kriminalität«, sagt Zora Hauser, die an der Oxford Universität zur Mafia forscht – der Entzug des Vermögens störe ihre Operationen und wirke abschreckend.
»Das wirksamste Element ist aber, wenn die Vermögenswerte, Unternehmen, Grundstücke und Gebäude an die Gesellschaft zurückgegeben werden«, glaubt die Expertin. »Sie sind das Symbol dafür, dass der Staat und das Volk die Kontrolle zurückerobert haben.« Mit der Umnutzung passiere genau das, wovor sich Mafiosi am meisten fürchten: die Kontrolle über ihr Territorium zu verlieren.
1000 italienische Gemeinden haben der Anti-Mafia-Organisation Libera zufolge vom Staat beschlagnahmte Gebäude oder Grundstücke für soziale Zwecke erhalten – zudem verwalten rund 900 gemeinnützige Organisationen oder Genossenschaften ehemaligen Mafia-Besitz.
Auch die GOEL-Genossenschaftsgruppe in Kalabrien profitiert von der italienischen Umverteilungsstrategie: Sie nutzt mittlerweile drei ehemalige Mafia-Gebäude – sie hat aber auch erlebt, dass Mafiosi ihren Besitz nicht kampflos aufgeben wollen.

Die 'Ndrangheta ist eines der mächtigsten Verbrechersyndikate weltweit und gilt als besonders brutal. In diesem Auto verbrannten Mafiosi zwei Erwachsene und ein Kleinkind, die sie zuvor ermordet hatten
Foto:FRANCESCO ARENA / EPA
In Kalabrien, dem Herrschaftsgebiet der weltweit agierenden, brutalen 'Ndrangheta haben sich Bürger, Bauern und Unternehmer in der Genossenschaftsgruppe zusammengeschlossen, um sich gemeinsam gegen die Mafia zu wehren, gegen Schutzgelderpressung und Drohungen. GOEL betreibt auch mehrere soziale Unternehmen in Bereichen wie biologische Landwirtschaft, Tourismus, Öko-Mode oder Bio-Kosmetik.
Rund 400 Mitarbeiter erhalten so eine wirtschaftliche Perspektive – in einer der ärmsten und korruptesten Regionen Europas, in der die Mafia der größte Arbeitgeber ist und der Staat weitgehend die Kontrolle verloren hat. Ein ehemaliges Mafia-Haus beherbergt Arbeiter von GOEL, in einem anderen nähen Mitarbeiterinnen Kleidungsstücke für das Öko-Modelabel. Zuletzt kam das riesige Ex-Haus eines Mafiabosses hinzu, das die Initiative in ein Hotel verwandelt.

Locride Hostel: Das ehemalige Haus eines Mafia-Bosses in Locri in Kalabrien beherbergt künftig Hotel-Gäste
Foto:Giuditta Marino / GOEL
Die Stadt übernahm sogar die Kosten für neue Möbel und garantierte zehn Jahre Mietfreiheit, kostenloses Wasser und Strom. Doch zehn Tage, nachdem GOEL die Ausschreibung gewonnen hatte, drangen Mafia-Mitglieder in das Haus ein, beschädigten und klauten Teile der Wasseranlage des Gebäudes und richteten einen Schaden von rund 50.000 Euro an.

Vincenzo Linarello, Präsident der GOEL-Genossenschaftsgruppe, bekämpft die Mafia, indem er ihre Attacken öffentlich macht
Foto:GOEL
Die Anti-Mafia-Initiative kennt solche Attacken schon: Einmal brannten Mafiosi eine Farm ab, zerstörten Traktoren, Lagerbestände – seitdem wehrt sich das Team jedes Mal mit einer Party. »Wenn Menschen in eine Depression verfallen und die Hoffnung aufgeben, kann man sie leicht kontrollieren«, sagt Vincenzo Linarello, Vorsitzender der GOEL-Genossenschaftsgruppe. »Wenn die 'Ndrangheta uns attackiert, antworten wir deshalb mit Festivals, die Mut machen.«
Sie feiern, sammeln Spenden, machen Öffentlichkeitskampagnen, um das Vorgehen der Mafiosi sichtbar zu machen. Mittlerweile seien die Bedrohungen zurückgegangen, erzählt Linarello: »Sie haben offenbar verstanden, dass sie uns mit jeder Attacke noch stärker machen.«

Mafia-Architektur in Italien: Die Häuser der Clans
Von dem italienischen Modell lassen sich inzwischen auch andere Regionen inspirieren – wie Berlin. In der deutschen Hauptstadt sollen von Kriminellen konfiszierte Objekte künftig ebenfalls für gemeinnützige Zwecke genutzt werden können.

In Berlin-Neukölln könnte aus einer vom Remmo-Clan beschlagnahmten Villa künftig ein Jugendzentrum werden
Foto:Olaf Wagner via www.imago-images / imago images
2018 hatten Ermittler 77 Immobilien des Remmo-Clans beschlagnahmt, darunter Mietshäuser und -wohnungen, aber auch eine Villa und einen Schrebergarten. Die Villa in Alt-Buckow in Neukölln soll Plänen zufolge zum Jugendzentrum werden. Doch davor müsste die Bezirksverwaltung erst die aktuellen Mieter aus der Villa drängen – Familienmitglieder des Clans.

Drogenboss El Chapo flüchtete in Mexiko sogar aus dem Gefängnis – jetzt sitzt er in den USA in Haft
Foto:Mario Guzman/ dpa
Auch Mexiko verlost bald einige von korrupten Politikern und Drogenbossen beschlagnahmte Immobilien: Mitte September findet eine Sonderziehung statt, bei der auch ein Haus in Culiacán im Lostopf ist, aus dem Joaquín »El Chapo« Guzmán 2014 floh – sowie eine Villa bei Mexiko-Stadt, die dem Ex-Chef des Juárez-Kartells, Amado Carrillo, gehörte.
Für 250 Pesos pro Los, umgerechnet knapp elf Euro, soll jeder die Chance bekommen, ein Narco-Haus zu gewinnen. Die Regierung will die Erlöse der Aktion in eine Corona-Impfkampagne investieren.

Eher unscheinbar: Dieses Haus von El Chapo in Culiacán wird bald verlost
Foto:Adriana Gomez / AP
Der Kriminalitätsexperte Edgardo Buscaglia hält die Aktion vor allem für eine »Show«: »Per Lotterie geben sie ein paar Vermögenswerte an einzelne Bürger zurück«, sagt Buscaglia. In Mexiko fehlten jedoch eine nationale Strategie und Gesetze, die Richter dazu verpflichten, das gesamte in Mexiko beschlagnahmte Vermögen an zivilgesellschaftliche Organisationen umzuverteilen, die von Opfern der organisierten Kriminalität geleitet werden – und von deren Aktivitäten Geschädigte profitieren.
Die Rückgaben seien »kein Geschenk« – sie müssten dazu genutzt werden, Opfern die Wiedereingliederung in Arbeit und Gesellschaft zu ermöglichen.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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