Nach langer Blockade Hunderte ukrainische Kämpfer können Asow-Stahlwerk verlassen

Verwundeter beim Abtransport aus dem Stahlwerk
Foto: Alexander Ermochenko / REUTERSZuletzt hatte es Meldungen über einen möglichen russischen Beschuss mit Brandbomben gegeben: Immer wieder war das Schicksal der letzten ukrainischen Kämpfer in Mariupol in den vergangenen Wochen in die Schlagzeilen geraten.
Statt der befürchteten russischen Erstürmung haben nach wochenlanger Blockade nun gut 260 ukrainische Soldaten nach Behördenangaben das Asow-Stahlwerk in der Hafenstadt verlassen.
Darunter seien 53 Schwerverletzte, teilte der ukrainische Generalstab am Montag bei Facebook mit. Zudem seien 211 weitere ukrainische Kämpfer in die von russischen Truppen besetzte Ortschaft Oleniwka gebracht worden. Sie sollen später in einem Gefangenenaustausch zurückkehren, hieß es. Die Schwerverletzten seien in die Stadt Nowoasowsk transportiert worden. An der Evakuierung der weiteren Verteidiger des Stahlwerks werde noch gearbeitet.
»Dank den Verteidigern von Mariupol haben wir kritisch wichtige Zeit für die Formierung von Reserven, eine Kräfteumgruppierung und den Erhalt von Hilfe von unseren Partnern erhalten«, schrieb Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar bei Facebook.
Alle Aufgaben zur Verteidigung von Mariupol seien erfüllt worden. Ein Freikämpfen des Werkes sei nicht möglich gewesen. Das Wichtigste sei jetzt, das Leben der Verteidiger von Mariupol zu wahren. Der Generalstab gab bekannt, dass man die anderen Verteidiger auf dem Gelände ebenfalls retten wolle.
Das Asow-Stahlwerk ist die letzte Bastion der ukrainischen Armee in der strategisch wichtigen Stadt. In den vergangenen Wochen waren zunächst Hunderte Zivilisten aus dem riesigen Industriekomplex in Sicherheit gebracht worden. Hunderte ukrainische Soldaten harrten aber weiterhin dort aus. Nach ukrainischen Angaben waren es noch rund tausend, darunter 600 Verletzte.
Erstürmung wurde nicht riskiert
Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte in seiner täglichen Videoansprache, die Ukraine brauche ihre Helden aus Mariupol lebend. Die Hafenstadt war bereits kurz nach dem russischen Einmarsch im Februar eingekesselt worden. Russische Truppen übernahmen schrittweise die Kontrolle. Die letzten ukrainischen Verteidiger der Stadt verschanzten sich aber in dem Werk mit seinen mehreren unterirdischen Etagen, Bunkern und Tunneln.
Zwar riskierten die russischen Einheiten keinen Erstürmungsversuch, blockierten aber alle Zugänge. Hunderte Zivilisten waren bereits in den vergangenen Tagen vom Werksgelände evakuiert worden. Über den Abzug der zum Teil schwer verletzten Soldaten, die kaum noch Vorräte und Wasser hatten, wurde lange verhandelt.
Am Wochenende hatten mehrere Ehefrauen der letzten Kämpfer die katastrophalen Zustände geschildert. Pro Person gebe es nur noch ein Glas Wasser am Tag, sagte eine der Frauen in einem Interview, aus dem ukrainische Medien zitierten. Sie und die anderen forderten eine Evakuierung aller verschanzten Kämpfer – zuerst der Schwerverletzten unter ihnen. Deren Situation sei »schrecklich«: Manchen fehlten Arme oder Beine, es gebe kaum noch Medikamente oder Betäubungsmittel.